Spurensuche
Ein Mensch in Trauer
24.11.2018 09:00

 

Bachs musikalisches Denkmal

Als der 35 jährige Johann Sebastian Bach nach einer mehrwöchigen Dienstreise zu seiner Familie in Köthen zurückkehrt, erfährt er, dass er Witwer geworden ist. Etwa eine Woche zuvor ist seine Frau Maria Barbara plötzlich verstorben und wurde bereits am 7. Juli 1720 begraben. Bach muss nun allein für seine vier kleinen Kinder sorgen. Einen Trost findet er in der Musik. Für seine tote Frau schreibt Bach die „Chaconne in d-oll.“

Mit der  Chaconne setzt er seiner Frau ein persönliches musikalisches Grabmal. Die Musik verrät zugleich etwas von seinem religiösen Ringen mit diesem Verlust, seiner Verzweiflung und seiner Hoffnung. Mit seiner Musik hat er eine Brücke gebaut zu jener anderen Welt, der Maria Barbara für ihn angehört.

Bach hat die Chaconne in d-moll geschrieben: Diese Tonart gilt als besonders traurig und düster. Allerdings bleibt Bach nicht bei dieser Tonart stehen. Im mittleren Teil der Chaconne wechselt Bach zu D-Dur. Mit strahlenden Klängen und percussiver Rhythmik überwindet die Violine alles Schwermütige der beiden anderen Teile. Sozusagen mit Pauken und Trompeten wird hier Auferstehung gefeiert. Aber Bach bleibt musikalisch nicht im Himmel, sondern kehrt im Schlussteil der Chaconne wieder auf die Erde zurück: Sie endet, wie sie begonnen hat, nämlich in d-moll.

 

Eine unsinnig scheinende Hoffnung

Wer je um einen lieben Menschen getrauert hat, kennt das: In die Traurigkeit mischen sich andere Gefühle, negative und positive. Die Stille in der Wohnung ist zum Heulen, aber das Bild vom Enkel löst gleichzeitig ein Lächeln aus. Die Wut über den Partner, der nicht mehr da ist, steht neben der Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit. Die Erleichterung darüber, dass das Leiden des Sterbenden zuende ist, nimmt nicht die Erinnerung an die Momente des Todes weg. Und vielleicht wächst am Grab zugleich die unsinnig scheinende Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.

Trauer umfasst ein ganzes Bündel an Gefühlen. Sie sind oft widersprüchlich und mischen sich miteinander. Die Spannung, die daraus erwächst, ist oft schwer zu ertragen.

Ein Psalmbeter hat dafür folgende Worte gefunden: „Mein Fleisch und mein Herz verschmachtet; der Fels meines Herzens und mein Erbteil ist Gott in Ewigkeit.“ (Ps.73,26) Beides steht unvermittelt und hart nebeneinander: Körper und Geist sind kraftlos und wie im freien Fall. Ein Trauernder fühlt sich oft, als ob er in einen Abgrund stürzen würde..

 

Ein rettender Fels

Aber in die Trauer mischt sich eine andere Wahrheit, die größer ist als unser Leben:  Im Sturz findet sich der rettende Fels. An ihn kann ich mich klammern, um zu überleben. Er bietet mir den nötigen Halt, dass ich mich irgendwann hochziehen und wieder festen Boden unter die Füße bekommen kann. Für den Psalmbeter ist diese Wahrheit ein ewiges Gesetz.

Und Johann Sebastian Bach hat in der Chaconne denselben Trost gefunden und gezeigt.

Denn in die Melodie hat Bach ein Osterlied eingearbeitet: „Christ lag in Todesbanden/für unsre Sünd gegeben,/der ist wieder erstanden/und hat uns bracht das Leben./Des wir sollen fröhlich sein,/ Gott loben und dankbar sein/ und singen Halleluja. Halleluja.“

Ein musikalisches Grabmal, das in einen Lobpreis, in ein Halleluja mündet?

Die Erschütterung des Menschen Johann Sebastian Bach durch den Verlust seiner geliebten Frau bleibt, auch das Faktum des Todes. Aber das Wesen des Verlustes verändert sich; für Bach ist der Tod nicht mehr Ende, sondern Ziel des irdischen Lebens. Dahinter öffnet sich das Tor zu einer anderen Welt, auf die auch der Beter des 73. Psalms hofft: „Der Fels meines Herzens und mein Erbteil ist Gott in Ewigkeit.“