gemeinfrei via unsplash / Bernard Hermant
Macht Glaube glücklich?
Warum wir uns Glück und Segen wünschen
12.01.2025 07:05

Unser Autor hat Anfang des Jahres Geburtstag. Von klein auf fragte er sich bei dem Lied "Viel Glück und viel Segen": Glück ist klar. Aber was ist Segen? Und warum braucht es beides?

 

Sendung nachlesen:

 

Morgens um sieben ist die Welt noch – dunkel. Jedenfalls im Februar. Da habe ich Geburtstag. In Kinderzeiten hörte ich an diesem Tag im Halbschlaf meine Eltern die Treppe zu meinem Zimmer heruntergehen. Dann öffnete sich die Tür, Kerzenschimmer erhellte den Raum. Mein Vater spielte einen Akkord, dann sangen meine Eltern gemeinsam mit meiner älteren Schwester das Geburtstagslied. "Viel Glück und viel Segen" wünschten sie mir für mein neues Lebensjahr. So ähnlich klang das:                            

"Glück": Damit konnte ich etwas anfangen. Ich war glücklich über manche der Geschenke, die ich bekam. Die Modelleisenbahn mit Alpenpanorama und Sahara-Wüste zum Beispiel. Die Bücher über den Dackel Haidjer. Den Elektro-Experimentierkasten, mit dem ich sogar ein Radio bauen konnte, wow. Aber "Segen"? Wenn dieses Wort in einem Atemzug mit "Glück" gesungen wurde, musste das irgendetwas ziemlich Gutes und Wichtiges sein, reimte ich mir zusammen.

Nach dem Geburtstagsfrühstück ging ich in die Schule. Auch dort hat die Klasse dieses Lied für mich gesungen. Unser Klassenlehrer unterrichtete eigentlich Mathe. Beim Lied für die Geburtstagskinder ließ er den Musiker in sich heraus. Wild mit den Armen fuchtelnd brachte er uns dazu, das Lied im Kanon zu singen. Die Schüler hinten rechts fingen an, dann fielen nacheinander die Schüler hinten links, vorne rechts und vorne links ein, bis sich das Klassenzimmer mit "Glück und Segen" aus 30 Kehlen füllte.

Auch im Gymnasium, das ich dann nach der fünften Klasse besuchte, hielt sich dieser Geburtstags-Gesangs-Ritus. Glück und Segen waren offensichtlich zeitlos.

Glück hatte ich wohl auch als Jugendlicher: Im Konfirmandenunterricht traf ich auf einen außergewöhnlich zugewandten Pastor. Ihm ging es nicht um langweiliges Auswendiglernen von Bibelversen – er wollte uns Teenies den Glauben wirklich näherbringen. Wir sollten verstehen, was so in der Bibel steht und was wir im Gottesdienst hörten, sangen und beteten. Auch ums Segnen ging es da. Am Ende der Gottesdienste, die wir besuchen mussten, bat er uns, zum Segen aufzustehen. Er erhob seine Hände, der weite schwarze Talar hing von seinen Armen herab, eine eindrucksvolle Gestalt. Dann sprach er den Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.

Im Konfirmandenunterricht erklärte er uns: Dieser Segensspruch sei rund 3000 Jahre alt. Er stamme aus biblischen Zeiten. Der erste Priester der Bibel, er hieß Aaron, hatte ihn gesprochen. Warum? Um den Menschen Gottes Beistand zu versichern.       

Das verstand ich. Trotzdem stellte ich mir immer noch jedes Jahr aufs Neue die Frage, wie denn das nun zusammenhing: "Glück und Segen". Warum brauchte ich noch Glück, wenn Gott mir doch beistand? Bedeutete Segen auch, dass Gott mir Glück verschaffte? Oder bewahrte er mich nur vor Unglück? Und: Kann man überhaupt so klar sagen, was Glück und Unglück sind? Manchmal erweist sich ja erst spät, ob das, was man als Glüpck empfand, auch wahres Glück war – oder ob es sich in Unglück wandelte.

Unser Pastor hielt all diese Fragen aus. Er ging sparsam mit Antworten um, wollte lieber, dass wir ins Nachdenken kamen. Und er ließ uns den Segen am eigenen Leib spüren. An die Einsegnung bei der Konfirmation erinnere ich mich sehr genau. Beide Hände legte er auf meinen Kopf, dann sprach er den Spruch, den er für mich als Konfirmationsspruch aus der Bibel ausgesucht hatte: "Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit." Ich war berührt. Segen, das sind nicht nur die Worte, die er da sprach, spürte ich. Segen ist irgendwie mehr. Ich fühlte mich gestärkt. Und groß. Und verstanden.   Sprecher

Darüber, wie Glück und Segen miteinander zusammenhängen, denke ich bis heute nach. Unzählige Male habe ich in Gottesdiensten den Segen zugesprochen bekommen. Und ich habe in meinem Leben mehr Glück als Unglück erfahren, Gott sei Dank. Einigen aus meinem Bekanntenkreis ging es jedoch ganz anders. Auch sie haben den Segen empfangen – doch sie mussten viel Unglück ertragen. Arbeitslosigkeit. Schwere Krankheiten. Trennungen. Den Tod eines Kindes.

Wie kann das sein, wenn Gott sie alle doch auch gesegnet hat? Das wollte ich ergründen.

Ich machte mich also auf die Suche. Meine erste Reise führte mich gen Norden.                            

Annegret Bolt                                                                                                    

Ja, ich bin ein glücklicher Mensch. Ich habe wieder zu meiner Gelassenheit, zu meiner Zufriedenheit, zu meinem Glauben an mich und zu meinem Glauben an Gott gefunden. Dazu gehört, dass man einmal so richtig, oder auch mehrmals, neu anfangen muss, das Glück suchen muss, auf das Glück vertrauen muss.

Diese Frau ging mir nicht aus dem Sinn. Bei einer Veranstaltung in einer Kirche habe ich sie kennengelernt. Annegret Bolt, eine anpackende, freundliche ältere Dame mit grauem Haar. Auf den ersten Blick unscheinbar. 74 Jahre ist sie alt. Wir unterhielten uns. Eher zufällig kamen wir auf das Glück zu sprechen. Das Thema beschäftigte uns beide.

Am nächsten Tag besuchte ich sie in ihrer kleinen Wohnung. Wie sie es schafft, im Alter glücklich zu sein, interessierte mich. Und Annegret Bolt erzählte mir aus ihrem Leben.

Annegret Bolt                                                                                          

Meine Suche nach dem Glück beginnt eigentlich in meiner Kindheit. Es war eine schwere Kindheit.

Da war die Mutter, die vor ihrer Tochter sagte: Sie bedauere, dass sie sie nicht abgetrieben hat. Als Annegret später selbst schwanger wurde, beschimpfte ihre Mutter sie als Nutte. Annegret heiratete und bekam zwei Kinder. Aber sie war nicht glücklich in ihrer Ehe. Ihr Mann demütigte sie immer wieder, bis sie nicht mehr aushielt. Sie ließ sich scheiden – und lernte die Liebe ihres Lebens kennen. Zum ersten Mal war sie richtig glücklich. Doch ins Glück mischte sich bald wieder das Unglück. Er bekam die Diagnose: Krebs. Dabei wollten die beiden doch heiraten!

Annegret Bolt                                                                                                    

Ohne dass wir wussten, dass der Krebs in ihm war, hatten wir noch Anfang des Jahres unser Aufgebot bestellt. Nach acht Jahren haben wir gesagt: "Das machen wir. Wir wollen es allen zeigen. Und auch uns, unsere Liebe besiegeln, ja." Und an dem Tag, als wir heiraten wollten, hab ich ihn beerdigt. Mein Gottvertrauen war weg. So wie er weg war.

Sprecher

Nur langsam fand Annegret Bolt wieder Halt. Als sie in Rente ging, suchte der Krebs auch sie heim. Sie überlebte – und wagte einen Neuanfang. Am Meer schloss sie Frieden: mit ihrer inzwischen verstorbenen Mutter. Mit dem Verlust des Mannes, den sie liebte. Und mit Gott.

Nachdem Annegret Bolt mir von ihrem Leben erzählt hatte, fiel mein Blick auf ein Foto, an der Wand: ein Stiefmütterchen.

Annegret Bolt                   

Ich finde das kleine Glück, was ich hier habe, das ist immer gewachsen. Jetzt ist es mein großes Glück. Aber Glücklichsein hat auch damit zu tun, wie man jeden Tag die Welt neu betrachtet. Ein Stiefmütterchen, was aus dem Beton wächst, ist doch Glück! Das zu betrachten! Das hab ich fotografiert und diese, und dann hab ich mir das ausgedruckt. Und dieses kleine Stiefmütterchen ist für mich ein Symbol, das mir zeigt: Egal, wie oft du einbetoniert wurdest - es gibt ein Leben in dir und du kannst da durchkämpfen durch diesen Beton. Wenn du selber an dich glaubst und dich selber auch liebst, kannst du auch andere lieben. Und dann kannst du auch glücklich sein.

Mit dieser Lebensgeschichte im Kopf fuhr ich beschwingt zurück nach Hause. Diese Frau strahlte so viel lebenserprobtes Glück aus, dass es quasi auf mich übergeschwappt war. Was für ein Glück, diese Frau kennengelernt zu haben! Denn ihre Geschichte zeigt: Der Weg zum gefestigten Glück führt auch über unglückliche Stationen: Schicksalsschläge, Verzweiflung, Tod und Trauer. Annegret Bolt hatte sich dazu entschieden, das Glück zu suchen. Sie hat sich nicht kleinmachen lassen, sondern behielt ihre Neugier, Offenheit und hat ihre Hoffnung wiedergefunden. Sie sorgte sich um sich selbst, leitete Versöhnung ein und tut das, was ihr guttut. Das Happy End, das sie nun erlebt, ist nicht vom Himmel gefallen; sie hat einiges dazu beigetragen.                                        

Ich wollte dem Glück auf der Spur bleiben. Was hat es damit auf sich? Wann kommt es, wann geht es? Und gibt es eine Verbindung zwischen dem Glück und dem Glauben? Ist der Segen unerlässliche Voraussetzung für das Glück?

Viele Menschen suchen das Glück, sonst gäbe es nicht so viele Glücksratgeber in Zeitschriften und Buchhandlungen. Unzählige Berater und Coaches behaupten, den Weg zum Glück zu kennen. Im Internet finde ich Videos von selbsternannten Glücks-Experten. Sie zeigen Bilder von Traumstränden, großen Autos und schönen Menschen. Oder von Waldbaden, Meditation, weitem Blick vom Berg oder übers Meer.

Meine Glücks-Sehnsucht ist ein bisschen anders. Ich habe die Erfahrung gemacht: Beglückt bin ich vor allem, wenn ich mich verstanden fühle. Wenn ich mit Menschen zusammen bin. Wenn ich das in Gedanken und Worte fassen kann, was in mir ist, und zuhöre, was die anderen bewegt. Wenn ich so bin, wie ich sein möchte. Wenn ich Musik mache – oder höre.

Ein Lied ist mir wie ein Ohrwurm hängengeblieben, darin geht es auch ums Glück. Es ist von Mala Frank, einer Soul-Sängerin aus Wien:                                                                   

Text: Komm, lass uns hier verweilen in Glückseligkeit, denn was wir haben, ist noch Zeit. Komm, werfen wir ‚nen Stein übers Wasser und genießen jeden Tropfen, den es schneit.

Mala Frank hat ausgerechnet den alten Begriff der Glückseligkeit zum Titel eines ihrer Songs gemacht. Warum?

Mala Frank                                                                                    

Alt? Das ist etwas, was ich aufgrund meines Sprachgebrauchs viel zu oft höre! Und wahrscheinlich beweist, dass ich als Kind zu viele Hörspielkassetten aus den 60ern genossen hab. Ich denk, dass das Wort Ursprung in einem religiösen Bereich haben könnte. Und in dem Begriff, ja, der steht für mich für Zufriedenheit im wahrsten Sinne des Wortes, Frieden, Ruhe, innerer Frieden, Wonne, wenn man so will, Entspanntheit, frei von unnötiger, selbstproduzierter Last. 

Sprecher

Sie hat eine schmerzvolle Kindheit erlebt, erzählt auch Mala Frank. Ihr Song über die Glückseligkeit lässt erahnen, dass sie einige Täler der Einsamkeit und des Unglücks durchschritten hat. Religiös sei sie nicht, erklärt sie. Aber sie habe einen Weg gefunden, der sie zur Glückseligkeit führe.

Mala Frank                                                               

Auch wenn es unfassbar kitschig klingt, es fällt mir schwer, eigentlich so etwas zu sagen, ich kann besser mit so emotionalem Zeug umgehen, wenn ich es singe. Aber im Grunde ist es wirklich so, dass ich mir jeden Tag, teilweise wohl mehrmals am Tag, sage, wofür ich alles dankbar sein kann. Wenn ich daran denke, dass andere im Krieg sind, todkrank sind, verschüttet sind, kein schönes, warmes Zuhause haben, kein Essen haben, what so ever. Und dann ist es fast, als würd‘ ich mich vor mir selbst schämen, wenn ich dann noch irgendwie traurig wäre, und dann komm ich in so einen Zustand von absoluter Dankbarkeit und Glückseligkeit, weil ich einfach sehe, wie gut es mir geht und wie vieles ich habe, für das ich dankbar sein kann. Nicht zuletzt schlichtweg die Tatsache, dass ich einfach am Leben bin. Weil: Auch das ist absolut unberechenbar und kann jede Sekunde vorbei sein.                                      

"Glückseligkeit": Offensichtlich weckt der Begriff starke Gefühle – auch bei Menschen, die mit dem Glauben nichts am Hut haben. Ich mag den Begriff auch sehr. Er führt nicht so leicht auf den Holzweg wie das kürzere und oft sehr inflationär verwendete Wort "Glück". Viel zu oft geht es dabei um schnelle und kurzfristige Beglückungen – jene, die Menschen sich mit Geld zu kaufen versuchen.

"Glückseligkeit" dagegen beschreibt ein Zustand, der anhält. Ein inneres Gefühl, das auch Zeiten des vermeintlichen Unglücks übersteht. Glückseligkeit kann sich auch einstellen, wenn das schnelle Glück vergangen ist. Sie macht sich nicht abhängig von äußeren Hürden.

Was ich auch mag: In dem Wort schwingt die Seligkeit mit. Das alte Wort stammt aus frommer Tradition. Selig sind Menschen, die sich erlöst fühlen. Wie das geht? Jesus war zwar kein Glücksratgeber, aber er hat beschrieben, wer selig ist: Die, die Frieden stiften. Die, die Barmherzigkeit üben. Die, die reinen Herzen sind. Und sogar jene, die Leid tragen. "Seligpreisungen" werden diese Aussagen Jesu genannt. Sie stehen in der Bergpredigt, im Matthäus-Evangelium im 5. Kapitel.

Am erstaunlichsten finde ich die Aussage: "Selig sind, die Leid tragen." Die Zumutung, die in diesem Satz mitklingt, wird noch deutlicher, wenn ich das Glück hinzufüge: "Glückselig sind die, die Leid tragen." Diese Botschaft klingt erstmal seltsam, anstößig. Aber sie beschreibt die Lebenserfahrung, von der auch Annegret Bolt und Mala Frank erzählt haben und die offensichtlich viele Menschen machen: Leid macht Glück nicht unmöglich. Vielleicht ist es sogar so: Das Leid lässt Glück noch tiefer erfahren. Glück bedeutet nicht, von Problemen und von Leid befreit zu sein. Glück bedeutet: Von den Untiefen, die mir im Leben begegnen, lass ich mir mein Glücks-Grundgefühl nicht nehmen.

Und der Segen? Ihn verstehe ich inzwischen als Zusage Gottes, der den Menschen, die sich ihm zuwenden, ein erfülltes Leben verspricht. Das Segnen ist für mich und viele andere ein über Jahrtausende bewährtes Ritual, um mir das Glück, das in mir schlummert, bewusst zu machen. Es kann mir helfen, mich an die Fülle des Lebens zu erinnern und nicht zu verzweifeln in Situationen, in denen ich das Glück so gar nicht spüre. So kann der Segen mich stärken auf meinem Weg in die Glückseligkeit. Der Segen kann eine Art Glücks-Booster sein. Deswegen kann ich ihn mir gar nicht oft genug zusprechen lassen. Und deswegen gebe ich ihn gerne weiter, auch meinen Kindern und Enkeln. Die erzählen mir: Auch ihr Lehrer singt jedem Geburtstagskind mit der ganzen Klasse vor: Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen.                                                 

Sprecher

Allerdings, auch das habe ich gelernt bei meiner Erkundung des Glücks und des Segens: Herbeizaubern lässt sich Glück nicht. Der Segen ist kein Zauberspruch aus dem Harry-Potter-Universum. Aber das Glück lässt sich herbeilocken. Mit Dankbarkeit, offenen Sinnen und Lebenserfahrung. Glückseligkeit erwartet jene Menschen, die dem Glück nicht nachjagen. Glück lässt sich nicht zwingen. Glück lässt sich nur wünschen - und erleben.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

  1. Viel Glück und viel Segen
  2. Viel Glück und viel Segen (instrumental)
  3. Pat Metheny: Ferry Cross the Mersey
  4. Pat Metheny: And Time goes on
  5. Pat Metheny: I Will Find the Way      
  6. Pat Metheny: Last Train Home
  7. Pat Metheny: Don’t know why
  8. Mala Frank: Glückseligkeit  
  9. Pat Metheny: Peace Memory         
  10. Pat Metheny: Song for the Boys    
  11. Viel Glück und viel Segen    
  12. Pat Metheny: My Song