Erstaunlich viele Popsongs drehen sich um Geschichten aus der Bibel. Sieben Kostproben - sieben Songs zum Buch der Bücher.
Sendetext nachlesen:
Die Bibel: ein Buch mit sieben Siegeln. Irgendwie ist an dem Spruch ja was dran. Pastorinnen und Pastoren versuchten, mir die Bibel zu erklären – damals, als ich in jungen Jahren neugierig war. So richtig gelang ihnen das nicht. Wer lässt sich schon gerne von der Kanzel belehren? Meine Bibelkenntnis speist sich aus anderen Quellen. Viele biblische Geschichten lernte ich aus Liedern. Nein, nicht aus Kirchenliedern. Sondern aus Pop- und Rocksongs. Einige öffneten mir die Siegel des "Buches der Bücher". Sie überzeugten mich: Was in der Bibel steht, ist auf tiefsinnige Weise wahr. Und ziemlich schön. Und: Es hat mit mir zu tun.
Text (Leonard Cohen: Suzanne):
Jesus was a sailor when he walked upon the water and he spent a long time watching from his lonely wooden tower. And when he knew for certain only drowning men could see him…
"Jesus was a sailor" – "Jesus war ein Seemann"?! Das hatte ich noch nie zuvor gehört. Dass Jesus auf einem hölzernen Turm Ausschau nach Ertrinkenden hält und sie erlöst, steht so nicht in der Bibel. Aber so ähnlich. Auch, dass er auf dem Wasser gehen konnte. Nun aber sang Leonard Cohen mit berückend knarziger Stimme von Jesus, der ein "Sailor" gewesen sei und – wie mysteriös! – "broken" war: "gebrochen". Mein jugendliches Seelchen ahnte die Botschaft. Dieses ungewöhnliche Jesus-Lied erreichte mein Herz. Ich kaufte mir die Platte – auf dem Cover ein irgendwie besorgt dreinschauendes Männergesicht. So sah er also aus, dieser Sänger, der gleichzeitig von Jesus und einer "Suzanne" schwärmte, in die er verliebt war. Der Song brachte den Soundtrack meines Lebens auf eine neue Spur – setzte eine unbändige Neu-gier auf die Bibel bei mir in Gang. Über Jesus wollte ich mehr wissen. Dass er oft mit einem Boot über den See Genezareth fuhr, las ich. Dass er ängstliche Jünger im Sturm ermutigte und sogar auf dem Wasser ging. Oha.
Fortan hörte ich genauer hin, wenn neue Songs rauskamen. Nicht nur von Cohen. Auch von Bob Dylan, den Rolling Stones, Tina Turner, Whitney Houston und all den anderen. Ich staunte darüber, wie viele Songtexte sich um biblische Themen und Geschichten drehen.
Das Staunen ist mir über viele Jahrzehnte nicht vergangen. So viele Songs sind auf meiner biblischen Playlist, dass ich damit beinahe die ganze Bibel nacherzählen könnte.
Doch die Musikerinnen und Musiker erzählen die Bibel nicht nur nach. Für sie ist die Bibel kein Studienbuch, sondern eine unerschöpfliche Inspirationsquelle. Mit unbändiger Fantasie versetzen sie sich in biblische Geschichten hinein, erzählen sie manchmal auch weiter.
Einige Kostproben? Gerne. Sieben Songs. Der erste: Die Schöpfung und insbesondere, wie die Tiere ihre Namen bekamen. Steht in der Bibel, im ersten Buch Mose, Kapitel 2, Verse 19 und 20. Nacherzählt und in Musik gepackt von: Bob Dylan."
Text (Bob Dylan / "Man Gave Names to All the Animals"):
Man gave names to all the animals / In the beginning, in the beginning – long time ago
Adam, der erste Mensch, hatte eine herausfordernde Aufgabe von Gott bekommen: Er sollte den Tieren, die frisch erschaffen im Garten Eden lebten, Namen geben. Wie das geschehen sein könnte, überlegte sich 1979 Bob Dylan. In coolem Reggae-Rhythmus und mit kindhaftem Wortwitz versetzte er sich in Adam hinein, der die Tiere genau anschaut und dann schließlich auf Namen kommt, die sich auf die Eigenschaften der Tiere reimten. "Flurry hair? – Bear!"
Dylan war sich nicht sicher, ob der Song auf Platte gepresst werden sollte. Dann hörte er, wie ein dreijähriger Junge herzhaft lachte, als das Lied gespielt wurde. Das gab den Ausschlag, es zu veröffentlichen. Besonders lustig ist das Ende: Beim letzten Tier, der Schlange, nennt Dylan den Namen nicht. Denn die "Snake" ist bekanntlich verantwortlich dafür, dass Adam und Eva aus dem Paradies geworfen wurden. Zur Strafe soll dieser Name nicht ausgesprochen werden.
Mein Bibel-Popsong Nummer 2 heißt "Fourty", "vierzig". Die Zahl bezieht sich auf den biblischen Psalm 40. "Er hat mir ein neues Lied in meinen Mund gegeben, zu loben unsern Gott", heißt es da. Und bei U2 hört sich das so an:
Text (U2 / 40):
I Will sing, sing a new song. How long to sing me a song.
Bono, der Sänger der irischen Band U2, hat seinen christlichen Glauben nie verschwiegen. Als die Band 1983 im Studio war und morgens um sechs Uhr noch ein Song fehlte, schlug er die Bibel auf und landete bei Psalm 40. "Gott hat mir ein neues Lied in den Mund gegeben." Das passte. In zehn Minuten entwickelte Bono mit seiner Band eine Melodie. Als Text griff er sich ein paar Zeilen aus dem Psalm heraus. Nur weitere zehn Minuten dauerte es, dann war der Song aufgenommen – mit wunderschönem mehrstimmigem Gesang, der fast wie von einem Kirchentags-Chor klingt. Die Melodie ist so eingängig, dass bei Konzerten Tausende mitsingen.
Text (Mahalia Jackson / "Peace in the Valley"):
Oh there will be peace in the valley for me - one day.
Peace in the Valley. Mein dritter Bibel-Popsong – darüber, was im letzten Kapitel der Bibel steht: Am Ende der Zeiten wird kein Leid und kein Geschrei mehr sein. Nur Frieden.
Soul- und Gospel-Queen Mahalia Jackson legte ihr ganzes Gefühl und all ihre Glaubenshoffnung in diesen Song. "Ich bin so müde und erschöpft", beginnt er, "aber ich muss allein weitergehen, bis der Herr kommt und mich ruft!" Dann beschreibt das Lied mit den Visionen des biblischen Propheten Jesaja das himmlische Friedensreich, in dem Wolf und Lamm friedlich beieinander liegen und die wilden Tiere sogar Säuglingen nichts antun. Den frommen Friedenssong haben später auch Elvis Presley und Johnny Cash gesungen – mit voller Überzeugung, denn die beiden waren Christen.
Um die Weihnachtsgeschichte, wie sie im Matthäus-Evangelium steht, geht es im vierten Bi-bel-Popsong.
Text (Chris de Burgh / "Bethlehem")
It´s a long, long way from here to Bethlehem.
Chris de Burgh haftet das Etikett "irischer Geschichtenerzählonkel" an. Dem wird er mit dem Rock-Song "Bethlehem" auch gerecht. In einer Vision sieht der Sänger "drei Könige" durch die Wüste reiten, die von der "Geburt eines kleinen Jungen" erfahren haben. Im nächsten Bild fliegen ein Falke und eine Taube in den Himmel, Sinnbilder für Krieg und Frieden. Sie kommen der Sonne zu nahe, und die Taube fällt "wie ein Lichtblitz" zu Boden. Das alles wirkt wie die Unheilsvision eines biblischen Propheten.
Bis Bethlehem sei es eben "ein langer Weg", heißt es dann immer wieder. Beim Hören des Songs fühle ich mich eingereiht in die Pilgerschar, die mit den drei Königen zur Krippe zieht – und die die Hoffnung nicht aufgibt: Auch wenn viele Friedenstauben zu Boden stürzen und die Kriegsfalken bedrohlich kreisen – am Ende wird Frieden einkehren.
Text (Lady Gaga / "Judas"):
Juda – oh oh - Juda oh-oh Juda.
Als Jesus etwa 30 Jahre alt war, wurde er von einem seiner Jünger mit einem Kuss verraten: von Judas. Über ihn hat Lady Gaga einen Dance-Pop-Song geschrieben.
I'm just a Holy Fool, oh, baby, it's so cruel / But I'm still in love with Judas, baby / I'm just a Holy Fool, oh, baby, it's so cruel / But I'm still in love with Judas, baby / Oh, whoa-whoa, oh-oh / I'm in love with Juda-as, Juda-as
Oh-oh-oh-oh-oh / I'm in love with Juda-as, Juda-as
Maria Magdalena, ehemalige Prostituierte und Jesus-Jüngerin, verliebt sich ausgerechnet in den Verräter Judas? US-Ikone Lady Gaga wagt diese auf den ersten Blick abwegige, beim zweiten Nachdenken aber tiefsinnige Bibelerweiterung. Jesus sei Maria Magdalenas Tugend – aber sie sei Judas verfallen. Aus den Liebesfängen des Verräters könne sie sich nicht befreien. Aber sie werde ihn zu Fall bringen. Im Video zum Song sitzt Lady Gaga als Maria Magdalena zwischen Jesus und Judas in einer Badewanne. Am Ende wird sie gesteinigt. Was das soll? "‚Judas‘ ist eine Metapher und eine Analogie für Vergebung und Verrat und Dinge, die dich in deinem Leben verfolgen", erklärte Lady Gaga. Der Song handele "vom Verzeihen und vom Verstehen der Dämonen deiner Vergangenheit".
Text (Bruce Springsteen /"Jesus Was an Only Son"):
Well, Jesus was an only son as he walked up Calvary Hill
His mother Mary walking beside him in the path where his blood spilled
Jesus ist auf dem Kreuzweg nach Golgatha. Er hat den qualvollen Tod vor Augen. Seine Mutter Maria muss hilflos zusehen. So könnte es vor 2000 Jahren in Jerusalem gewesen sein. Dieses berühmte Motiv berührte auch den katholisch aufgewachsenen Rockmusiker Bruce Springsteen. "Jesus Was an Only Son" heißt sein Song über das Verhältnis zwischen Maria und Jesus. Er ist eine Hommage an die Verbindung zwischen Müttern und ihren Kindern. Der Song schildert innige Mutterliebe und tiefen Frieden. "Alle Eltern wollen ihre Kinder vor allem Unheil bewahren", kommentierte Springsteen diese Verse. Auch er kenne diese Gefühle und habe als Vater lernen müssen, dass das unmöglich sei. Am Ende des Songs küsst Jesus die Hände seiner Mutter und tröstet sie: Sein Leid habe einen Sinn, das solle sie wissen.
Friedlich wird’s bei Tracy Chapman. "Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen", sagte Jesus einige Male. Die Sängerin reimte und sang sich zusammen, was das denn bedeuten könnte:
Text (Tracy Chapman / Heaven‘s Here on Earth):
If we have faith in humankind / And respect for what is earthly
And an unfaltering belief that truth is divinity / And heaven's here on earth.
Manche suchen den Himmel in den Sternen – dabei ist er doch schon hier auf Erden. Songwriterin Tracy Chapman entdeckt Gott auf dem Boden der Wirklichkeit, mitten in den Alltag – mit allen offenen Fragen, mit aller Freude und allem Leid. Für das Leid sei Gott nicht verantwortlich, meint sie. Leid tun sich Menschen gegenseitig an. Trotzdem gebe es etliche Spuren des Himmlischen auf der Erde. Zum Beispiel Engel – oft in der "Verkleidung von gewöhnlichen Menschen", die "voller Liebe, Mitgefühl, Vergebung und Opferbereitschaft" leben.
In Tracy Chapmans Song verschwimmen die Grenzen zwischen Jenseits und Diesseits. Sie respektiert den Glauben – gerade das ist der Grund, weshalb sie den Blick auf die irdische Wirklichkeit lenkt. "Die Welt ist unsere Kirche", singt sie am Ende.
Viele Christen empfehlen die fromme Praxis des stillen Bibellesens: An jedem Tag, meist am Morgen, solle man einen biblischen Text meditieren. Eine Zeitlang habe ich es versucht. In-zwischen bin ich umgestiegen: An jedem Tag höre ich einen Song aus meiner "Rock-Bible"-Playlist. Schwelge in der Jesus-"Hymn" von Barclay James Harvest, frage mich mit Joan Osborne, wie es denn wäre, wenn Gott "One of Us" wäre und möchte mich wie Marius Müller-Westernhagen von Engelsflügeln zudecken lassen, so singt er es im Song "Engel". Meine pro-testantische Hochschätzung des Wortes hat einen Dämpfer bekommen, seit ich spüre, wie Musik die frohe Botschaft, dass Gott mir nahe ist, viel tiefer im Herzen verankert, als Texte es vermögen.
Glaube findet im Herzen und in der Seele statt. Und da zählen Gefühle. Die werden heute durch Pop-Songs geweckt. Das ist bei mir so – und bei unzähligen anderen. Es geht eben nicht nur darum, dem Volk aufs Maul zu schauen, wie Martin Luther sagte. Heute geht es auch da-rum, dem Volk in die Playlist zu schauen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
1. Leonard Cohen: Suzanne
2. Bob Dylan: "Man Gave Names to All the Animals"
3. U2: 40
4. Mahalia Jackson: "Peace in the Valley
5. Chris de Burgh: "Bethlehem"
6. Lady Gaga: "Judas"
7. Bruce Springsteen: "Jesus Was an Only Son"
8. Tracy Chapman: Heaven‘s Here on Earth
9. Barclay James Harvest: Hymn (Intro)
10.Led Zeppelin: Stairway to Heaven