Stimmungsschwankungen
Pfarrer Benedikt Welter
23.01.2016 22:50

Einen guten späten Abend, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!

»Stimmungsschwankungen«, die kenne ich in meinem Leben. »Himmelhochjauchzend – zu Tode betrübt«. Oft weiß ich nicht, wo sie herkommen. Sie ist einfach da, die Stimmungsschwankung, und nimmt mich in Beschlag.

Was ich für mich gut nachzeichnen kann, das wird schwierig, wenn es um unsere Gesellschaft geht. Wenn eine ganze Gesellschaft kollektiver Stimmungsschwankung unterworfen ist.

Das Stimmungsschwankungsmessgerät ist die Demoskopie. Das sind die Umfragen.  Vom Sommer 2015 bis jetzt wird eine gewaltige Schwankung gemessen: Aus »Willkommen« ist »Misstrauen« geworden. Statt »Willkommensnetzwerken«   gründen sich »Bürgerwehren«.

Und dem  folgen auf dem Fuß politische Forderungen. Stimmung wird zur Tagespolitik.

Ob das für unsere Gesellschaft gut ist?

Betrachte ich mein eigenes kleines ICH, so zeigt die Erfahrung: Stimmungsschwankungen sind keine gute Grundlage für Entscheidungen. Weder euphorisches Hochgefühl, noch tiefer Missmut halten das durch, was ich in ihnen entscheide. Das wird Murks. Und ich bereue schnell. Der hl. Ignatius von Loyola, Gründer des Jesuitenordens, war ein tiefer Kenner der menschlichen Seele. Er rät, Entscheidungen nur dann zu treffen, wenn ich in mir den Grundakkord des Trostes trage.

Das heißt: In Allem alltäglichen Auf und Ab spüre ich ein inneres Getragensein. Da ist ein Boden nicht unter sondern in mir,  auf dem ich stehen kann. Keine Achterbahn der Gefühle. Und auf diesem Grundgefühl des Trostes kann ich auch weitreichende Entscheidungen treffen.

Wie wäre es, diese Grundeinsicht auf unsere Gesellschaft anzuwenden. Ich bin davon überzeugt: Wir kommen nicht wirklich weiter, wenn  Stimmungen Grundlage von Entscheidungen sind. Von Entscheidungen, die für einzelne Menschen ebenso bedeutend  sind wie für unser Zusammenleben.

Ich weiß: Der Politik wird oft vorgehalten, kurzfristig nur bis zur nächsten Wahl zu denken. Im Blick auf die aktuellen Stimmungsschwankungen ist das ein wirkliches Dilemma: zu ihrem Kurs stehen mit dem Risiko, bei der nächsten Wahl abgewatscht zu werden? Oder der Stimmung nachgeben auf die Gefahr hin, gewonnene Einsichten und grundsätzliche Überzeugungen aufzugeben?

Aber es sind ja »gesellschaftliche Stimmungsschwankungen«, die dieses Dilemma erzeugen. Und hinter dem »Uns« von Gesellschaft stecken die Köpfe von vielen »ICHs«.  Ihrer. Meiner.  Der von jedem und jeder in diesem Land.

Und diese Köpfe  denken zurzeit sehr gespalten:  »Wir schaffen das!« »Wir schaffen das nicht!« »Wir wollen das nicht!«

Mein Kopf denkt: mit solchen Schlagworten kommen wir nicht weiter. Weder meine noch kollektive Stimmungsschwankungen sind eine Basis für Entscheidungen.

Hilfreicher finde ich da einen Satz des Apostels Paulus: »Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern einen der Besonnenheit und der Kraft«!

Das nährt den »Trost«, von dem Ignatius spricht. Basis für Entscheidungen. Auch für die Entscheidung, den eingeschlagenen Weg in der Flüchtlingsfrage konsequent fortzusetzen, mit allen Schwierigkeiten:  Menschen, die um ihr Leben fürchten und ihre Heimat verloren haben großherzig aufzunehmen, und alles zu tun, um ihnen bei uns, d.h. in Europa, eine neue Heimat an zu bieten.      

Ich wünsche Ihnen einen besonnenen und tröstenden Sonntag.