Wort zum Tage
Käpt'n Ricklef Petersen
08.11.2016 05:23

Auf Hallig Hooge, einer Handvoll Erde im nordfriesischen Wattenmeer, bin ich einem alten Schiffer begegnet. Käpt´n Ricklef Petersen war sein Name. Ihm zuzuhören, wenn er aus seinem Leben erzählte, war für mich etwas Besonderes. Es war, als hätte er mehrere Leben gelebt. In jungen Jahren lag Ricklef mit Vorliebe im Halligflieder der Salzwiesen. Wenn ihm dann der Wind das Geräusch und den Geruch des Meeres zutrug, vergaß er, was um ihn herum war. Ihm fielen keine Worte ein zu sagen, wie wunderbar das Meer war und die Winde und das Kreischen der Möwen und Austernfischer. Auf dem Wasser fand er seine Bestimmung. Unvergesslich ist mir, wie er zu seinem ersten Schiff kam.

 

Es war im November, in einer von Blitzen erhellten Sturmnacht. Orkanböen hatten die Hallig unter Wasser gesetzt. Auf den Warften traf man Schutzmaßnahmen gegen Wasser und Sturm. Dabei geschah es, dass sein Onkel, der Schiffer Ingwer Brodersen, tödlich verunglückte. Später wurde erzählt, der Engel des Todes sei als Blitz über ihn gekommen. Der habe sich aus einer schwarzen Wolkenwand gelöst, sei dann aber nicht ins Wasser gefahren und verschwunden, sondern wie ein feuriger Ball weitergerollt – genau dorthin, wo der Schiffer stand, als habe er ihn, nur ihn gesucht.

Warum er? „Ich verstehe das bis heute nicht“, erklärte Ricklef Petersen und sah mich mit fragenden Augen an. Es war sonst nicht seine Art, viel über solche Dinge nachzudenken. Umso überraschter war ich, als er leise wie zu sich selbst sagte: „Ist wohl so: Der Tod schaut nicht auf den Kalender. Und niemand weiß, was ihm der Morgen bringen wird.“

 

Der Tod seines Onkels stellte Ricklef nicht nur vor Fragen. Er brachte ihn ins Grübeln, als er aus dem Testament des verstorbenen Onkels erfuhr, dass der Schiffer Ingwer Brodersen ihn, Ricklef Petersen, zu seinem Nachfolger bestimmt und ihm sein Schiff, den Frachter „Vorwärts“, überschrieben habe.

Ricklef machte sein Patent in Husum und hat von da an Inseln und Halligen mit Sand und Baumaterialien versorgt, Einkäufe in Husum gemacht und Schafe und Lämmer ans Festland gebracht.

Der Tod seines Onkels blieb für Ricklef ein großer Schmerz, den er zeit seines Lebens in sich bewahrte. Dass das Unglück des Einen zum Glück des Anderen wurde, blieb ihm ein großes Geheimnis. Ist es am Ende vielleicht töricht, zwischen glücklichen und unglücklichen Ereignissen zu unterscheiden? fragte er sich und pflegte fortan zu sagen: „Keiner kennt die Beschlüsse des Himmels, keiner!“ Doch war er sicher, dass es eine Macht geben müsse, die Welt und Leben bestimmt.