Ende Juni 1989 haben Ungarn und Österreich den Grenzzaun zwischen ihren Ländern durchschnitten. Das war der Anfang vom Ende des Eisernen Vorhangs, der Beginn der Freiheit.
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Ende Juni 1989 geschah etwas damals Unvorstellbares: Zwei Außenminister – Alois Mock aus Österreich und Gyula Horn aus Ungarn – schnitten gemeinsam den Grenzzaun zwischen ihren Ländern auf. Es war nur ein symbolischer Akt, aber ein großer: Der erste sichtbare Riss im Eisernen Vorhang, der Europa Jahrzehnte geteilt hatte.
Wer damals dabei war, spricht oft von einem Gänsehautmoment. Es war, als würde ein Fenster aufgehen, das so lange verschlossen war, dass man kaum noch an Luft geglaubt hatte. Kurz darauf kamen Tausende Menschen über diese Grenze – viele aus der DDR – und machten sich auf in ein neues Leben. Die Freiheit war nicht mehr aufzuhalten.
Europa hat sich seither verändert. Grenzen wurden geöffnet, Mauern fielen, Menschen fanden zusammen. Doch heute, 36 Jahre später, spüren wir: Diese Freiheit ist keine Selbstläuferin. Populistische Stimmen werden lauter. Sie schüren Angst, ziehen neue Grenzlinien – nicht aus Stacheldraht, sondern in Herzen und Köpfen. "Wir zuerst", "die anderen raus" – solche Parolen erinnern schmerzhaft daran, wie zerbrechlich das europäische Projekt ist.
Als Christ habe ich eine andere Vision: Ich glaube zusammen mit vielen anderen an eine Freiheit, die nicht auf Abgrenzung, sondern auf Wahrheit gründet. Jesus sagt: "Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen."
Wahrheit – das klingt so schlicht. Doch sie ist heute oft schwer auszumachen im Lärm der schnellen Meinungen. Wahrheit heißt: Genau hinschauen. Zuhören. Unbequeme Fakten nicht ausblenden. Und auch: Die eigene Verstrickung in Ungerechtigkeit anerkennen. Jesus meint nicht bloß äußere Freiheit, sondern die innere. Die, die das Herz weit macht. Die uns befreit von Hass, Neid, Misstrauen. Freiheit ist kein Besitz, sondern ein Auftrag.
Ich glaube: Auch heute brauchen wir mutige Menschen wie 1989. Menschen, die symbolische Zäune zerschneiden. Die Brücken bauen, wo andere Mauern errichten wollen. Die nicht zuerst fragen: "Was kostet es mich?", sondern: "Was dient dem Leben?"
Vielleicht sind es gerade Christinnen und Christen, die diesen Dienst neu entdecken müssen: Friedensstifter zu sein. Freiheitsbotschafterinnen. Wahrheitsliebende. In einer Zeit, in der viele lieber spalten als verbinden, dürfen wir erinnern: Unser Glaube stellt keine Grenzen auf – er durchbricht sie.
Ich höre nicht auf, für ein freies, versöhntes Europa zu beten und zu arbeiten. Für eine Freiheit, die nicht nur erlaubt, sondern befähigt. Die nicht nur schützt, sondern aufrichtet. Die nicht nur mir gehört – sondern allen.
Es gilt das gesprochene Wort.
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