Wort zum Tage
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Schuldfrage
von Pfarrer Steffen Madloch
19.10.2023 06:20
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Warum ist der Ungeist des Antisemitismus immer noch anzutreffen? Für mich ist es unerträglich und beunruhigend, immer noch mit diesem uralten Hass konfrontiert zu werden, der das Miteinander vergiftet und die Gesellschaft spaltet. Aktuell erleben wir, wie auf Grund des ungelösten Nahostkonflikts das Existenzrecht eines jüdischen Staates blutig bekämpft wird und auch bei uns antisemitisches Gedankengut befördert und der Hass gegen Juden auf die Straße getragen wird. Es ist noch ein weiter Weg, um eine Welt zu schaffen, in der weder Hass noch Diskriminierung Platz haben. Aber es muss endlich Schluss sein mit dem Antisemitismus!

Als Christ muss ich mich da zuerst an die eigene Nase fassen.

Denn meine eigene christliche Tradition hat dem modernen Antisemitismus den Weg bereitet.

Paulus, selbst gläubiger Jude, hat sich in seinen Schriften zu hasserfüllten Aussagen gegen seine eigenen Schwestern und Brüder hinreißen lassen. Unkommentiert sind diese Sätze hochexplosiv bis heute. Und der Evangelist Johannes schreibt in seinem Blick auf die Leidensgeschichte Jesu von DEN Juden, die Jesus letztendlich ans Kreuz bringen. Dabei haben die Römer auf Befehl von Pilatus Jesus gekreuzigt. Die Jahrhunderte währende Unterdrückungsgeschichte der Juden zeigt sich an manchen Kirchen. Dort sieht man dann – meist im Kirchenportal - die erhabene starke Kirche in Gestalt einer schönen Frau dargestellt, und ihr gegenüber eine gebrochene blinde Frau als Zeichen einer vergehenden Synagoge. (1)

Sich als Kirchen dem Antisemitimus entgegenzustellen und die eigene Mitschuld an der Ermordung von sechs Millionen Juden erstmals in den Blick zu nehmen, das versuchten heute vor 78 Jahren Christen der Evangelischen Kirchen in Deutschland im Stuttgarter Schuldbekenntnis. Ein erster, wenngleich auch schwacher Ansatz, sich dem eigenen Versagen zu stellen.

Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben. Dieser Satz beschreibt zwar bei weitem nicht die Tiefe und Abgründigkeit der kirchlichen Schuld, war aber zumindest ein Anfang.

Es fiel und fällt schwer, klar zu benennen, was falsch gewesen ist. Das ist im Großen so und auch im kleinen Privaten. Dabei gibt es eigentlich keine Alternative zur Wahrheit, wenn man Miteinander gut leben und sich versöhnen will. Jesus sagte einmal: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Wie recht er hat. Es ist kein leichter Prozess, die Wahrheit über das eigene Versagen und die eigene Schuld anzugehen. Aber nur so können wir als von Schuld befreite weitergehen und den Antisemitismus dort entsorgen, wo er hingehört: auf den Müllhaufen der Geschichte.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Anmerkungen:

  1. Ecclesia und Synagoge, auch Ekklesia und Synagoga, sind zwei allegorische weibliche Figuren, die in der christlichen Ikonographie des Mittelalters personifiziert das Christentum und das Judentum symbolisierten. Gemäß dem Schema von Typus und Antitypus wurden sie meist paarweise gegenübergestellt. Z.B. Straßburg, Cathédrale Notre-Dame; Fürstenportal vom Bamberger Dom; Am Chorbogen in der Herz-Jesu-Kirche in Berlin Prenzlauer Berg u.a.