Danken - ein Tauschgeschäft?
Zum Dank für die Betreuung bei der Geburt ihres zweiten Kindes schenkt Frau März der Hebamme ein Pfund eines guten Kaffees. Die Hebamme freut sich, in der Schichtarbeit kann sie Kaffee immer brauchen. Als am Abend das Auto der Hebamme nicht anspringt, leistet eine ältere Dame ihr Starthilfe. Sie so dankbar, dass sie den Kaffee weiterschenkt. Ihre Retterin freut sich, denn Kaffee duftet immer so gut. Zu Hause angekommen stellt die Dame fest, dass ihr Kühlschrank leer ist und bricht hungrig auf zum Supermarkt. Als sie im Flur auf ihren Nachbarn trifft, lädt der sie kurzerhand zum Essen ein. Zum Dank für den geretteten Abend und das leckere Ofengemüse schenkt sie ihm den guten Kaffee. Der Nachbar freut sich sehr, denn er probiert gern neues und diese Kaffeesorte kennt er noch nicht. Am nächsten Morgen verschläft er und weckt seine Tochter zu spät. Die ist wütend, weil sie nun den Schulweg rennen muss. Doch draußen treffen sie eine Klassenkameradin mit ihrer Mutter und da im Fahrradanhänger noch Platz ist, kann die Tochter mitfahren. Die zweifache Mutter staunt jedoch nicht schlecht als am Abend vor ihrer Wohnungstür ein Pfund eines besonders guten Kaffees steht. Hatte sie nicht genau den gestern ihrer Hebamme geschenkt?
Dank funktioniert wie dieser Kaffee: Tut mir jemand etwas Gutes, dann will ich etwas zurückgeben. Ich habe das Gefühl, eine Gegenleistung schuldig zu sein; ich will wieder „Gerechtigkeit“ herstellen. Wenn ich dann gerade kein Pfund Kaffee parat habe, das ich verschenken kann, dann biete ich als Gegenleistung einfach meine Dankbarkeit an. Hinter diesem Denken liegt ein Gleichheitsprinzip, das sich sogar bei manchen Tieren beobachten lässt. „Wie du mir, so ich dir“.
Wie dankt man Gott?
Was passiert aber, wenn es gar keinen Menschen gibt, dem ich dankbar sein kann? Wenn es nicht um Starthilfe beim Auto geht, sondern um einen schönen Traum oder die Erlebnisse der letzten Woche? Manche nehmen diese Momente einfach als glückliche Zufälle und belassen es dabei. Andere haben aber auch in diesen Momenten das Gefühl, irgendwem irgendwas zurückgeben zu wollen oder vielleicht sogar: zu müssen. Eben einen „Dank schuldig zu sein“.
Wer dieses Gefühl vor 2000 Jahren hatte, konnte ganz simpel in einen Tempel gehen und dort Wein, Getreide oder Fleisch für ein Dankopfer abgeben. Dann brachte ein Priester oder eine Priesterin diese Gaben als Dankopfer einer Gottheit dar und der Dankesschuld war genüge getan. Angenommen aber, ich bin Christin im 21. Jahrhundert, wohin dann mit meiner Dankbarkeit? Wie kann ich danken, wenn nicht Menschen mein Dank gebührt?
Danken kommt von denken
Die Etymologie ist die Wissenschaft, die sich mit der Herkunft von Wörtern befasst. Man ist dort der Meinung, dass „Dank“ sich vom Verb „denken“ ableitet, genauso wie der „Gedanke“. Danken heißt: denken an etwas Gutes, das mir widerfahren ist. Und Dank ist das Gefühl, das mich bei diesem „Denken an…“ überkommt. Das ist nun fast so simpel, wie in den Tempel zu gehen für ein Dankopfer. Vielleicht sogar noch einfacher, denn „denken an etwas Gutes, das mir widerfahren ist“ kann ich von überall und es kostet nicht einmal etwas. Vielleicht ist es aber auch nicht so einfach, denn dieses „denken an…“ ist auch eine Übungssache, vergleichbar dem Meditieren.
Achtung Denkfalle!
Ein bekannter Kalenderspruch zum Thema ist dabei mit Vorsicht zu genießen: „Nicht die Glücklichen sind dankbar, sondern die Dankbaren sind glücklich“. Das klingt, als wäre ich selbst schuld, wenn ich nicht glücklich bin, als müsste ich einfach nur dankbarer sein. Doch es muss sauber getrennt werden zwischen meinem Dank und dem, wofür ich dankbar bin. Dank als „denken an…“ kann ich üben. Das, wofür ich dankbar bin, kann ich weder üben noch herbeizaubern. Wie viel Gutes ich in meinem Leben erfahre, liegt völlig außerhalb meines Einflussbereichs.
Weil das so ist, bietet die Bibel uns Texte für beide Situationen: zum „denken an…“ Gutes und Schlechtes:
Fürs denken an etwas Gutes z.B. Psalm 92:
„Das ist ein köstlich Ding, Gott danken und lobsingen deinem Namen, du Höchster. … Denn, Gott, du lässest mich fröhlich singen von deinen Werken, und ich rühme die Taten deiner Hände. …“
An Schlechtes kann hingegen z.B. mit Psalm 22 gedacht werden:
„… Mein Herz ist in meinem Inneren wie zerschmolzenes Wachs. Mein Körper ist ausgetrocknet wie eine Scherbe aus Ton. Meine Zunge klebt mir am Gaumen. Du hast mich in den Staub gestoßen und wie tot liegen lassen…."
Das klagende Denken nennt man im Norddeutschen übrigens „janken“. Klingt fast wie eine Mischung aus „jammern“ und „danken“…
Vikarin Anna Julia Weingart hat in Berlin und Kyoto evangelische Theologie studiert. Anschließend arbeitete sie als Büroassistenz für die evangelischen Senderbeauftragten im Deutschlandradio. Seit September 2023 ist sie Vikarin in der bayrischen Landeskirche.