Guten Abend, meine Damen und Herren!
Den Witz kennen wahrscheinlich alle. Er passiert gerade immerzu in meinen Seelsorge-Gesprächen. Also: Ein Mann fährt abends auf der Autobahn. „Achtung, eine wichtige Verkehrsmeldung!“ unterbricht die Moderatorin die laufende Musik. „Vorsicht, Falschfahrer auf der A9 zwischen Vockerode und Dessau! Ich wiederhole: Falschfahrer auf der A9 zwischen Vockerode und Dessau!“ Und der Autofahrer am Steuer empört sich: „So’n Quatsch, nicht nur ein Falschfahrer, hier sind Dutzende unterwegs!“
Das also ist eine typische Situation in meinen Seelsorge-Gesprächen. Es sitzen natürlich nicht lauter Falschfahrerinnen und Falschfahrer bei mir. Aber mir begegnen in letzter Zeit mehr Menschen mit diesem Lebensgefühl: Mir kommen ständig Falschfahrer entgegen. Ich fahre in die richtige Richtung, die anderen kommen mir entgegen. Ich bin richtig, die anderen liegen falsch. Kein Gedanke wie: Mensch, könnte es vielleicht auch an mir liegen? Habe ich vielleicht den Fehler gemacht, bin ich falsch abgebogen? Nein, schuld sind immer die anderen! Oder schuld sind die Umstände. Und dann? Dann fühle ich mich schnellmachtlos. Tja, was tun mit solchen Leuten, die keine Fehler zugeben? Die biblisch gesprochen den Splitter im Auge des anderen sehen, aber den Balken im eigenen nicht.
„Du siehst den Splitter im Auge deines Gegenübers. Bemerkst du nicht den Balken in deinem eigenen Auge? Wie kannst du zu deinem Gegenüber sagen: ›Komm her! Ich zieh dir den Splitter aus deinem Auge.‹ Dabei steckt doch in deinem eigenen Auge ein Balken! Du Scheinheiliger! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge. Dann hast du den Blick frei, um den Splitter aus dem Auge deines Gegenübers zu ziehen.“
Das hat Jesus gut auf den Punkt gebracht. Wenn du einen Balken im eigenen Auge hast, siehst du nicht gut, ist dein Urteilsvermögen eingeschränkt. Deshalb guck‘ erst mal bei dir selbst. Mach‘ deinen Blick frei! Sieh‘ dich nicht immer gleich als Opfer. - Das ist aber total schwierig anzusprechen. Viele machen da dicht.
Dichtmachen oder Vertuschen verändert nichts. Es verbraucht nur Energie. Und ich merke als Seelsorger, dass ich mich immer weniger auf diese Strategie einlassen will. Es sind nicht immer die anderen schuld. Punkt aus. Ich will diese Haltung nicht auch noch mit falschem Mitgefühl stärken. Im Kleinen wie im Großen: Mensch, warum ist es z.B. in Politik und Kirche so schwer, eigene Fehler zuzugeben? Dass jemand mal die falsche Richtung eingeschlagen hat und die Verantwortung dafür übernimmt, was er oder sie verzapft hat. Wovor haben diejenigen Angst? Als schwach zu gelten? Als inkompetent? Macht zu verlieren?
Ich bin davon überzeugt: Es ist genau anders herum! Meine Projekte und ich haben sich am meisten entwickelt, wenn ich Fehler offen eingestanden habe. Natürlich fällt es auch mir nicht leicht. Aber ich habe gemerkt, dass es so viel Energie kostet, den Balken in meinem Auge für mich und andere unsichtbar zu machen, zu vertuschen. Und was es für eine Befreiung ist, den Balken ehrlich rauszuziehen, wieder klar zu sehen und Energie für das Wesentliche zu haben.
Ich wünsche Ihnen eine behütete Nacht.
Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
Redaktion: Ulrike Bieritz