Alles bleibt anders
09.11.2024 23:35

Eine Woche vollgepackt mit Veränderungen in der Welt und bei uns zuhause. Und dann auch noch das Gedenken an die große Veränderung in Deutschland, am 9. November 1989. Der Mauerfall ist schon 35 Jahre her. Wie lange brauchen wir Menschen, um uns darauf einzustellen, dass sich die Welt scheinbar immer schneller dreht, fragt der Berliner Pfarrer Alexander Höner. Er spricht in seinem Wort zum Sonntag über die biblische Perspektive der Langfristigkeit.

Samstags ab 17:00 Uhr können Sie an dieser Stelle den Sendetext nachlesen.

Guten Abend, meine Damen und Herren!
Was für eine Woche! Was für riesige, schwerwiegende Veränderungen! Und dann auch noch heute der 9. November. Kein anderes Datum steht so für ein-schneidende Veränderungen in Deutschland wie der 9.11. Vor 35 Jahren auch der Mauerfall. 

"Ost und West ist in Berlin kein Thema mehr." Das sagte wirklich mein damaliger Chef. Im Jahr 2009! Ich lebe jetzt seit 15 Jahren in Berlin. Und ich kann voller Überzeugung sagen: "Ost und West war und ist für viele weiterhin ein Thema."
Wenn ich nämlich als Seelsorger bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen ost-deutsche Biografien höre, dann spüre ich so oft den größten Schmerz dort, wo es darum geht, von anderen bestimmt worden zu sein. Im Rückblick auf ihre Zeit in der DDR sagte das eine Frau neulich so: "Da lebst du dein Leben, arbeitest, verliebst dich, bekommst Kinder und versuchst wie alle anderen auch, einfach den Alltag zu meistern. Und plötzlich dreht sich alles. Und du hörst Leute sagen, dass es falsch war, wie du gelebt hast. Du verlierst deinen Job. Deine Ausbildung wird nicht anerkannt. Und wenn du selbst zurückschaust, fühlt sich das an, als wenn andere über dein Leben bestimmt hätten." 

So ein Statement 35 Jahre nach dem Mauerfall. Das sitzt tief. Die eigene Lebensgeschichte von anderen einfach umgeschrieben, schlechtgemacht. Und das her-beigesehnte gelobte neue Land will nicht kommen und wird nicht zum Paradies. Und nun höre ich schon die anderen Stimmen: "Mit diesen Gefühlen muss doch mal Schluss sein. Hört endlich auf zu jammern. Ihr seid nicht nur Opfer. Wir haben euch doch die besten Chancen eröffnet. Guckt nach vorn." 

Doooch: Ost und West ist weiter ein Thema bei uns. Für die einen hat sich wenig verändert, für die anderen waren es viele erzwungene Veränderungen, heftiger und schmerzlicher. 

Diese Verletzungen sind bis heute noch nicht verheilt. Und wenn jetzt einer sagt, das ist alles ein langer Weg, dann verdrehen viele die Augen. Es muss doch nach 35 Jahren mal fertig bearbeitet sein. 

Nein! Muss es nicht. Bei   Veränderungen, die über einen/eine hereinbrechen, gibt es keinen festgelegten Zeitplan. Solche Erlebnisse, die eine ganze Biografie umschreiben und infrage stellen, bleiben manchmal über Generationen hinaus schmerzlich. Eine gefühlte Ewigkeit. Doch wenn man den Maßstab der Bibel an-legt, dann gibt es da die Perspektive der Langfristigkeit. Den großen Bogen, die lange Zeit. Das Volk Israel war 40 Jahre heimatlos in der Wüste unterwegs. 40 Jahre. 

Erzwungene Veränderungen und der Schmerz darüber heilen auf einem langen Weg. Das ist auch meine Erfahrung als Seelsorger, sozusagen als Veränderungs-begleiter. In einer kurzlebigen Zeit wie der unseren, ist Langfristigkeit schwer auszuhalten.

Ost und West – das bleibt als Aufgabe für uns alle. Nicht überheblich zu sein und abzuwerten, sondern einander zuzuhören, ernst zu nehmen und gemeinsam an der Heilung zu arbeiten. Das stärkt unser persönliches Leben, unsere Gemeinschaft und sorgt schlussendlich dafür, das zusammenwächst, was zusammengehört.

Ich wünsche Ihnen in Ost und West eine behütete Nacht
 

Sendeort und Mitwirkende

Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)

Redaktion: Ulrike Bieritz
 

Das Wort zum Sonntag