Echt jetzt? Sorry?
Nach den Tagesthemen im Ersten.
18.10.2025 23:50

Viele kennen es aus ihrer Kindheit, wo sie sich unter dem sanften Druck der Eltern wieder mit jemandem vertragen mussten. Oder aus dem Fußball, wo eine Entschuldigung dazugehört. Manchmal aus Sportsgeist, aber manchmal auch nur, um den Schiedsrichter zu besänftigen. Ist das noch authentisch oder sind das hohle Gesten, die nichts bringen? Darüber spricht der Berliner Pfarrer Alexander Höner in seinem Wort zum Sonntag

Samstags ab 17 Uhr können Sie an dieser Stelle den Sendetext lesen.

Gesten, die einem voraus gehen

Guten Abend zu später Stunde.

"Erst mal entschuldigst du dich, dann reden wir weiter." – Hat das schon mal jemand so schroff zu Ihnen gesagt? "Erst mal entschuldigst du dich…" Das ist ganz schön hart. Ich hab’s erlebt.

Ich hatte als Junge im Garten unserer alten Nachbarin gespielt und dort einen Zweig von einem Apfelbaum abgebrochen – einfach so. Die Nachbarin sah das: "Ey, Du tust doch dem Baum weh". Ich rannte schnell weg. Zuhause spürte mein Vater, dass irgendetwas mit mir war. Ich erzählte es ihm und dann kam dieser Satz: "Erst mal entschuldigst du dich, dann reden wir weiter." Was war das damals für eine Überwindung für mich. Gemeinsam gingen wir zur Nachbarin. Und ohne sie angucken zu können, quetschte ich ein "Entschuldigung" über meine Lippen.

Etliche Jahre später habe ich dann erlebt, wie es auch ganz anders geht. Ein "Tut mir leid", das locker über die Lippen kommt. Als Student habe ich ein halbes Jahr auf den Fidschi-Inseln gelebt. Und wenn man dort irgendwo eingeladen war, dann hat man sich erst einmal entschuldigt. Ich wusste nicht warum. Der Sinn: Man könnte ja dem Gastgeber irgendwann einmal Unrecht getan haben – bewusst oder unbewusst. Und das sollte nicht im Raum stehen.  Also hab‘ ich’s auch gemacht, mich entschuldigt – die ganzen sechs Monate.

Man könnte nun bei beiden Erfahrungen protestieren: "Wie? Was ist denn das für ‘ne Entschuldigung, wenn ich mich immer gleich automatisch pro forma entschuldige oder ich dazu gezwungen werde?! Das ist doch dann nicht ehrlich, nicht authentisch."

Klar, klar können Entschuldigungen auch missbraucht werden und nicht ehrlich sein. Aber was heißt hier eigentlich ehrlich? Wer hat sich denn nicht schon mal entschuldigt, obwohl er mit seinem Herzen noch nicht so weit war. Kommt doch vor, oder? Meine Entschuldigungs-geste überholt mich dann praktisch. Und idealerweise folgt ihr dann auch mein Herz.

Das ist bei manchen öffentlichen Entschuldigungen genauso: Nehmen Sie den Kniefall von Willy Brandt beim Gedenken an das Warschauer Ghetto. Ungefähr die Hälfte der Deutschen sah diese Geste des damaligen Bundeskanzlers erst einmal kritisch. Doch sie war so wichtig für den weiteren Versöhnungs-prozess. Auch beim sogenannten Stuttgarter Schuldbekenntnis ging es einigen damals zu schnell. Die evangelische Kirche bekannte sich darin zur Mitverantwortung für die Verbrechen des NS-Regimes. Morgen jährt sich die Veröffentlichung zum 80. Mal. Trotz der Kritik war es ein Meilenstein auf dem Weg, sowas niemals wieder geschehen zu lassen.

Es ist also gut, wenn unsere Gesten uns vorausgehen. Natürlich wäre es besser, wenn auch das Herz gleich dabei wäre. Aber das ist manchmal nicht möglich. Die Geste zeigt: Auch wenn ich den Fehler noch nicht hundertprozentig einsehe, ist es besser, Versöhnung anzubieten als sich einzumauern oder hochzurüsten. Ich wünsche Ihnen eine behütete Nacht.