Ilka Sobottke: Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, wir stehen hier in Frankfurt am Main. Eigentlich sollten an diesem Wochenende tausende Junge und Alte, Gläubige und Zweifelnde zum Ökumenischen Kirchentag hier sein.
Wolfgang Beck: Diese Tische zeigen uns, wie wichtig es trotzdem ist zusammen zu kommen. ‚Schaut hin!‘ ist das Motto dieses Kirchentags.
Ilka Sobottke: Uns ist das so wichtig, dass wir hier zusammen sind als evangelische Pfarrerin und katholischer Pfarrer. Schaut hin!
Wolfgang Beck Das ist der dritte Kirchentag, bei dem Christ*innen unterschiedlicher Kirchen das Gemeinsame betonen. Das ist uns wichtig – denn das gibt es derzeit viel zu selten. Politische Konflikte, wie gerade in Israel und Palästina, eskalieren. Wer nur auf sich schaut, nimmt auch vieles um sich herum nicht wahr.
Ilka Sobottke: Schaut hin! Dieses Motto des Kirchentags gilt eben auch weltweit. Wer jetzt denkt: „Wir versorgen uns mal schön selbst mit Impfstoff!“, der wird realisieren, dass dann die Mutationen aus Indien oder Lateinamerika die Erfolge schnell wieder in Frage stellen.
Wolfgang Beck: Was mir hier in Frankfurt auffällt, ist irgendwie immer zwischen glänzenden Fassaden im Vordergrund und Menschen, die aus dem Blickfeld verschwinden. Wohnsitzlose ohne Papiere, ohne Aufenthaltsstatus – Leute für die das ganze Leben schwierig ist, auch sich impfen oder nur testen zu lassen.
Ilka Sobottke: „Schaut hin!“ ist deshalb auch eine notwendige Provokation: die Wirklichkeit ist oft verstörend anders als wir sie uns zurechtlegen. Also: schau nicht nur dahin, wo alles in dein Konzept vom Leben passt. Und lass dich nicht von Fake News verführen.
Wolfgang Beck: Schau nicht nur dahin, wohin dein Blick gelenkt werden soll:
auf die Glasfassaden der Bankentürme oder auf die Erzählungen von den glanzvollen Karrieren. Schau auch auf die Menschen im Schatten.
Ilka Sobottke: Wer hinter die Fassaden schaut, für die wird es unbequem. Dann muss ich mich von optimistischen Träumen verabschieden: Vom Traum, mit ein bisschen Anstrengung kann es hier doch jeder zu was bringen.
Wolfgang Beck: Schau hin – Wer zur Seite blickt, der beginnt geradeaus zu denken. Dem und der fällt auf, dass das Leben nicht funktioniert, wenn es in allen Bereichen der Gesellschaft mit den Logiken des Marktes und des Wettbewerbs gestaltet wird.
Ilka Sobottke: Ich kann nicht hinsehen, ohne in Bewegung zu kommen: für die unter den Brücken, für die vergessenen Kinder. Schau hin, mir macht das Wut und Mut. Ich will nicht nur hinsehen, sondern auch etwas ändern. Ich will nach Gelegenheiten zur Gemeinschaft suchen, gerade zwischen Menschen, die unterschiedlicher Meinung sind. Sich an einen Tisch setzen, miteinander sprechen, aufeinander hören, das sind vielleicht die größten Herausforderungen dieser Zeit.
Wolfgang Beck: Wenn ich wirklich hinschaue und ehrlich zu mir selbst bin, habe ich schon begonnen zu handeln. Das gilt auch für das Zusammenarbeiten der christlichen Kirchen – untereinander und mit allen anderen. Sich gegenseitig eben nicht zu ignorieren oder abzugrenzen, sondern anzuschauen und das Liebenswerte und Wertvolle an den Anderen zu entdecken, das wäre nicht nur Christ*innen zu wünschen.
Ilka Sobottke: Mitten in dieser konfliktreichen Zeit geht es also darum die Augen zu öffnen, schaut hin! Dann gelingt es vielleicht, mit denen, die ganz anders denken, neu zusammen zu kommen. Das wünschen wir Ihnen anlässlich des Ökumenischen Kirchentags. Bleiben Sie behütet.Einen guten Sonntag.
Südwestdeutscher Rundfunk (SWR)
Redaktion: Ute-Beatrix Giebel