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Die Sendung zum Nachlesen:
Der Campingplatz ist voll belegt, es ist Abend, und zwischen den Wolken färbt sich der Himmel rosarot. Ich sitze am Bodensee und sinniere über die Zeit. Endlich eine kleine Auszeit.
Auf der Wiese am See stehen locker verteilt ein paar Parkbänke. Vorn rechts sitzt ein Mann, Mitte 50, allein. Er hat sich ein Glas Wein mitgenommen, guckt entspannt auf den See.
Links eine Familie, drei Fahrräder sind geparkt. Der Vater spielt mit seinem vielleicht vierjährigen Sohn im Sand. Der Kleine hat noch nicht mal den Fahrradhelm abgenommen, so schnell hat er sich ins Buddeln und Bauen vertieft. Einmal ruft er zu seiner Mama herüber, doch die kriegt gar nichts mit, ist in Gedanken versunken und schaut aufs Wasser.
Alle hier sind in ihrer eigenen Zeit, denke ich. Völlig versunken im Jetzt und Hier.
Ich denke an unsere Nachbarin Claudia zuhause, wie sie mir neulich vom Spielen erzählt hat. Seit Jahren hat sie mal wieder mit einem Kind – und ich glaube auch wie ein Kind – gespielt. In der Nachbarschaft lebt eine Familie, die haben eine Tochter, Lea, die manchmal betreut werden muss. Sie ist acht und geht zur Grundschule. Und sie ist von Geburt an stark gehbehindert, auch ihre Blase kann sie nicht steuern. So ganz allein kommt sie nicht zurecht. Die Eltern freuen sich, wenn nachmittags mal jemand für sie da ist, mit ihr spielt oder Hausaufgaben macht.
Neulich ist also unsere Nachbarin spontan eingesprungen. Kaum ist sie da, hat Lea eine Idee. Sie stellt den Couchtisch im Wohnzimmer auf den Kopf, die vier Tischbeine ragen in die Luft, und plötzlich gibt es eine klar umrandete Spielfläche. „Komm, wir spielen Hotel!“, sagt sie und Claudia muss allerlei Bauklötze und Playmobilfiguren heranschaffen. „Hier wäre der Eingang“, sagt sie, „und hier die Zimmer“. Ein paar Bauklötze werden hin- und hergeschoben. Und dann geht’s los: „Ich wäre Emma, die kommt mit ihrem Papa, und du wärst jetzt Familie Jansen, die sind zu viert.“
Immer schön im Konjunktiv mit hätte und wäre, wie Kinder das so machen. Plötzlich entsteht eine ganze Geschichte. Bis Lea irgendwann verkündet, es sei jetzt Abend und alle gingen ins Bett. „Das kann doch nicht sein“, meint Claudia, unsere Nachbarin. „In der Nacht passiert gar nichts?“ „Doch“, sagt die zwölfjährige im Haus, Leas große Schwester. Sie hat bis dahin auf dem Sofa gesessen und irgendwas am Handy geguckt. Jetzt steht sie auf und kommt dazu.
„Am Ende haben wir zwei Stunden lang zusammen Hotel gespielt“, erzählt Claudia, immer noch ganz beseelt, „die Zeit ist wie im Flug vergangen.“ Die drei waren völlig versunken im Jetzt und Hier. Ausgestiegen aus allem, was sonst so dran ist an einem normalen Nachmittag unter der Woche. Leas Vater hatte inzwischen ganz in Ruhe seinen Unterricht für den nächsten Tag vorbereitet, er ist Lehrer an der Gesamtschule. Jetzt hatte er den Abend frei.
Wie gut, denke ich, wenn wir das, was wir tun, ganz tun. Nicht schon an irgendwas anderes denken, sondern spielen oder arbeiten oder träumen und auf den See gucken. Allein oder gemeinsam mit anderen. Völlig zweckfrei oder mit einer klaren Aufgabe.
Dann ist jede Zeit erfüllte Zeit. Ein Weisheitslehrer aus der Bibel, der Prediger Salomos, hat darin schon den Sinn des Lebens gesehen. Alles hat seine Zeit, sagt er: weinen und lachen, klagen und tanzen, abbrechen und bauen, schweigen und reden, leben und sterben.
Er meint: Gott hat alles wohl geordnet. Er gibt uns Menschen die Zeit, zu leben, und hat uns eine Ahnung der Ewigkeit ins Herz gelegt. Das Beste, was wir Menschen tun können, ist also, uns zu freuen und unser Leben zu genießen, solange wir es haben.
Ich weiß, es geht nicht immer, aber mit dieser Haltung will ich leben. Möglichst oft im Jetzt und Hier. Und in Verbindung mit dem, der mir dieses Leben schenkt.
Es gilt das gesprochene Wort.