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Momente sammeln
Glück genießen mit einem schwerstbehinderten Kind
05.12.2024 06:35

"Ihr habt zwei Optionen: Kai abgeben oder den Weg gemeinsam gehen." Das sagte ein Arzt zu den Eltern, nachdem er eine Schwerstbehinderung bei ihrem Kind festgestellt hat. Für die Eltern steht die Entscheidung sofort fest.

 

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Als Kai geboren wird, ist zunächst alles normal. Die Voruntersuchungen unauffällig, die Geburt geschafft, die Eltern glücklich. Doch schon in den ersten Tagen gibt es diese Auffälligkeiten. Immer wieder mal krampft der Kleine. Nach vielen Untersuchungen steht fest: Kai hat einen seltenen Gendefekt. Der Arzt fragt damals sehr direkt:

Jane: Ihr habt zwei Optionen. Wir können den Kai abgeben. Oder gehen wir diesen Weg gemeinsam? Und ich wusste überhaupt nicht, was der Arzt damit gerade wollte. Mit dieser Aussage, mit dieser Frage, und dann hat mein Mann geantwortet: Nein, der bleibt bei uns. Ja, das war halt einfach eine Liebeserklärung. Dass er bei uns bleibt. 

Die beiden erzählen ihre Geschichte im Podcast "Ansprechbar". Gastgeber ist der Schauspieler und Autor Samuel Koch. Kai ist heute neun Jahre alt. Entwicklungsverzögert, mehrfach schwerstbehindert, sagen die meisten. Besonders, sagen Jane und Michael.

Samuel: Hast du gar nicht gezweifelt, gehadert, sondern direkt gesagt: Kai, bleibt bei uns? 
Micha: Definitiv. Ohne mit der Wimper zu zucken. Und ich kann mich auch noch dran erin-nern, wie Kai dann da war, musste Jane kurz operativ behandelt werden. War keine große Sache, aber im Prinzip hatte ich dann Kai direkt nach seiner Geburt. 
Samuel: Vater-Sohn-Zweiergespräch. 

Micha: Richtig, genau. Dann war es geschehen. Dann war ich voll dabei. Feuer und Flamme. Wie heute noch. Es ist einfach schön, Papa zu sein und für die beiden da zu sein. Und in einer Beziehung zu sein, in einer Familien-Beziehung zu sein, die absolut funktioniert. Zum Glück sind wir meistens nicht gleichzeitig in einem Tief. Und das ist auch was Wun-derbares an dieser Ehe, dass wir uns da gegenseitig einfach ja stützen können. 

Der Alltag mit Kai ist herausfordernd. Da hat auch mal einer ein Tief. Ihr altes Sofa hieß ir-gendwann nur noch Trauersofa. Hier haben Jane und Michael oft gesessen und geweint, wenn sie aus der Klinik nach Hause gekommen sind. Belastend war das schon, und anstrengend ist es bis heute. Das Trauersofa haben sie eines Tages auf den Sperrmüll geschmissen. Auch im Wohn-zimmer steht heute ein großes Bett.

Micha: … ja, wir teilen uns sozusagen die Nachtdienste, es ist jeder einmal dran. Kai hat seinen Pflegebett im Schlafzimmer stehen, dass wir ihn da wickeln können, dass wir mit ihm da Therapie machen können, dass wir mit ihm da Spaß haben können, zwei-, dreimal die Nacht wird er dann auch so ein bisschen umgebettet, weil er das auch von sich aus nur recht schwierig kann.

Ein Kraftakt. Jede Nacht, jeden Tag, jede Woche. Wenigstens einmal im Jahr können die Eltern zusammen Urlaub machen, zu zweit. Dann ist Kai im Kinder- und Jugendhospiz "Sterntaler" in Dudenhofen in der Pfalz. Eine wichtige Auszeit für die beiden.

Micha: Wir gehen unheimlich gerne spazieren, und da haben wir einfach die Zeit wahnsin-nig genossen. Einfach auch mal zu zweit Hand in Hand irgendwohin zu laufen und… 
Jane: Essen zu gehen. 
Micha: …mal nicht über die alltäglichen Dinge zu sprechen, sondern ganz normale Dinge auch mal zu machen. Einfach auch mal Mann und Frau zu sein, Ehepartner. 

Zuhause in Mannheim gibt es immer wieder Glücksmomente zu dritt, mit Kai. Jetzt im Winter geht’s bestimmt bald wieder auf die Schlittschuhbahn. Jane erinnert sich noch gut an letztes Jahr.

Jane: Ja, da war er im Rollstuhl, der Kai. Wir haben ihn auf der Schlittschuhbahn gescho-ben und alle anderen haben gelacht und haben sich gefreut, wildfremde Leute. Die haben so gestrahlt und unser Herz hat getanzt. Ich war so aufgeregt, wir waren nur am Strahlen. Und das sind einfach diese Momente, wo für uns besonders sind. Und wir haben gelernt, diese Momente einzusammeln, zu genießen... 

…und das finde ich so ansteckend. Momente sammeln. Ganz gleich ob im Urlaub oder im Alltag. Was für ein Glück. Eigentlich will ich das auch. So intensiv leben und Momente sammeln wie Jane, Michael und Kai. 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Anmerkungen zur Sendung:
(1)    Link zum Podcast: https://ansprech.bar/#episoden
 

 

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