Morgenandacht
Gemeinfrei via unsplash/ Jovis Aloor
Vorbilder
mit Pfarrer Titus Reinmuth
14.04.2022 06:35

Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage! 

Die Sendung zum Nachlesen: 

Ein Vorbild – das ist für manche in diesen Tagen Wolodymyr Selenskyj, der Präsident der Ukraine. Wie er seine Landsleute motiviert und ihnen jeden Tag Mut macht, zu widerstehen im Kampf gegen die russischen Truppen. Vor vielen Parlamenten hat er per Videobotschaft gesprochen und minutenlangen Beifall geerntet. Ich habe Respekt davor. Ich bewundere seine Entschlossenheit. Und doch beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Es geht immer noch um Krieg.

Mahatma Gandhi oder erst recht Jesus von Nazareth sind andere Vorbilder: bei ihnen geht es um gewaltlosen Widerstand oder zivilen Ungehorsam. So, wie ihn die russische TV-Journalistin Marina Owsjannikowa gezeigt hat. Zur besten Sendezeit im russischen Fernsehen hält sie ein Plakat in die Kamera und verurteilt den Krieg. Deutlich, ohne Gewalt – und bereit, die Konsequenzen zu tragen.

Ein ukrainischer Präsident, eine russische Oppositionelle, Mahatma Gandhi oder Jesus von Nazareth, das sind große Hausnummern, wenn es um Vorbilder geht. Niemand muss gleich ein Held oder eine Märtyrerin werden. Aber Vorbilder geben Orientierung. Wenn ich mal nicht weiterweiß, wenn eine Entscheidung ansteht oder ein Konflikt irgendwie gelöst werden muss, woran halte ich mich dann? Ich habe Glück gehabt. Immer wieder habe ich Menschen kennengelernt, bei denen ich mir etwas abgucken konnte, die für mich im Alltag zum Vorbild geworden sind. Ihre Sicht aufs Leben oder ihr Umgang mit anderen hat mich geprägt. Darauf greife ich zurück, insgeheim oder ganz bewusst.

Zum Beispiel der Diakon früher in unserem Jugendzentrum. Ein herzlicher Typ. Er hat uns Jugendlichen zugehört, hat uns ernst genommen. Wir durften ihn auch zuhause besuchen, nicht nur wenn es etwas zu feiern gab, auch wenn wir etwas zu besprechen hatten. Er hatte immer eine offene Tür und ein offenes Ohr.

Manchmal sind es auch kleine Begegnungen, die mich beeindrucken. Eine Mitpatientin auf der Krebsstation, die einfach nicht aufgibt und mich ansteckt mit ihrem Lebensmut. Eine andere, die mir zeigt, dass es nicht nur die Krankheit gibt, sondern auch weiterhin die glücklichen Momente, die Liebe, die Freundschaft. So vieles, das uns am Leben hält – auch wenn es gerade schwer ist.

Je länger ich nachdenke, umso mehr Menschen fallen mir ein, von denen ich etwas gelernt habe: Wie sie aufs Leben schauen, wie sie Entscheidungen treffen oder mit Krisen umgehen, wie sie Gefühle zeigen oder Freundschaften pflegen. Klar, irgendwann habe ich meinen eigenen Stil gefunden. Und wer weiß, vielleicht bin ich inzwischen selbst schon für andere zum Vorbild geworden.

Ob das auch für den Glauben gilt? Auf Gott vertrauen, für bestimmte Überzeugungen einstehen, Kraft finden, wenn es schwer wird? Kann man sich das auch abgucken? Ich glaube schon. Unser Diakon früher im Jugendzentrum, der stand auch für gelebte Nächstenliebe. Nicht nur mit seiner Gastfreundschaft. Wir haben damals auch den Jugendkreuzweg vorbereitet, sind den Leidensweg Jesu nachgegangen mit biblischen Texten und eigenen Gebeten. Und wir haben eigene Transparente gemalt für den Ostermarsch. Frieden schaffen ohne Waffen und daneben Jesus, der ein Gewehr zerbricht.

In der Bibel werden oft ganz normale Männer und Frauen zum Vorbild. Als Mose das Volk Israel aus der Sklaverei in die Freiheit führen soll, sträubt er sich erst und verweist darauf, dass er gar nicht gut reden kann. Er sucht sich Unterstützung bei seinem Bruder Aaron. Als Maria mit Jesus schwanger wird, wirkt sie erst überfordert. Sie besucht ihre Cousine Elisabeth und bleibt gleich drei Monate bei ihr. Sie sucht als junge Frau die Erfahrung der Älteren. Und immer wenn das Volk Gottes in einer Krise ist, dient ihnen Abraham als Vorbild. Weil er immer, ganz gleich wie das Leben spielt, auf Gott vertraut hat.

Es gilt das gesprochene Wort.