Am Anfang ist Beziehung

Morgenandacht

Gemeinfrei via Unsplash/ Hal Gatewood

Am Anfang ist Beziehung
Morgenandacht von Pfarrerin Melitta Müller-Hansen
08.05.2023 - 06:35
03.03.2023
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen
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Die Sendung zum Nachlesen: 

Der Physiker Hans-Peter-Dürr hat Zeit seines Lebens versucht, die Erkenntnisse der Quantenphysik zu vermitteln. Und fruchtbar zu machen für unser Bild vom Leben. Wenn die alte Physik nach dem Ursprung des Lebens fragt, so hat er das immer lustvoll erklärt, dann tut sie das mit der Neugier kleiner Jungs, die ein wunderschönes Gerät in seine kleinsten Teile zerlegen, um zu entdecken, wie es funktioniert. Die alte Physik fragte nach dem Ursprung des Lebens und suchte das kleinste Materieteilchen, das Atom. Man hat es gefunden, um es in immer noch kleinere Teilchen zu zerlegen. Und am Ende sich davon zu verabschieden. Heute beschreibt man das, was diese Welt im Innersten zusammenhält, nicht mehr mit kleinen getrennten Teilchen, die zusammenfinden müssen, um etwas zu formen. Am Anfang ist nicht das kleinste Teilchen. Feste Materie ist stinklangweilig. Am Anfang ist das Immaterielle, ist Bewegung, ist Dynamik, ist Beziehung, sagt Hans-Peter Dürr. Wörter wie Liebe, Geist, Gott, Wörter aus den Erzählungen des Anfangs, haben alle Religionen genau dafür hervorgebracht.

Liebe ist ein starkes Gefühl zwischen zwei Menschen. Und noch so viel mehr: Wenn sie, wie Dürr sagt, dieses ganze Universum formt, in dem wir unser verhältnismäßig kurzes Leben leben, dann sind wir immer schon Geliebte und Liebende.  Ohne Liebe könnte es uns nicht geben. Wie drücke ich das aus, was mich mit Gott verbindet und mit diesem Anfang?

Ich bete zu Gott. Ich fürchte Gott. Ich vertraue auf Gott. Ich glaube an Gott.

Und vielleicht auch: ich liebe Gott?

Der ehrfürchtig Angebetete kommt mir dann ganz nah. Zu nah vielleicht? Mancher fürchtet womöglich Gefühlsduselei. Glaubenskitsch. Doch die biblische Dramaturgie rückt genau das ins Zentrum. Zwischen Gott und Mensch gibt es ein Hauptverb, ein Tätigkeitswort, eine einzige Fließbewegung.

„Du sollst Gott lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“ (5. Mose 6,5)

Es ist die gleiche Sprache, in der Verliebte sich gegenseitig die Liebe gestehen. Du bist mein ein- und alles. Ich liebe dich von ganzem Herzen. Ich vermisse dich! Wo bleibst du?

Lange habe ich nach einer Gebetssprache gesucht für diese Liebe. Und habe sie gefunden bei Mechthild von Magdeburg. Eine Mystikerin aus dem 13. Jahrhundert, die das Liebesgespräch Gottes mit der Seele des Menschen aufschreibt:

Gott vergleicht die Seele mit vier Dingen:

„Du schmeckst wie eine Weintraube,

du duftest wie Balsam,

du strahlst wie die Sonne,

meine höchste Liebe wächst in dir.“ (FLG I,16)

 

Die Seele preist Gott fünffach:

„O du gießender Gott in deiner Gabe,

o du fließender Gott in deiner Liebe,

o du brennender Gott in deinem Begehren,

o du schmelzender Gott in der Vereinigung mit deiner Liebsten,

o du an meinen Brüsten ruhender Gott,

ohne dich kann ich nicht sein!“ (FLG 1,17)

 

„O du schöne Rose im Dorngebüsch,

o du fliegende Biene im Honig,

o du Taube, rein in deinem Wesen,

o du Sonne, schön in deinem Strahlen,

o du Mond, in deinem vollen Stand,

ich kann mich nicht von dir wenden.“ (FLG 1,18)

 

„Du bist mein Kopfkissen,

mein lieblichstes Lager,

meine verborgenste Ruhe,

mein tiefstes Begehren,

meine höchste Ehre!

Du bist eine Lust für meine Gottheit,

ein Bach für meine Glut!“ (FLG 1,19)

 

„Du bist mein Spiegelberg,

meine Augenweide,

der Verlust meiner selbst,

der Sturm meines Herzens,

das Zusammenbrechen und das Entschwinden meiner Kraft,

meine höchste Sicherheit!“ (FLG 1,20)

 

Mit diesem Dialog der Mystikerin aus dem 13. Jahrhundert beginne ich manchmal den Tag. Und schon früh am Morgen macht mich das glücklich.

Es gilt das gesprochene Wort.

03.03.2023
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen