Morgenandacht
Gemeinfrei via Unsplash/ Danie Franco
Trösten – aber wie?
Morgenandacht von Pastorin Andrea Wagner–Pinggéra
23.11.2023 04:35

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In meiner Kindheit waren Leichenwagen eindeutig zu erkennen. Ein eigener Wagentyp. Großer Kombi einer deutschen Automarke. Hinten wesentlich erhöht, um den Sarg angemessen darin unterzubringen. Die Fenster des Fahrzeugs vorne verdunkelt, hinten diskret verschlossen mit in viele Plisseefalten gelegten, grauen Vorhängen. Natürlich der Name des Bestattungsinstituts. „Oh, bei Meiers ist jemand gestorben.“ Das wusste man, wenn der Leichenwagen vor der Tür stand.

Heute ist das anders. Viele Leichenwagen sind überhaupt nicht mehr als solche zu erkennen. Ganz normale Transportfahrzeuge, gediegen natürlich. Mit abgedunkelten Scheiben. Aber ohne Aufschrift. Als sollte niemand wissen, dass bei Meiers jemand gestorben ist.

Vielleicht haben diese Veränderungen ganz praktische Gründe. Womöglich hat es sogar mit dem Datenschutz zu tun. Ich vermute aber etwas anderes: Der Tod und seine Genossen sind zu einem Tabu geworden. Unheilbare Krankheiten, Schweres und eben der Tod sind an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Als hätte man Angst, sich mit ihnen zu infizieren. Als würden sie einen gleich mit wegreißen, wenn man sich auf sie einlässt.

So gesellt sich zu der Angst vor Leid, Krankheit und Tod die Unsicherheit, was zu tun ist, wenn sie doch einmal in die Nähe kommen. Sich nicht wegdrücken lassen.

Vor einigen Jahren ist eine Freundin von mir ganz plötzlich an Krebs erkrankt. Schwindel. Arztbesuch. Die Diagnose: Tumor im Kopf, groß, aber operabel. Ausgang ungewiss.

Unter den Freunden verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Ein Freund ruft mich an. Er ist entsetzlich erschrocken. Seiner Stimme merkt man die Angst an. Was ist, wenn die Operation nichts bringt. Oder Komplikationen auftreten. Der Krebs zurückkommt. Ein langes Leiden bevorsteht.

Mehr als eine Stunde reden wir. Am Ende nimmt er sich vor, unsere Freundin anzurufen. Ihr zu sagen, dass er an sie denkt. Wieder anrufen wird. Ich habe ihm geraten, das möglichst bald zu tun. Weil sonst die Hürde immer größer wird, den ersten Schritt zu machen. Wie viele Menschen verlieren auf dem Weg durch Leid und Trauer Freundinnen und Freunde, weil diese sich einfach nicht trauen, etwas zu sagen. Weil sie fürchten, vielleicht nicht die richtigen Worte zu finden. Oder ganz verstummen, weil Leid und Tod sie sprachlos machen. Obwohl sie wirklich gerne trösten möchten.

Krankheit, Leid und Tod machen sprachlos. Zumindest, wenn man sich nicht auf Floskeln zurückziehen will. Krankheit, Leid und Tod machen sprachlos, weil sie wirklich Angst machen. Dem, den sie betreffen in erster Linie. Aber auch die, die nur indirekt betroffen sind. Denn so oder so: Sie konfrontieren mit der eigenen Endlichkeit. Die damit verbundenen Gefühle können einen ins Trudeln bringen oder überschwemmen. Wer weiß denn, ob nicht eigene Geschichten hochkommen, eigener Schmerz. Eigene Verluste, die bisher erfolgreich verdrängt worden sind.

Trotzdem: Sich drücken ist keine gute Idee. Denn nichts ist für schwer Kranke, für Leidende und Trauernde so wichtig wie die menschliche Nähe. Gute Worte, ein fester Händedruck oder eine lange Umarmung. Das Schweigen auszuhalten, wo die Worte fehlen. Die Wut mitzutragen, das bohrende Warum. Manches, was irrational ist, mitdurchzustehen.

Natürlich lässt das einen nicht unberührt. Es nimmt einen emotional mit. Mir jedenfalls geht es immer nahe, wenn jemand schwer krank ist oder unter einem Verlust leidet. Ich kann den Schmerz des anderen nicht einfach von mir schütteln. Allerdings glaube ich, dass die Höhen des Lebens nicht ohne die Tiefen zu haben sind. Dass mit der Freude der Schmerz treulich durch die Zeiten geht. Der Tod gehört zum Leben. Und ich glaube: Das Leben liegt in Gottes Hand und der Tod auch. Bei allem Leiden ist das mein Trost, meine Hoffnung.

Es gilt das gesprochene Wort.