Und führen wohin Du nicht willst

Morgenandacht
Und führen wohin Du nicht willst
29.12.2018 - 06:35
13.09.2018
Thomas Dörken-Kucharz
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Und führen wohin Du nicht willst. So nannte der Kriegsheimkehrer und Pfarrer Helmut Gollwitzer seine Erinnerungen an Krieg und sowjetische Kriegsgefangenschaft. Dort in den Lagern und auf dem Weg hat er viel Schreckliches und manches Schöne erlebt.

 

Und führen wohin Du nicht willst. Gollwitzer wollte keinesfalls in die Gefangenschaft. Er war bei Kriegsende auch schon fast da, wo er hin wollte, nämlich nach Hause, mindestens hinter die Demarkationslinie zu den Amerikanern. Doch es sollte nicht sein. Er wurde in die sowjetische Gefangenschaft geführt, – dahin, wo er nicht hinwollte. Sein Buch erzählt von vielen Begegnungen mit Mitgefangenen, der zivilen Bevölkerung und den sowjetischen Soldaten und Aufsehern.

 

Zwei Dinge sind damals wie heute erstaunlich an seinen Erzählungen: Zum einen zeichnet Gollwitzer ein differenziertes Bild der Sowjets. Zum anderen verschweigt er die deutsche Schuld nicht. Weder die Judenvernichtung noch die Verbrechen der deutschen Soldaten im Osten. Als er 1951 seine Erinnerungen als Buch veröffentlichte, war die Welt schon mit einem Vorhang geteilt, der immer eiserner wurde. Es war Kalter Krieg. Und da gab es für viele nur schwarz und weiß. Da störten Kommunisten mit menschlichem Gesicht und wachen kulturellen Interessen das Bild. Gollwitzer erzählte aber unerschrocken, wie er es erlebt hatte. Sein Buch wurde ein Bestseller, Theodor Heuß, der damalige Bundespräsident, beschrieb es als ‚großes geschichtliches Dokument‘ – und Helmut Gollwitzer selbst wurde so etwas wie das evangelische Gewissen des Bonner Politikbetriebes. Das änderte sich später, als er gegen die Wiederaufrüstung und dann, in den 68er Jahren, für die Studenten eintrat.

 

Und führen wohin Du nicht willst. Schon als Jugendlicher war ich von diesem Buch und seinem Titel angetan. Natürlich kann man einfach sagen, die Sowjets haben Gollwitzer in die Gefangenschaft geführt. Der Titel meint aber dieses Führen viel tiefsinniger. Und das hat mich fasziniert und fasziniert mich noch immer: Dass Gollwitzer diese furchtbare Zeit, Krieg und Gefangenschaft mit tiefem Gottvertrauen durchlebt hat. Das gab ihm Rückgrat und Aufrichtigkeit, Unerschrockenheit und aufrechten Gang. Und manchmal wurde es für ihn gerade deshalb gefährlich. Von außen betrachtet war seine Gefangenschaft von 1945 bis 49 ein Riesenumweg nach Hause. Und doch spricht Gollwitzer von Führen. Von Gottes Führung. Er sieht auf Gott, nicht auf sich selbst. Auf Gottes Mitgehen, Leiten und Bewahren. Gollwitzer behauptet das nicht vollmundig einfach so, sondern er lebt danach. Sein Gottvertrauen scheint durch, in dem wie er erzählt. Stärken und Schwächen, Triumphe und Niederlagen. Gollwitzer maßt sich keine großen Erklärungen und Rechtfertigungen an. Er spricht nicht für andere. Er hat mit seinem Gott diese Zeit durchlebt. Sein Glaube und seine Hoffnung sind in diesen Jahren der Gefangenschaft nicht kleiner, sondern größer geworden. Auch das macht dieses Buch noch immer lesenswert. Erst recht, wenn man vor dem Hintergrund seines Gottvertrauens sein späteres politisches Engagement vor Augen hat: für eine gerechte Sozial- und Wirtschaftsordnung, für eine Welt ohne Massenvernichtungswaffen und Wettrüsten.

 

Und führen wohin Du nicht willst. An der Wende zum Neuen Jahr sind das Buch und sein Titel für mich auch ein Versprechen. Ich weiß nicht, was das Neue Jahr bringen wird. Niemand weiß es. Es kommt einfach. Und dabei bin ich mit dem Vergangenen und all dem, was darin gut und weniger gut war, noch längst nicht fertig. Worauf vertraue ich? Worauf setze ich meine Hoffnung?

 

Und führen wohin Du nicht willst. Gollwitzer macht mir Mut, die vermeintlichen Umwege des vergangenen Jahres anzunehmen und getrost in das Neue Jahr zu gehen. Gollwitzer selbst wäre heute 110 Jahre alt geworden.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.09.2018
Thomas Dörken-Kucharz