Allerseelen

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash / Jill Dimond

Allerseelen
von Jörg Machel
02.11.2022 - 06:20
01.08.2022
Jörg Machel
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Allerseelen ist nun wirklich ein Festtag, der einen Protestanten stutzen lässt. Ich musste ihn mir von meinem katholischen Freund erklären lassen. Es geht um die Verstorbenen, derer man sich erinnert. Unter anderem, indem man Gutes tut, um ihnen die Zeit im Fegefeuer zu verkürzen. Er lacht dabei. Daran glaubt er nicht, aber für seine Großmutter war das noch gelebte Realität. Für sie führte der Weg zum Friedhof an Allerseelen am Opferstock vorbei. Ihre großzügige Gabe war eine Himmelsspende für die Verstorbenen.

Auch wenn diese Spendenaquise für Protestanten seit Luther diskreditiert ist, so gab es doch Nachfolgemodelle. Ich erinnere mich, dass in meiner Kindheit der Gang zum Abendmahl am Karfreitag mit einer Spendensammlung verbunden war. Auch wenn man nicht mehr meinte, sich damit das Seelenheil erkaufen zu können, so war die enge Verbindung von Jesu Opfer am Kreuz mit meinem Opfer am Altar nicht zu leugnen.

Ich wohne jetzt auf einem Friedhof, und ich bin sicher, dass auch heute wieder viele Menschen kommen werden, um ihre Angehörigen zu besuchen, Blumen abzulegen, Kerzen zu entzünden und ein paar Minuten in Stille an den Gräbern zu verweilen. Und ich lasse mich davon inspirieren. Auch ich werde heute die Gräber der Menschen besuchen, die auf meinem Friedhof liegen und denen ich mich über ihren Tod hinaus verbunden fühle.

Dass wir Gott gnädig stimmen müssten, damit er ihnen Folterqualen erlässt, das lästert meinem Glauben. Aber ich weiß, dass es in der Sterbestunde einen Unterschied macht, ob jemand mit sich und der Welt in Frieden war oder gehadert hat; und dass es wichtig für mich ist, dass auch ich meinen Frieden habe mit den Verstorbenen. Es ist nun einmal so, dass schuldhafte Verstrickungen unserer Vorfahren und erst recht ihre Traumata in unser Leben hineinwirken. Und so ist dieser Gedenktag Allerseelen für mich durchaus ein Tag, um mich in Beziehung zu bringen mit meinen Toten, ihrem Leben nachzusinnen, zu schauen, wo ihre Biografie sich mit der meinen verbindet.

Für sie an diesem Tag zu beten, ist in gewisser Weise Beziehungsarbeit. Auf dem Friedhof, an den Gräbern meiner Verstorbenen, vertraue ich darauf, dass Gottes Liebe sieht, was mir selbst verborgen bleibt, dass sie zusammenfügt und ordnet, was für mich nur in Bruchstücken daliegt. Meine Demut, mein Versagen, meine Bereitschaft zu vergeben bringe ich mit und manches mag sich klären, wenn ich mich in dieser Weise öffne.

Es gilt das gesprochene Wort.

01.08.2022
Jörg Machel