Sich Rache wünschen

Wort zum Tage

Gemeinfrei via Pixabay/ FreeCreativeStuff

Sich Rache wünschen
mit Pfarrer Eberhard Hadem
22.08.2022 - 06:20
11.06.2022
Eberhard Hadem
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Was mich in diesen Tagen mehr beschäftigt als sonst: Dass in einigen Psalmen der Bibel schreckliche Sachen stehen, die so gar nicht zu dem Bild von einem lieben Gott passen. Es sind Verse voller Gewaltphantasien, aus Wut und Verzweiflung geboren. Fluch- oder Rachepsalmen nennt die Bibelforschung diese Gebete aus dem Psalmenbuch. Menschen, die in größte Bedrängnis geraten sind, bitten Gott, er soll ihre Feinde zerbrechen, zerschmettern, ganz und gar vernichten. In einem dieser Psalmen sehen sich Menschen im Krieg von übermächtigen Feinden umzingelt und beten:

Herr, vergiss den Söhnen Edoms nicht den Tag Jerusalems, da sie sagten: ‚Reißt nieder, reißt nieder bis auf den Grund!‘ Tochter Babel, du Verwüsterin, wohl dem, der dir vergilt, was du uns getan hast! Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert! (Ps. 137, 7 – 9)

Da wünscht sich tatsächlich jemand, die Kinder des Feindes sollen brutal getötet werden – in einem Gebet.  Nach dem Erschrecken darüber versuche ich, das Ganze in etwa nachzuvollziehen. Wo der Krieg regiert, geschehen schreckliche Dinge. Und Menschen denken schreckliche Gedanken, aus Wut und Verzweiflung. Umso mehr, je mehr man übermächtigen Feinden ausgeliefert ist. Grässlich, sich von Gott aus Angst um die Zukunft der eigenen Kinder den Tod der Kinder der Feinde zu wünschen. Doch die Vorstellung, die Kinder der Feinde könnten noch einmal dasselbe Böse tun, ist kaum auszuhalten.

Eine solche Situation erleben seit einem halben Jahr die Menschen in der Ukraine. Ich stelle mir vor, wie ein ukrainischer Vater als Soldat mit Worten wie die aus dem Psalm zu Gott schreit und dabei seine zerstörte Heimatstadt vor Augen hat: „Herr, vergiss unseren Feinden das nicht! Sorge für Vergeltung!“ Putin und seine Anhänger sind die Feinde. Sie sind die Aggressoren. Tief sind die Wunden der Opfer in der Ukraine. –Wie viele Menschen – und nicht nur dort – werden zu Gott beten und ihn bitten: „Sorge dafür, dass das nicht noch einmal geschieht, nie wieder."

Die Solidarität mit den Opfern des Krieges ist manchmal nicht leicht und hat einen Preis. Manche meinen deshalb aus der Ferne, man müsste die Kriegslogik durchbrechen und den angegriffenen Ukrainern einen Friedensprozess aufnötigen. Für mich wäre das ein Verhöhnen der Opfer. Solidarität beinhaltet für mich manchmal auch, Rachegedanken und Vergeltungswünsche auszuhalten. Und die Wut und die Verzweiflung zu sehen, die sich darin Bahn brechen.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

11.06.2022
Eberhard Hadem