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„Lasst ihr noch das Licht im Flur an?“ Das habe ich als Kind meine Eltern gebeten, wenn sie mich zu Bett gebracht haben. Der Schein vom Flur hat genau die richtige Stärke: Er wirft ein sanftes Licht ins dunkle Kinderzimmer. Nicht zu grell, so dass man einschlafen kann, aber hell genug, so dass man merkt: Da ist noch jemand. Ich bin nicht allein in der Nacht.
„Leuchten! 7 Wochen ohne Verzagtheit“. So heißt in diesem Jahr das Motto für die Fastenzeit der evangelischen Kirche. Es gibt zurzeit viele Gründe, verzagt zu sein und die Welt düster zu sehen. Umso wichtiger ist der Blick für das, was das Leben hell macht, Gespür für alles, was die Hoffnung stärkt. Leuchten! Das tun für mich Menschen, die strahlen und mich mit ihrer Zuversicht und Lebensfreude anstecken. Gedanken und Worte, die die Stimmung aufhellen. Erlebnisse, die mich lächeln lassen – auch noch im Nachhinein, wenn ich an sie denke. Oder Schönes, das ich in Aussicht habe.
In der Passionszeit bis Ostersonntag kommt beides vor: die Finsternis von Leid und Tod - das Licht der Auferstehung. Und dazwischen die Schattierungen zwischen Hell und Dunkel, die dem Leben Kontur geben.
„Lasst ihr noch das Licht im Flur an?“ Ich gehe an diesem Sonntagmorgen den Spuren des Lichts nach. Licht symbolisiert in der Bibel Gottes Nähe. Wo Menschen im Alten und im Neuen Testament erfahren, dass Gott in ihrem Leben gegenwärtig ist und ihnen hilft, da wird es hell.
Licht ist das erste, was Gott erschaffen hat. Auf der ersten Seite in der Bibel steht: Am Anfang war die Erde wüst und leer. Es herrscht „Tohuwabohu“, wie es im Hebräischen lautmalerisch heißt. Es geht drunter und drüber, und Finsternis liegt auf der Tiefe. (1. Mose 1,2) Das Dunkel ist von Anfang an bereits vorhanden. Aber Gott begrenzt es und spricht: Es werde Licht! Ein kurzer Satz. Und eine große Wirkung. Es wird Licht.
Gott schafft das Dunkel nicht ab. Es ist weiterhin da. Es hat seinen Platz und seine Zeit. Das Wechselspiel zwischen Hell und Dunkel, zwischen Tag und Nacht bestimmt unser Leben. Aus Tohuwabohu wird Schöpfung. Aus Chaos wird Kosmos.
Das gibt Hoffnung für die Situationen, in denen es bei mir drunter und drüber geht. Das ist ein Leuchten für die Zeiten, in denen es in mir finster ist. Finsternis für immer gibt es nicht. Gott spricht: Es werde Licht!
Dunkelheit kann wohlig sein. Sie kann mich freundlich umhüllen. Die Geräusche des Tages werden leiser. Was noch zu tun ist, bekommt eine Auszeit.
Aber in der Dunkelheit können meine Ängste auch erst richtig groß werden. Das kenne ich von klein auf. Als Kind habe ich gedacht: Die Kleider, die über dem Stuhl hängen – haben die sich nicht gerade bewegt? Sind die ein Monster oder ein Einbrecher? Als Erwachsener wird in der Nacht alles Unerledigte riesenhaft einschließlich der Angst, dass ich es nicht schaffe und versage. Zu dem, was mich in meinem Leben umtreibt, kommen die Krisen von außen, die wir alle kennen und täglich in den Nachrichten hören.
Für übermächtige Angst steht in der Bibel der Riese Goliat. Ein Inbegriff dessen, was riesengroß vor mir steht. Viele haben die Erzählung mit ihrem guten Ausgang im Gedächtnis: Der kleine David besiegt den hochgerüsteten Goliat mit einem einzigen Wurf aus seiner Steinschleuder. Ich setze heute Morgen mit der Szene davor ein. Es ist noch nicht ausgemacht, wie die Sache ausgeht. Ein glückliches Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Es sieht furchtbar aus.
„Da trat aus den Lagern der Philister ein Riese mit Namen Goliat aus Gat, sechs Ellen und eine Handbreit groß. Der hatte einen ehernen Helm auf seinem Haupt und einen Schuppenpanzer an, und das Gewicht seines Panzers war fünftausend Schekel Erz, und hatte eherne Schienen an seinen Beinen und ein ehernes Sichelschwert auf seinen Schultern.
Und er stellte sich hin und rief den Schlachtreihen Israels zu: Was seid ihr ausgezogen, euch zum Kampf zu rüsten? Bin ich nicht ein Philister und ihr Sauls Knechte? Erwählt einen unter euch, der zu mir herabkomme. Ich habe heute den Schlachtreihen Israels Hohn gesprochen. Gebt mir einen Mann und lasst uns miteinander kämpfen. Da Saul und ganz Israel diese Rede des Philisters hörten, entsetzten sie sich und fürchteten sich sehr.“ (1. Samuel 17,4-11 in Auswahl)
Goliat gehört zu den Philistern, den Feinden des biblischen Volkes Israel. Er versetzt alle einschließlich des Königs Saul in Furcht und Schrecken. Es gibt Ängste, die werden kleiner, wenn man sie sich bei Licht genauer anschaut. Bei Goliat ist das nicht so. Je näher und länger man ihn betrachtet, desto furchteinflößender wird er.
Die Bibel schildert detailliert, wie gewaltig und schrecklich er ist. Sechs Ellen und eine Handbreit groß. Ein Mann von gut 2,80 Meter. Riesig selbst für heutige Begriffe. Und noch größer wirkt er durch den Helm und den 60 Kilo schweren Panzer. Der muss sein Sichelschwert gar nicht schwingen. Es reicht, wenn er ungebremst auf einen zurast.
Er ist körperlich überlegen, dazu bestens ausgerüstet. Sogar mit Worten kann er vernichten. Er verhöhnt die Israeliten: Seid ihr nicht Sauls Knechte? Dann traut euch doch und schickt wenigstens einen von euch zum Zweikampf mit mir! Die Israeliten haben weder Goliats Muskelmasse noch seiner Wortgewalt etwas entgegenzusetzen. Das ist doppelt erniedrigend. Sie sind unterlegen und müssen sich auch noch verspotten lassen.
Man vertreibt auf Dauer keine Angst, indem man sie klein redet. Es hilft zwar durchaus, die möchte-gern-großen Ängste zu identifizieren und ihnen den Schrecken zu nehmen. Aber wenn tatsächlich bedrohlich ist, was mir Angst macht, nützt keine Beschwichtigung. In der biblischen Geschichte fürchten sich die Israeliten und ihr König Saul aus gutem Grund vor Goliat.
Goliat macht ein Angebot. Er fordert einen Zweikampf Mann gegen Mann: „Gebt mir einen Mann und lasst uns miteinander kämpfen!“ Das klingt so, als würde er die anderen dann verschonen. Ob er sich wirklich daranhält, ist zweifelhaft. Brutalität ist die Schwester der Willkür und kennt keine Regeln. Wer einmal zugeschlagen hat, einfach, weil er es kann, sucht sich danach ein nächstes Opfer. Die Israeliten und König Saul sind vor Angst gelähmt.
Das gehört zum Schlimmsten der Angst: Dass sie ohnmächtig macht. Sie herrscht und man sieht tatenlos zu, unfähig, einen Schritt vorwärts oder rückwärts zu machen. Sogar der König, der doch Verantwortung trägt und Initiative ergreifen sollte, wie man der Gefahr begegnet, selbst der rührt sich nicht.
Angst ist das Gefühl, dass Übles bevorsteht. Angst vor unwägbaren Risiken, vor Dingen, die man nicht selbst bestimmen kann. Angst vor Möglichkeiten, die einem offen oder auch entgegenstehen, und die Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen. Es gibt die existenzielle Angst vor dem Ergebnis einer medizinischen Untersuchung.
Aber manchmal sind es vergleichsweise kleinere Aufgaben, an die man mit Zittern und Zagen herangeht. Da bibbert eine Frau, weil sie einen Vortrag halten soll. Ein Mann traut sich nach einem Unfall, nicht mehr auf das Fahrrad zu steigen. Es gibt die konkrete Furcht vor Spinnen, vor geschlossenen Räumen, vor Plätzen oder Höhen. Schade wäre, wenn man sich der eigenen Angst ausliefern würde – so, dass man gleichsam ohnmächtig dem eigenen Leben gegenübersteht.
Mir hilft, mir meine Angst anzuschauen und sie zu beleuchten. Vor was genau fürchte ich mich? Eine Freundin von mir wendet dabei eine mentale Technik an: Sie lässt in Gedanken den Goliat richtig riesig werden. Sie malt sich aus, was im schlimmsten Fall passieren kann, und spielt die Varianten durch, wie sie darauf reagieren könnte, ohne es jedoch zu übertreiben. Dadurch macht sie sich auf das gefasst, was eintreten könnte, und schaut auf ihre Handlungsmöglichkeiten.
Mich erleichtert schon, wenn ich aussprechen kann: Davor habe ich Angst. Meistens ist der erste Schritt, dass ich mir meine Angst selbst eingestehe. Ich tue das im Gebet mit Gott. Und mit einem Menschen meines Vertrauens, bei dem ich weiß: Sie oder er kann zuhören. Bei ihr oder ihm ist das, was mich umtreibt, gut aufgehoben. Denn mein Vertrauensmensch weiß: Es ist normal, Angst zu haben – zu spüren und zu wissen, dass das Leben nicht einfach zu meistern, mit Angst oder Furcht belastet ist. Solche Gespräche, bei denen man sich nicht verstellen muss, sondern offen reden kann, sind wie Lichtquellen.
In der biblischen Geschichte von David gegen Goliat stehen die Israeliten vor dem riesenhaften Goliat und zittern vor Angst. Alle warten auf eine große Lösung, falls es überhaupt eine gibt. Die Rettung kommt klein daher. Ein Hirtenjunge mit Namen David, ein Hänfling, dem jede Rüstung zu groß ist, traut sich, die Herausforderung zum Zweikampf mit Goliat anzunehmen. Er setzt auf seine Steinschleuder und auf Gott.
David ruft den Leuten seines Volkes zu: „Niemand lasse wegen Goliat den Mut sinken!“ Den Satz kann ich immer wieder gut gebrauchen. Ja, es gibt einiges, was zum Fürchten ist. Aber niemand lasse deswegen den Mut sinken! Irgendwo gibt es eine Möglichkeit, was ich tun kann, was wir mit vereinten Kräften tun können, um aus der Krise herauszukommen.
Ich warte oft auf die große Lösung, die alle Probleme auf einmal löst. In der Bibel erscheint mickrig, was den Riesen Goliat überwindet: der kleine David. In den Augen Goliats ist er kein würdiger Gegner. David wird als „bräunlich und schön“ beschrieben, aber nicht als besonders stark. Dieser vermeintliche Schwächling besiegt den Koloss.
Ein Stein aus Davids Schleuder streckt den Riesen Goliat zu Boden. Selbst dieser Übermächtige hat seine Verwundbarkeit – und vermutlich seine eigene Art von Angst. Auch brutale Stärke hat ihre Schwachstellen. Und umgekehrt kann Schwäche stark sein.
Das hilft mir bei meiner Bestandsaufnahme: Ich schaue mir meine Ängste an. Die möchte-gern-großen. Und die tatsächlich riesigen. Auch sie müssen nicht unbesiegbar sein. Darin liegt eine Leuchtkraft der biblischen Geschichte von David und Goliat. Bei Gott ist keine Angst allmächtig. Was aus der Verzagtheit heraushilft, muss nicht riesig sein. Auch die kleine Kraft, die ich habe, kann das Blatt zum Guten wenden.
In der Geschichte von David und Goliat fürchten sich viele und ein Einzelner macht Mut. Über diesen Mut des Glaubens hat der katholische Pfarrer und Schriftsteller Lothar Zenetti gedichtet:
„Was keiner wagt, das sollt ihr wagen…Was keiner anfängt, das führt aus… Wo alle zweifeln, wagt zu glauben… Wo alle spotten, spottet nicht. Wo alles dunkel ist, macht Licht.“
Das formuliert einen sehr hohen Anspruch, dem ich bei weitem nicht immer gerecht werde. Für Lothar Zenetti kommt die Kraft dazu von Jesus Christus. Er rahmt sein Gedicht am Anfang und am Ende mit dem Satz: „Das Kreuz des Jesus Christus durchkreuzt, was ist, und macht alles neu.“ Der Liedermacher Konstantin Wecker hat das Gedicht vertont.
David gegen Goliat. Ein Kleiner überwindet den Übermächtigen. Diese biblische Erzählung gehört als Hoffnungsgeschichte zum kulturellen Gedächtnis. Und sie wirkt nach. Sie ermutigt zu entdecken: Worin liegt meine Kraft? Selbst wenn sie nur klein ist, was kann ich damit bewirken? Für mich geht es nicht darum, Riesen zu erschlagen. Mir bereitet es Freude, wenn ich merke, ich kann dazu beitragen, dass der Tag für andere ein wenig heller wird.
Jesus traut das den Seinen zu. In der Bergpredigt sagt er: „Ihr seid das Licht der Welt.“ Das ist keine Aufforderung. Kein „Ihr sollt! Ihr müsst!“. Sondern eine Feststellung. Ein Zuspruch: Ihr seid das Licht der Welt. Da kann man erst einmal zusammenzucken und denken: „Huch, die ganze Welt erleuchten?!“ Oder: „So sprühend komme ich mir zurzeit nicht vor.“ Man kann den Satz aber auch so nehmen, wie er ist: Du bist es. Punkt. Irgendwo ist da Licht in dir. Auf deine ganz individuelle Weise leuchtest du und kannst Licht für andere sein.
Ich mag den Gedanken und liebe die Erfahrung, dass wir füreinander Lichtbringerin und Wegbegleiter sein können. Mal ganz nahe, mal in Rufweite. Beides gibt es: Freundschaft, Liebe, Familienbande, die ein Leben lang halten. Und Menschen, die mit ihrem Licht unser Leben streifen. So oder so: Wir bündeln unsere Lichtstärken.
Und ich setze darauf: Das Licht ist da. Gott ist mein Licht. Darum halte ich Ausschau nach den lichten Momenten. Eine Freundin hat mir ein Einmachglas geschenkt und dazu kleine, schön ausgeschnittene Zettel aus etwas festerem Papier. Sie hat gesagt: „Das ist ein Glas für die glücklichen Momente. Du kannst sie auf die Zettel schreiben, im Einmachglas aufheben und immer wieder herausholen.“
Auf den bisherigen Zetteln, die ich in das Glas gelegt habe, steht jeweils mit Datum zum Beispiel „Genüssliches Frühstück“, „schönes Abendessen mit Freunden“, „endlich mal wieder getanzt“ oder „ein Tag im Garten“. Ich hatte dieses Einmachglas einige Zeit nicht in Gebrauch. Ich werde es jetzt in der Passionszeit wieder mit neuen Zetteln bestücken. Mein Vorsatz für die Fastenzeit: glückliche Momente sammeln. Mal sehen, was mir an Leuchtendem in den Wochen bis zum Ostersonntag begegnet.
Die Jahreszeit ist gut dafür. Der Frühling steht vor der Tür. Jeden Tag ist es ein paar Minuten länger hell. Jedes Jahr neu merke ich dann, was im Winter fehlt: das Licht. Es hat sich rar gemacht. Nun kehrt es wieder und zeigt, was es kann. Die Farben in der Natur und in den Straßen leuchten kräftiger. Die Sonne kitzelt das Grün aus der Erde hervor. An den Zweigen zeigen sich die Knospen. Das Leben, das sich verkrochen hatte, traut sich wieder heraus und erhellt die Stimmung.
Der kommende Frühling lässt mich an die Lichtquellen in meinem Leben denken. Die Menschen, die ich gern habe. Ein Gebet. Ein schöner Gottesdienst. Eine gute Nachricht. Musik. Nach einer schweren Zeit frische Kräfte spüren. Wieder genießen können. Hoffnungslicht in der Dunkelheit und zauberhafte Nächte. Zuversichtlich aufwachen, die Glieder räkeln und recken und hinein in den neuen Tag. Es werde Licht!
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
- Joseph Haydn: Die Schöpfung, Oratorium Teil 1 und 2 (hr Sinfonieorchester / Holliger, Heinz).
- Elvis Costello: Almost Blue (Chet Baker), CD-Titel: Memories – Chet Baker in Tokyo.
- Lillian Boutté: This Little Light of Mine, CD-Titel: Music is my Life.
- Konstantin Wecker: Was keiner wagt (Lothar Zenetti), CD-Titel: Poesie und Widerstand.
Literaturangaben:
Lothar Zenetti, Texte der Zuversicht, Verlag J. Pfeiffer München 1972, S. 253.