gemeinfrei via wikimedia commons / Emmanuelkwizera
Rain Man
Ein Hollywood-Film über Autismus und die Realität
10.09.2025 06:35
"Kennste einen Autisten, kennste genau einen Autisten", sagt Nils Lorenz, selbst ein Mensch mit Autismus. Er und unsere Autorin haben lange gebraucht, einander kennenzulernen. Aber zum Schluss gab es Applaus für Nils, und unsere Autorin hat etwas gelernt.
Sendung nachlesen:

Eine meiner Freundinnen schaut mit Begeisterung alte Filme. "Rain Man" ist einer ihrer Favoriten. Ein Film über zwei Brüder, die sehr verschieden sind.

Der Film kam 1988 in die Kinos. Hauptdarsteller sind Dustin Hoffman, damals auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Und Tom Cruise, noch jung, kurz nach seinem Durchbruch.

Tom Cruise spielt Charlie Babbitt, einen aufschneiderischen, ichbezogenen Autohändler, der sich durch seine Betrügereien immer wieder in finanziellen Nöten befindet und vor wenig zurückschreckt. Mit seinen Eltern hat Charlie seit Jahren keinen Kontakt. In einem seiner seltenen emotionalen Momente erzählt er seiner Freundin: Als Kind hat er sich eine Fantasiefigur ausgedacht, den Rain Man. Immer wenn er Beistand brauchte, kam der Rain Main und sang für ihn.

Überraschend bekommt Charlie die Nachricht: Sein steinreicher Vater ist gestorben. Charlie wittert die Chance, sich mit dem Erbe wirtschaftlich zu sanieren. Aber er muss feststellen: Der erhoffte Geldsegen soll einem Wohnheim für Menschen mit Beeinträchtigungen zufließen.

Charlie fährt zu dem Wohnheim. Er findet dort seinen sehr viel älteren Bruder Raymond, von dem er bislang nichts wusste. Raymond lebt in dem Heim seit vielen Jahren, weil er ein Mensch mit Autismus ist. Er kam in die Einrichtung nach einem Unglücksfall, als Charlie noch ein Kind war. Raymond soll also die Millionen vom Vater erben.

Kurzentschlossen nimmt Charlie ihn einfach mit nach Kalifornien. Die Reise gestaltet sich mit Hindernissen. Mit seinem Autismus ist Raymond kein einfacher Reisebegleiter. Alles in seinem Umfeld muss nach festen Regeln laufen.

Natürlich – wir sind ja in Hollywood – geht die Geschichte gut aus: Charlie entwickelt Verständnis für seinen Bruder. Er verwandelt sich vom Ekel in einen Menschen. Und weil Raymond eine Hochbegabung hat, gewinnen die beiden im Casino einen Haufen Geld. So viel, dass Charlie seine Geldsorgen los ist. Irgendwann entdeckt Charlie: Sein Bruder Raymond ist der Rain Man seiner Kindheit. Er war keine Fantasiefigur, sondern real derjenige, der für ihn gesungen hat, wenn er Angst hatte.

"Rain Man" – der Film hat was. Aber man sollte nicht meinen, durch diesen Film Menschen mit Autismus-Spektrum zu verstehen. "Kennste einen Autisten, kennste genau einen Autisten", sagt Nils Lorenz. Auch ein Mensch mit Autismus. Mit ihm saß ich in diesem Jahr auf einer Bühne, und wir haben gemeinsam vor Publikum über einen Text aus der Bibel gesprochen.

Der Weg dorthin war intensiv. Erst habe ich Nils kennengelernt. Das hat ziemlich lang gedauert. Wir haben uns mehrere Male getroffen. Die Gespräche waren ein bisschen mühsam, hölzern. Oh je, habe ich gedacht, was will das werden? Beim vierten Treffen habe ich gemerkt, jetzt verändert sich was. Ich kann besser auf ihn zugehen. Und er taut ebenfalls auf und fängt an zu fragen. Persönliche Fragen. Er ist richtig neugierig. Er liebt Sprache. Und er hat Witz. Deswegen sagt er solche Sätze: "Kennste einen Autisten, kennste genau einen Autisten."

Ich habe dann aus allem, was wir gesprochen haben, einen Text geschrieben. Eine Kollegin hat ihn in einfache Sprache gebracht, und dann kam unser großer Auftritt.

Ungefähr 150 Menschen sind gekommen. Alles ist etwas chaotisch. Was Nils hasst. Schnelle Planänderungen sind für ihn unangenehm. Aber er spricht es aus – und dann geht es doch.

Wir tragen unseren Text vor – zwischendrin Musik. Das Publikum ist sehr bei der Sache. Hinterher gibt es ordentlich Applaus. Vor allem für Nils. Der über sich hinausgewachsen ist. Und ich habe gelernt, dass ich nun einen Autisten kenne. Genau einen. Ein bisschen zumindest.

Es gilt das gesprochene Wort.

Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage!