gemeinfrei via pixabay / jesse orrico
Organspende
Warum unsere Autorin erst "Nein" angekreuzt hat
13.09.2025 06:35
Organspende sei ein Akt der Nächstenliebe, heißt es in der Kirche. Dagegen hat sich unsere Autorin immer gewehrt. Bis ein Gespräch ihre Meinung geändert hat.
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Seit langem verfolgt mich das Thema Organspende. Als Pfarrerin bin ich oft damit konfrontiert – persönlich, durch die Menschen, denen ich begegne, und durch die Debatten über Organspende in der Kirche. Oft heißt es in der Kirche: Organspende ist ein Akt der Nächstenliebe. Sie sollte für Christinnen und Christen selbstverständlich sein.

Mich überzeugt das nicht. Irgendetwas hält mich davon ab. Ich möchte meine Organe nicht spenden. Ich möchte einfach kein Ersatzteillager werden. Immer, wenn das Gespräch darauf kommt, wehre ich ab: Wer kann denn an meinen Organen schon Interesse haben?

Als dann eines Tages ein Organspendeausweis ins Haus flattert mit der Bitte, ihn ausgefüllt bei sich zu tragen, fülle ich aus. Und kreuze "Nein" an. "Nein – ich bin nicht bereit meine Organe zu spenden." Ich lege den Ausweis in meinen Geldbeutel und lasse die Sache damit auf sich beruhen. Sollen die anderen doch reden – ich mag nicht.

Dann flammt die Debatte politisch wieder auf. Viel zu wenige Menschen in Deutschland sind zur Organspende bereit. Es ist die Rede davon, konkret widersprechen zu müssen, um seine Organe nicht zu spenden. Das bedeutet: Wenn man nicht ausdrücklich widerspricht, dann gilt man automatisch als potenzieller Organspender oder Organspenderin. Mich regt das ungeheuer auf.

In dieser Situation spreche ich mit einem Arzt. Einem Urologen. In einer völlig anderen Angelegenheit. Er redet von der Schönheit seines Berufes. Seine Begeisterung ist mit Händen zu greifen. Er operiert viel und gerne. In der Mehrzahl sind es Prostata-Operationen, die er durchführt. Aber auch Transplantationen. Niere. Leber.

Weil unser Gespräch so offen und angeregt ist, erzähle ich ihm, dass ich meine Organe nicht spenden möchte.

Der Arzt ist ein kluger Mann. Erfahren. Ich vermute, er hat solche Gespräche schon mehr als einmal geführt. Und so lässt er seine moralische Keule auch in der Tasche. Stattdessen sagt er: "Ich zeige Ihnen mal was." Er zieht sein Handy aus dem Arztkittel, scrollt ein bisschen auf dem Bildschirm hin und her. Und hat dann gefunden, was er sucht. Einen Chat mit einem Mann, den er vor einigen Jahren transplantiert hat. Mit ausdrücklicher Erlaubnis des Mannes: "Das können Sie auch gerne anderen zeigen, die über Organspende nachdenken."

Ich sehe Bilder von dem Mann, wie er mit seiner Frau im Urlaub ist. Man sieht auf den Bildern: Beide sind glücklich. Vergnügt und fidel. Und ich lese, was der Mann dazu schreibt. Fünf Jahre ist die Nierentransplantation nun her. Er hat wirklich ein neues Leben bekommen. Heute – am Jahrestag – bedankt er sich. Für das neue, das zweite Leben.

Die Frucht hoher ärztlicher Kunst. Und eines Menschen, der zu Lebzeiten bereit war, im Falle eines Falles seine Nieren zu spenden. Was soll ich sagen? Dieses Gespräch hat für mich alles verändert. Ich bin nach Hause gegangen und habe mir umgehend einen neuen Organspendeausweis besorgt. Da habe ich angekreuzt: "Ja, ich gestatte, dass nach der ärztlichen Feststellung meines Todes meinem Körper Organe und Gewebe entnommen werden."

Ob das dann tatsächlich der Fall ist und was dann entnommen wird, ist mir inzwischen ziemlich gleich. Wenn nur einem Menschen geholfen wird, mit meinen Organen vergnügt und fidel weiterzuleben – was könnte ich mir Schöneres wünschen?

Es gilt das gesprochene Wort.

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