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Der KI-Jesus
Der Heiland persönlich
11.10.2025 06:35

Jesus war in Luzern. Man konnte ihm Fragen stellen, und er hat geantwortet. Künstliche Intelligenz macht es möglich.

 

Sendetext lesen:

"Dein eigener Jesus, ganz für dich; jemand, der deine Gebete erhört, sich um dich sorgt, der für dich da ist." Davon singen "Depeche Mode" in ihrem Song "Personal Jesus". Schon schick: So einen Heiland ganz für sich. Genau das haben die Besucherinnen und Besucher der Peterskapelle im schweizerischen Luzern vor einem Jahr ausprobieren können. 

Da saß im Beichtstuhl Jesus Christus. Allerdings als KI, sein Antlitz künstlich generiert auf den Bildschirm eines Tablett-Computers, so wie romantische Geister und manche Maler ihn sich vorstellen: mit langen Haaren, Hipster-Bart, in einem dunklen Pullover. KI-Jesus konnte in 100 Sprachen antworten und blickte einen aus sanften Augen durch das rautenförmige Gitter an. Das Sakrament der Beichte hat er nicht abgenommen. Dafür hat der virtuelle Christus mehr als 900 Gespräche geführt. 

Das Ganze war ein Kunstprojekt. "Deus in Machina" hieß die Aktion. Sie lief von August bis Oktober 2024. Forschende für virtuelle Realität der Hochschule Luzern haben sie gemeinsam mit Theologinnen und Theologen entwickelt. Dafür fütterten sie die KI mit Inhalten aus dem Neuen Testament, gaben ihr einen Auftrag. "Prompt" nennt sich die Anweisung an die KI: "Du bist Jesus Christus, der Sohn Gottes und trittst als Seelsorger auf. Du hältst dich an Anfragen und bietest Beratung und Unterstützung. Bibelpassagen leiten deine Antworten ein." Dazu ein paar weitere Regeln, etwa sich kurz zu fassen. 

Die Besucherinnen und Besucher wollten vom KI-Jesus alles Mögliche wissen, erzählt einer vom Forschungs-Team. Ob Religion noch zeitgemäß sei, was Jesus zu Krieg und Frieden sagt, zur Zukunft der Kirchen? Und es seien jede Menge persönliche, elementare Fragen gestellt worden. Also die großen Themen: Was passiert nach dem Tod? Kann ich mich wieder verlieben? Wie finde ich inneren Frieden? Wie fühlt sich Gottes Nähe an? 

Alle Gespräche sind anonym transkribiert und ausgewertet worden. Außerdem haben die Forschenden Eindrücke unmittelbar nach dem Gespräch im Beichtstuhl erfasst. Manche haben kopfschüttelnd das Projekt kommentiert als banal, kitschige Jesus-Folklore. Aber der Großteil hat ganz anders reagiert. Zwei Drittel haben bei der Auswertung angegeben, eine spirituelle Erfahrung gemacht zu haben. Viele sind berührt gewesen, geradezu ergriffen. 

Der Personal Jesus in der Peterskapelle Luzern hat also Erstaunliches ausgelöst. Und das, obwohl seine Natur lediglich auf einer gut komponierten Zahlenfolge von Nullen und Einsen basiert. 

Man kann über die Ergebnisse lächeln, das Projektdesign kritisieren: den weißen Christus, das althergebrachte Gottesbild oder den salbungsvollen Tonfall des KI-Heilands. Ganz sicher auch, dass die Kunstaktion durch den alleinigen Bezug auf das Neue Testament ein 2.000 Jahre altes Weltbild reproduziert, das unreflektiert in die Gegenwart übertragen wird. Alles begründete Kritik. Aber keine Sorge: Das wahre Heilige nimmt keinen Schaden. Es bleibt unverfügbar, entzieht sich der künstlichen Generierung.

Außergewöhnlich bleibt die spontane Reaktion der Gesprächsgäste des KI-Jesus. Sie haben sich ihm geöffnet, in ihr Innerstes schauen lassen, sind fasziniert gewesen, mit dem künstlich generierten Jesus der Bibel sprechen zu können.

Das sagt etwas über uns Menschen. Wie wir angesprochen werden möchten. Wir wollen direkt gemeint sein. Im Du – das trifft. Die Rückmeldung der Gäste zum KI-Jesus lässt sich zudem als Wertschätzung für die Arbeit der Seelsorgerinnen und Seelsorger aus den Kirchen verstehen. Frauen und Männer, die sich Ratsuchenden und ihren Fragen zuwenden. Einfühlsam, persönlich. Einander Christus sein, so hat Martin Luther das genannt. Da ist eine Sehnsucht nach einem eigenen, persönlichen Jesus. Jemandem, der mit dir betet, sich um dich sorgt und für dich da ist.

Es gilt das gesprochene Wort.
 

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