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Tragen Religionen einen Keim zur Gewalt in sich? Zu dem Schock und der Trauer nach der tödlichen Messerattacke in Mannheim kommt diese Frage hinzu. Heute soll es in Baden-Württemberg um 11:34 Uhr eine Schweigeminute geben. 11:34 Uhr, das ist die Uhrzeit, als am Freitag vor einer Woche ein 25-jähriger Mann mit einem Messer sechs Menschen verletzt hat. Darunter ein Polizist, 29 Jahre jung. Wenige Tage darauf ist er an seinen Verletzungen gestorben.
Schon die ganze Woche fahren Streifenwagen mit Trauerflor durch Mannheim, Stuttgart, Ulm, Heilbronn. Auf Booten der Wasserschutzpolizei, vor den Dienststellen der Polizei und des Innenministeriums hängen die Flaggen auf Halbmast.
Der Angreifer stammt aus Afghanistan, lebt seit zehn Jahren in Deutschland. Er hat vermutlich aus islamistischen Motiven eine Veranstaltung der islamkritischen "Bewegung Pax Europa" attackiert.
In Mannheim hat das Entsetzen über die Tat Gläubige aus verschiedenen Religionen zusammengebracht. Am Montag sind 8.000 Menschen zu der Kundgebung "Mannheim hält zusammen" und einem interreligiösen Gebet auf den Marktplatz gekommen. (1) Muslime, Juden, Aleviten und Christen Seite an Seite. Ob Imam, jüdischer Kantor oder Pastorin – sie kennen die Unterschiede zwischen ihren Religionen. Aber sie betonen bei der Kundgebung das Verbindende: Die Liebe zum Leben, den Wert eines jeden Menschen. Schließlich findet sich in ihren heiligen Schriften der Appell, einander in Frieden zu begegnen.
Daneben gibt es andere, erschreckende Reaktionen, vor allem in den sozialen Medien. Da feiern junge Männer, offenbar Muslime, die brutale Gewalttat von Mannheim. Sie glorifizieren den Täter. Einer wünscht ihm "die höchste Stufe im Paradies". Kritik am Islam missverstehen sie als Beleidigung ihres Propheten Mohammed. Kein Mitleid, so der Tenor. (2)
Die Weltreligionen rufen zum Frieden auf, aber sie tragen auch einen Keim zur Gewalt in sich. Es gilt das Friedenspotenzial der Religionen zu stärken gegenüber den dunklen Passagen. "Gott ist der rechte Kriegsmann", steht in der Bibel (2. Mose 15,3). Und auch Jesus, der sonst die Nächsten- und Feindesliebe predigt, sagt einmal: "Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert." (Matthäus 10,34). In seinem Namen sind die Kreuzzüge geführt worden, deren Gewaltexzesse in der muslimischen Welt bis heute nachklingen.
Selbst innerhalb des Christentums haben sich die Konfessionen bekämpft. Im Dreißigjährigen Krieg massakrierten sich Katholiken und Protestanten gegenseitig im Namen ihres Glaubens. Zu Tausenden. Von diesem Gewaltpotenzial konnten sich die Kirchen im Grunde erst nach den beiden Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts lossagen, ja befreien. Aber Vorsicht! Ein für alle Mal auf der Seite der Guten ist niemand. Das Böse kann schwimmen – so ähnlich hat Martin Luther das mal gesagt.
Taten wie in Mannheim wecken auch Erinnerungen an frühere Attacken. Bei uns hier im Norden denken viele an Brokstedt in Schleswig-Holstein. Im Januar vor einem Jahr hat ein Angreifer mit einem Messer in einem Regionalzug zwei junge Menschen getötet.
Es braucht nun konsequentes Handeln des Staates, einen klaren Blick der Politik, genauso Ruhe und Mitgefühl für die Opfer, die Verletzten, den getöteten Polizisten und seine Angehörigen. Und es braucht den Zusammenhalt aller Menschen guten Willens. Die Schweigeminute heute um 11:34 Uhr ist ein wichtiges Zeichen.
Jede Religionsgemeinschaft muss sich vom Gewaltpotenzial ihres Glaubens emanzipieren und ihr Friedenpotenzial heben, stärken und dagegensetzen. Am Montag hat bei dem interreligiösen Gebet ein Imam auf dem Mannheimer Marktplatz gebetet: "Gott will, dass wir in Frieden zusammenleben. Gott will, dass wir das entfalten, was er an friedensstiftenden Gaben und Talenten in uns und in unsere Mitmenschen gelegt hat."
Es gilt das gesprochene Wort.
Anmerkungen zur Sendung:
- https://ekma.de/termine-aktuelles/aktuelles/detail/nachricht/id/54707-mannheim-haelt-zusammen/?cb-id=170430
- https://www.zdf.de/nachrichten/politik/mannheim-attacke-video-tiktok-hass-gewalt-islamkritiker-100.html