Sendung zum Nachlesen
Am letzten Tag des Jahres soll uns hier eine Strophe aus Dietrich Bonhoeffers Gedicht "Von guten Mächten" begleiten. Die Zeilen sind Teil seines letzten Briefes an seine Verlobte Maria von Wedemeyer, geschrieben im Gefängnis im Dezember 1944.
"Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang."
Dieses besondere Jahr 2020 war an vielen Stellen leiser, stiller als andere Jahre. Keine Straßenfeste mit Livemusik, kein Oktoberfest und keine Weihnachtsmärkte. Und über unseren Köpfen zogen weniger Flugzeuge ihre Kondensstreifen durch den Himmel, auch dieser war stiller geworden. Und heute: keine Silvesterparty mit bunten Raketen und mich erschreckenden Böllern, auch nicht die größte in Berlin am Brandenburger Tor mit hunderttausenden Besuchern.
Ich vermisse die Begegnung mit Freundinnen und Freunden, den Schwatz am Kopierer oder das Mittagessen mit der Kollegin.
So, wie ich vorher oft die Stille vermisst habe. Ich brauche die Stille; sie tut mir gut. Um zur Ruhe zu kommen und auf andere Gedanken. Poetisch ausgedrückt: um den Klang der Stille zu hören.
Dietrich Bonhoeffer schreibt dazu in seinem Brief: "Je stiller es um mich herum geworden ist, desto deutlicher habe ich die Verbindung zu euch gespürt. Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen."
Gott zeigt sich oft in der Stille. Im Alten Testament wird das in einer Geschichte von dem Propheten Elia erzählt. Er ist auf der Flucht, müde und erschöpft. Er versteckt sich in einer Felsenhöhle. Dort hört er, wie Gott spricht: "Komm raus aus deinem Versteck, aus deiner Dunkelheit und ich will mich dir zeigen." Elia tritt heraus ins Freie, ins Licht. Was mag er erwarten, wie wird sich Gott zeigen? Es kommt ein starker Wind, der sogar Felsen zerbricht, aber Gott ist nicht im Wind. Und es kommt ein Erdbeben, aber Gott ist nicht im Erdbeben. Nach dem Erdbeben kommt ein Feuer, aber Gott ist auch nicht im Feuer. Nach dem Feuer kommt "ein stilles, sanftes Sausen" oder anders übersetzt: "eine Stimme verschwebenden Schweigens". Und Elia spürt: Hier ist Gott.
Solche Stille und solches Lauschen - beide gehören zusammen; und beide sind ein Geschenk.
Deshalb bittet Dietrich Bonhoeffer:
"Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang."
Es gilt das gesprochene Wort.