Einen guten und gesegneten Weihnachtsabend, verehrte Damen und Herren.
Es ist des Menschen erstes Sinnes-Organ. Schon beim Embryo im Mutterschoß ist der angelegt. Etwa im zweiten Monat der Schwangerschaft: Der Tastsinn. Noch ungeboren tastet der kleine Mensch sich bereits in die ihm noch unbekannte Welt hinein: kann sie fühlen und empfinden. Taktil – nennt das die Wissenschaft. Und dann, nach der Geburt, kommt mehr hinzu: haptisches Tasten: Anrühren, Berühren, Empfinden und Erspüren – der erste Sinn des Menschen; schon IM Mutterleib und erst recht dann in dieser Welt: Fast alles ist zu ertasten und mit der Haut zu spüren: Wärme oder Kälte, Nähe oder Schmerz.
Heute feiern wir Christenmenschen, dass Gottes Sohn geboren ist.
Was für ein Tastsinn hat sich wohl in diesem Kind ausgeprägt: Hat er die Sorge der Mutter gespürt, dass sie wegen ihrer unverheirateten Schwangerschaft ausgeschlossen werden könnte? Hat er sich herangetastet an die unruhigen Nächte des Josef? Und an dessen Träume von Engeln und deren seltsamen Botschaften?
Der Tast-Sinn von Jesus Gottessohn ist mir in diesem Jahr ein sehr weihnachtlicher Gedanke. Ich stelle mir vor, wie taktil dieses Christkind unterwegs ist: mit wieviel Freude spürt er die Haut der Mutter, und wie beruhigt ihn ihr Atem auf seiner Stirn; bald hat er sicher in ihr Haar gegriffen und an die feuchten Nasen von Ochs und Esel, wenn er in ihrer Futterkrippe lag...
Doch: Bethlehem war ihm sicher schon von Anfang an zu klein. Dieses Kind ertastet viel mehr. Es fühlt die Angst eines noch ungeborenen Kindes zusammen mit der Angst seiner Mutter auf einem Schlauchboot im Mittelmeer. Das Jesus-Kind spürt, wie ein Kind seine Oma tröstet, die es im Seniorenheim besucht. Das Christkind ertastet den Schmerz, den Menschen im Ahrtal und an der Erft fühlen, denen ihr Weihnachten so ganz ganz anders geworden ist. Das Kind spürt weit über seine kühle Krippe hinaus auch, was Sie und mich bewegt, weil das alles mit Corona schier kein Ende nimmt.
Das inmitten der Heiligen Nacht neugeborene Kind ist Gottes erster Tastsinn. Ich darf es Gottes Sohn nennen. Der unendliche göttliche Himmel tastet sich in der Haut dieses Kindes an die Haut der Menschen heran – sie mag verhärtet sein oder verhärmt, zartbesaitet und liebevoll empfindend. In der Haut dieses Kindes will Gott trösten und heilen und zutiefst mitfühlen. "Gott hast sich ein Fest bereitet, das es in seinem Himmel nicht gab: Gott wird Mensch" – hat der Theologe Karl Rahner einmal gesagt.
Gott bereitet sich dieses Fest; dabei tastet er sich mit großer Liebe an mein unfestliches Leben heran und an das so alltägliche Leben aller Menschen; und macht es sich zu eigen.
Gottes Fest mit jedem Menschen auf dieser Erde ist an Weihnachten eröffnet. Nichts und niemand lässt ihn unberührt und unertastet. Und weil es so tastend begonnen hat und damit so unbeholfen und zart, betrifft mich die Weihnacht umso mehr.
Das ist mein Wunsch auch für Ihr Weihnachten: Dass Sie fühlen, wie Gottes Sohn sich an Ihr Leben und Ihr Fühlen herantastet: liebevoll, vor allem liebevoll. Denn dieses Christuskind kann nur Liebe sein und Liebe geben.
Ein gesegnetes Weihnachtsfest wünsche ich Ihnen und allen, die Ihnen lieb sind.
Saarländischer Rundfunk (SR)
Redaktion: Barbara Lessel-Waschbüsch
Katholischer Senderbeauftragter für Das Wort zum Sonntag für den SR
Wolfgang Drießen, Bistum Trier
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