Einen guten ersten späten Abend im Neuen Jahr, verehrte Damen und Herren,
Schwefelnebel in meiner Nase. Verschossene Böller und Raketen und Scherbenhaufen zu meinen Füßen. In meinem Blick die einen oder anderen Nachtschwärmer auf dem Weg von der Silvesterfete nach Hause; die grüßen mal ausgelassen, mal schleppen sie sich eher gebeugt dahin. Das war auf dem Weg zum ersten Gottesdienst im Neuen Jahr, heute am frühen Morgen. Was für ein Unterschied: welcher Aufwand wird für ein Ende betrieben und wie unauffällig dagegen der Anfang bleibt. Auf meinem Weg denke ich auch an den verstorbenen emeritierten Papst Benedikt, dem ein ganz eigenes Neues geschenkt werden wird. Und auch an die vielen anderen Menschen, die in diesen Tagen für sich ein neues Jahr in einem ganz neuen Leben beginnen werden.
Denn der Anfang des Jahres ist still. Verkatert oder nüchtern. Aufräumen von der Nacht. Manche schauen sich das Neujahrsskispringen an oder besuchen das Neujahrskonzert – live oder im Fernsehen.
Ein neuer Tag in einem neuen Jahr ist halt auch zunächst mal nur EIN Tag. Von dem ich kaum weiß, wie er werden wird– ebenso wenig wie von anderen Tagen, die diesem ersten Tag des Jahres folgen werden. Und je weiter dieser erste Tag des Jahres vorangeschritten ist, um so mehr packt mich das Grauen vor dem zweiten Januar. Über mich bricht an diesem schrecklichsten Tag des Jahres der ganz normale Wahnsinn des Alltags herein – als hätte es weder Weihnachten gegeben noch eine stillere Zeit zwischen den Jahren. Am zweiten Januar ist der Neujahrstag endlos weit weg.
Aber vielleicht ist ja genau das gemeint:
"Bei Gott ist ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre sind wie ein Tag": das geht mir durch den Sinn. Beides zusammen zu denken und zu leben: dass jeder Tag eine unermessliche Bedeutung hat und dass zugleich jeder Tag irgendwie verschwindend gering ist. Das gilt für einen Neujahrstag wie für den zweiten Januar und die folgenden Alltage.
Der verstorbene Papst Benedikt hat da für uns alle ein ganz großes Zeichen gesetzt das bleiben wird. Für ihn war der Alltag des Amtes zu einer schweren Bürde geworden. So schwer, dass er in großer Freiheit vor fast 10 Jahren seinen Rücktritt als Papst erklären konnte. Weil er wusste, dass er das seinem Leben schuldig war und dass die Welt sich weiter drehen würde. Er selbst hat sinngemäß einmal gesagt: "Für den Alltag brauchen wir das Fest": es ist ja schon ein Geschenk, morgens aufstehen zu können, einen ersten Schritt in einen neuen Tag zu setzen. Wo dann so vieles routiniert abläuft – und doch jedes Detail zugleich seine besondere Bedeutung hat. Dass die Heizung heizt, dass warmes Wasser fließt, dass mir das gleiche Gesicht wie am Vortag beim Frühstück gegenübersitzt: genauso lebendig wie ich es sein darf. Dass der Tag einen Rhythmus hat in unrhythmischen Zeiten; dass es Gewissheiten gibt inmitten des Ungewissen. Alltag.
"Dass bei Gott ein Tag wie tausend Jahre ist und tausend Jahre sind wie ein Tag", das lässt mich entspannter in ein neues Jahr und in einen neuen Tag gehen. Alltäglich neu. Denn da ist nichts, was mich unbedeutend macht, und da ist nichts, was mich zur Mitte des Universums machen würde. Der Tag, den ich leben darf, ist genug und mehr als das.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Jahresbeginn und viele gesegnete Alltage im Jahr 2023.
Saarländischer Rundfunk (SR)
Redaktion: Barbara Lessel-Waschbüsch
Katholischer Senderbeauftragter für Das Wort zum Sonntag für den SR
Wolfgang Drießen, Bistum Trier
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