Wort zum Tage
Gemeinfrei via Unsplash/ Ana Municio
Fragen
von Vikarin Sabrina Fabian
08.04.2023 06:20
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„Haben Sie die Fragen lieb!“ - ein seltsamer Ratschlag, den Rainer Maria Rilke dem Nachwuchskollegen und jungen Dichter Franz Xaver Kappus gibt. Kappus sucht Hilfe für seine literarischen Arbeiten bei Rilke. Doch der Altmeister gibt dem Kollegen lieber Lebensratschläge. Diesen zum Beispiel: „Haben Sie die Fragen lieb!“

Ein Tipp, den man eher in einem Handbuch für Interviews vermuten würde. „Haben Sie die Fragen lieb und wählen Sie sorgfältig aus!“ Offene Fragen geben dem Interviewten Gelegenheit, viel zu erzählen und auszuholen. Geschlossene Fragen setzen eher unter Druck. Und wenn man Pech hat, antwortet das Gegenüber nur mit einem Wort. Das hat der Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni im vergangenen Oktober erlebt. Er unterhielt sich mit Wirtschaftsminister Robert Habeck über die Rezession. Da stellt Zamperoni in den Raum, dass die Regierung gerade in diesen ernsten Zeiten vor allem streite. Er fragt: „Wollen sie dieses Hickhack nicht beilegen?“ Doch die Provokation des Journalisten läuft ins Leere. „Selbstverständlich“, antwortet der Minister kurz und trocken. Zamperoni nimmt einen erneuten Anlauf: „Und was machen sie, um das zu tun?“ Die Reaktion des Ministers fällt noch kürzer aus: „Reden.“

Habeck lässt den Journalisten auflaufen. Eine knappe Antwort ist auch eine Antwort. Rilke hätte für Zamperoni trotzdem einen Tipp gehabt. Denn der Schriftsteller schreibt weiter in seinem Brief an Kappus: „Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten.“

Mehr in Fragen leben, das ist der Rat des Schriftstellers. Hat mich an einen Ratschlag erinnert, den Mose den Israeliten in seinem Lied mitgibt. Das Volk steht nach seiner 40-jährigen Wanderung durch die Wüste kurz vor dem verheißenen Land. Mose fasst ihm Wichtiges in einem Lied zusammen. Er singt über das Verhältnis der Israeliten zu ihrem Gott und rät jedem einzelnen: „Gedenke der vorigen Zeit bis daher und betrachte, was er getan hat an den alten Vätern. Frage deinen Vater, der wird dir's verkündigen, deine Ältesten, die werden dir's sagen.“ (5. Mose 32,7)

Frage deine Vorfahren und Vorfahrinnen, was sie mit Gott erlebt haben. Durch Fragen sollen die Israeliten gedenken, dem Leben auf die Spur kommen. Lebe in Fragen, sagt Mose sinngemäß. Fragen, suchen, gedenken, sich mit Antworten nicht zufriedengeben, sondern weiterfragen. Darin sind Mose und Rilke sich offenbar einig. Sie animieren mich dazu, das Leben und Gott in Fragen zu suchen.

Es gilt das gesprochene Wort.