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Was macht Hans zum Hans im Glück? Nun, im Märchen ist es jedenfalls nicht der Klumpen Gold, den er als Lohn für seine treue Arbeit erntet. Dessen kann er sich gar nicht schnell genug entledigen, und es folgen auf seinem Heimweg allerlei Tauschgeschäfte, die eines gemeinsam haben: Sie verlaufen – gelinde gesagt – zu seinen Ungunsten. Am Ende besitzt er nur noch einen wertlosen Stein vom Wegesrand, den ihm ein Scherenschleifer als vermeintliches Top-Werkzeug angedreht hat, und der plumpst ihm dann auch noch versehentlich in einen Brunnen. Jetzt hat er alles verloren, die ganze Plackerei, sie war umsonst. Wie reagiert er? Hadert er mit seinem Schicksal? Ergeht er sich in Schuldzuweisungen? Mitnichten: Er fällt auf die Knie und dankt seinem Gott für die Gnade, die er ihm erwiesen hat.
Uns behagt die Geschichte. Wir finden die Botschaft schön. Wobei wir natürlich nicht verkennen, wie naiv Hans ist. Wir haben gelernt, dass die Welt uns nicht immer Glück beschert, und dass es sich sicherer lebt, wenn man einen solchen Klumpen Gold hat.
Hans hat es da bedeutend leichter, ihm fehlt jedes kritische Bewusstsein. Er verbucht alles, was ihm widerfährt, und sei es noch so offenkundig verhängnisvoll, als Gottes Gabe zu seinem Wohl, das Leben ein einziges formidables All-inclusive-Geschenk seines Herrn.
Wie gelingt ihm das? Ganz einfach: durch einen All-inclusive-Glauben. Den zu hinterfragen, kommt ihm gar nicht in den Sinn. Sein Gottvertrauen ist ebenso umfassend wie unerschütterlich. Aber was glaubt Hans eigentlich genau? Könnte er das formulieren? Was würde er wohl antworten, wenn man ihn fragte: „Hör mal, Hans, wie begreifst du die Trinität?“
Vermutlich bliebe er die Antwort schuldig. Er braucht keine.
Stellen wir uns vor, die Geschichte ginge weiter. Hans lernt eine Frau kennen, die Ilsebill. Sie liebt ihn nicht nur, sie erkennt sein Potential. Kurzerhand gründet sie die Coaching-Agentur NGL – Nachhaltig Glücklich Leben. Das Unternehmen boomt. Publikumsmagnet Hans erzählt wieder und wieder die Geschichte vom schnöden Gold, die Menschen strömen, lauschen ihm andächtig und nehmen sich vor, ihr Leben zu ändern. Dafür zahlen sie gerne und nicht wenig. Hans und seine Ilsebill können sich nicht retten vor Anfragen, sie werden reich und berühmt.
Hans gibt sich in der Folge nicht etwa dem Müßiggang hin. Sein Ehrgeiz ist geweckt. Er arbeitet an sich, lernt Rechnen, Schreiben, Lesen, steigt ein in die Welt des Wissens, verschlingt alles, dessen er habhaft werden kann. Doch mit der Kenntnis kommen Zweifel. Der alte Hans wusste nichts und glaubte alles. Nun scheint es umgekehrt. Schon bald stellen sich ihm viele Fragen, darunter auch grundlegende wie diese: „Wirst du mich morgen noch genauso lieben?“
Das fragt er nicht nur seine Ilsebill, das fragt er eines Tages auch seinen lieben Gott.
„Gegenfrage, lieber Hans“, erwidert der. „Wirst du morgen noch so an mich glauben, wie du heute an mich glaubst?“
„Voraussichtlich“, gibt der zunehmend gewiefte Hans zurück. „Also, wenn nichts dazwischen kommt. Ich meine, ich habe gehört, du bist ein Gott, der mich sieht. Aber das beruht ja nun mal leider nicht auf Gegenseitigkeit. Und bei der Gelegenheit, ich hätte da ein paar sehr konkrete Anliegen und Fürbitten. Alles übrigens hochverdient. Außerdem bin ich ja in Vorleistung getreten, indem ich meinen Glauben immer wieder öffentlich bekannt habe. Mit meiner Popularität habe ich ganz schön Werbung für Dich gemacht. Du hast nun die Gelegenheit, dich zu revanchieren. Als Ernte für dein Investment kann ich dir eine ordentliche Portion Lobpreis in Aussicht stellen. Also, leg‘ dich für deinen Hans mal ein bisschen ins Zeug!“
Stopp! So geht das nicht! Wenn Hans so agiert und argumentiert, dann begreift er das Verhältnis zwischen ihm und seinem Schöpfer ja beinahe so, als wäre es eine Geschäftsbeziehung. Das kommt natürlich nicht in Frage. Der Hans im Glück, wie wir ihn mögen, kennt kein Fordern, keine Ansprüche, nicht einmal Erwartungen. Für ihn gilt tatsächlich: Wer‘s glaubt, wird selig.
In seinem Fall klingt das fast schon poetisch, nach einem Idealzustand. Für uns, kritische Geister aus Überzeugung, unerreichbar. Denn je mehr man erfährt, umso schwieriger wird das doch mit dem Glauben. Wo beginnt er? Was umfasst er? Überhaupt, wie kann man ihn fassen?
Wenn wir uns damit beschäftigen, fördern wir so einiges zutage:
Da tauchen wegweisende Erinnerungen auf: eine prägende Religionslehrerin, eine intensive Konfirmandenfreizeit, ein beseelender Kirchentag, ein besonderer Moment des Innehaltens, des stillen Gebets. Aber auch jede Menge Skepsis, in den Medien, in der Literatur. Konflikte, Diskussionen zuhauf und allerorten, auch und gerade im Freundeskreis: „Was? Du bist gläubig? Das hätte ich nicht gedacht, du bist doch aufgeklärt. Dann erzähl mal, wie ist das mit der Jungfrau Maria?“
Und dann kommen auch noch die vielen Detailfragen, das Kleingedruckte gewissermaßen, das sich so nicht im Glaubensbekenntnis findet, was wir brav auswendig gelernt haben. Schon in der Schule hören wir im Geschichtsunterricht, dass es immer wieder erbitterte Auseinandersetzungen gegeben hat über den rechten, den wahren Glauben, über die richtige Auslegung der Bibel. Solche theologischen Streitfragen führten zu Anklagen, zu Prozessen, zu Hinrichtungen und zu Kriegen. Zentraler Vorwurf: „Ihr glaubt das Falsche! Das sollt ihr büßen. Wir haben Recht, und Gott ist auf unserer Seite.“
Gut, dass diese Zeiten der Vergangenheit angehören, wenigstens bei uns. Aber es gibt schon zu denken, das Wenigste lässt sich als rein akademisch abtun.
Hans mag an dieser Stelle die Achseln zucken: „Keine Ahnung, worum es da geht, ich glaube es auf jeden Fall!“ Wir dagegen fühlen uns aufgerufen, uns in allen Glaubensfragen zu positionieren.
Wenn wir uns dann in einem Punkt entschieden haben und bekennen „So ist das, das glaube ich!“, ist das dann noch Meinung oder schon Glaube?
Präzisieren wir damit unseren Glauben? Oder verändern wir ihn?
Dann wäre der Glaube ja immer eine Momentaufnahme.
Gewiss, frei von Schwankungen ist er nicht. Und da ist man als Evangelischer im Vorteil. Man fällt nicht gleich vom Glauben ab, wenn man gelegentlich zweifelt. Ja, nicht immer ist man sich sicher, was man glaubt. Manchmal will man glauben. Manchmal glaubt man aus Prinzip, manchmal aus einem Hochgefühl, vielleicht auch mal vorsichtshalber. Manchmal glaubt man nur, was man weiß. Manchmal weiß man nicht, was man glauben soll. Und manchmal hört man sich trotzig sagen: „Ich? Ich glaube nur noch an das Gute: an mich.“
Ach ja, manchmal wären wir schon gerne wie unser Hans! Frei, froh und hochzufrieden, und das am besten immer.
Und wir sehen durchaus Parallelen zu Hans. Denn – sind wir ehrlich – uns ergeht es in diesem Leben nicht anders. Ein ums andere Mal werden wir wie er über den Tisch gezogen, haben das Nachsehen, werden ausgenutzt. Und warum? Weil wir so gutmütig sind, emsig, redlich.
Indes, wird das belohnt? Fehlanzeige. Und da geht es beileibe nicht um Geld. Was wir leisten, das kann ohnehin keiner bezahlen. Aber es wäre schon schön, wenn man wenigstens gelegentlich den gebührenden Dank erntete. Stattdessen müssen wir uns immer häufiger mit unserem eigenen Siegerlächeln begnügen. Das setzt einem schon zu. Und das kann einen auch ganz schön auf die Palme bringen.
Was würde Hans an unserer Stelle tun? Nun, er würde erst gar nicht in solche Stimmungslagen geraten, an ihm würde das abprallen. In dieser Hinsicht ist er uns ganz klar voraus. Hans braucht kein Achtsamkeitstraining, er muss nicht lernen, auch mal „Nein!“ zu sagen, er muss nicht inständig an sich appellieren: „Gelassenheit! Gelassenheit! Gelassenheit!“
Nein. Der ist so!
Jetzt mal ein kühner Gedanke: Können wir von ihm etwas lernen? Könnte uns Hans vielleicht einen Tipp geben? Mit seiner schlichten, unbeschwerten Weltsicht? Versuchen wir‘s!
„Hör mal, Hans, wir haben da ein Problem. Wir sind belesen, gut informiert und weltoffen. Deshalb wissen wir, alles ist komplex – oh! Entschuldige, bitte! Das Wort ist uns jetzt rausgerutscht, das war unbedacht, rücksichtslos dir gegenüber. Hm. Wie soll man das erklären, damit du es verstehst? Vielleicht so: Uns fällt immer gleich ein ABER ein. Wir sagen: Es geht uns gut, aber…, Wir sind dafür dankbar, aber…, Natürlich sind wir gläubig, aber…
Kannst du uns einen Rat geben, Hans?
Und – siehe da – der Bursche hat für uns doch glatt eine Lösung parat: „Wenn das so ist“, meint Hans und strahlt uns dabei an. „Dann lasst das ABER doch einfach weg!“
„Pah! Du hast gut reden, Hans“, erwidern wir. „Ein netter Traum. Schön wär‘s. Aber das geht nicht.“
„Hm. Und wenn ihr‘s einfach mal versucht?“
„Nein, Hans. Ausgeschlossen. Das hat keinen Sinn. Aber trotzdem danke.“
„Ich hab zu danken“, ruft Hans und geht frohgemut seiner Wege.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
- Fleetwood Mac: Albatros
- Jimmy Scott: Heaven
- Janis Joplin: Mercedez Benz
- Jimmy Scott: Heaven
- Bert Brecht: Die Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens
- Fleetwood Mac: Albatros