"Angst essen Seele auf", hieß der Film des legendären deutschen Regisseurs Rainer Werner Fassbinder; mit der großartigen Brigitte Mira in der weiblichen Hauptrolle. Der ist vor fünfzig Jahren in die Kinos gekommen. Ja, ich bin Kinofan.
"Angst essen Seele auf": der Titel ist absichtlich sprachlich holprig. Ich zitiere ihn, weil er auf den Punkt bringt, was mir in vielen Gesprächen begegnet: es scheint das aktuelle Lebensgefühl vieler Menschen zu bestimmen. Ja, viele Ängste essen Seelen auf. Was kann da helfen? Wie mit der Angst und Ängsten umgehen? "Schwere Kost."
Da kommt mir der jüngste Brief von Papst Franziskus zu Hilfe. Ein Gruß in sommerlicher Leichtigkeit. Ich finde, dieser Gruß kann dem bleiernen Lebensgefühl von ermüdeter oder gar aufgegessener Seele etwas entgegensetzen. Sommerlich leicht, zumal der Papst über ein Thema schreibt, das eher kein Papststoff erster Kajüte ist: die Bedeutung von Literatur und Lesen.
Das passt zu Sommer- und Ferienzeiten. "Oft wird in der Langeweile des Urlaubs, in der Hitze und Einsamkeit verlassener Stadtviertel ein gutes Buch zu einer Oase, die uns von anderen Entscheidungen abhält, die uns nicht guttun", schreibt Franziskus zu Beginn. Ein gutes Buch schützt mich und mein Inneres. Sehe ich genauso. Aber es geht um mehr. Gerade heizen ja die sommerlichen Temperaturen ganz schön ein; und die Tagesmeldungen aus In- und Ausland befeuern die Stimmungen. Da hilft ein gutes Buch zum Runterkühlen. Ich lese und lasse mich auf eine Geschichte ein. Und auf die Menschen in der Geschichte. Dem einen fühle ich mich nahe, eine andere verwirrt mich; und im Hineinlesen spüre ich: da gibt es Worte für meine Gefühle – obwohl die doch bis gerade noch verworren in mir durcheinandergegangen waren.
Beim Lesen erfahre ich, wie meine Gefühle eine Sprache finden. Das zweite wichtige Angebot der Literatur: beim Lesen und durch Lesen finde ICH zu einer Sprache. Und es geht um NOCH mehr.
So schreibt es der Papst: "Beim Lesen einer Geschichte stellt sich … jeder und jede auf eigene Weise das Weinen eines verlassenen Mädchens vor, die alte Frau, die ihren schlafenden Enkel zudeckt, den Einsatz eines kleinen Geschäftsmannes, der versucht, trotz aller Schwierigkeiten über die Runden zu kommen". Wer liest, tritt aus sich selbst heraus und kann in die Tiefen anderer Menschen eindringen … Das Lesen lässt dich eintauchen "in die konkrete innere Existenz des Obstverkäufers, der Prostituierten, des Kindes, das ohne Eltern aufwächst, der Frau des Maurers, der alten Frau, die immer noch glaubt, ihren Prinzen zu finden." Das fordert und fördert Einfühlungsvermögen – und hilft damit, geduldig und verständnisvoll zu sein.
Kurz gesagt: Wer ins Buch schaut und sich aus dem Buch heraus anschauen lässt, ist davon befreit, immer "selbst im Mittelpunkt zu stehen". Also: "Buch lesen essen Angst auf. Und tun Seele gut." Einen Sommer und Herbst und Winter mit vielen guten Büchern und Zeit zum Lesen wünsche ich Ihnen und mir selbst! Und morgen einen gesegneten Sonntag noch dazu!"
Saarländischer Rundfunk (SR)
Redaktion: Barbara Lessel-Waschbüsch
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