Jesus hat am liebsten Gleichnisse erzählt – mitreißende Geschichten, die von der Kraft des Lebens und der Schönheit des Himmels erzählen. Und das bis heute!
Sendung nachlesen:
"Wie der Himmel auf Erden aussieht? Ganz einfach: Stellt euch einen Menschen vor, der in einem Acker einen kostbaren Schatz findet. Er freut sich unfassbar über diesen Fund … und macht alles zu Geld, was er besitzt, nur um den Acker mit dem Schatz kaufen zu können."
(Matthäus 13,44)
Erstaunliche Geschichte, die Jesus da erzählt. Oder? Und wenn man genau hinhört, dann merkt man, wie tiefgründig sie ist. Kein Wunder, schließlich geht‘s um den Himmel auf Erden. Ein Schatz in einem Acker? Ja! Offensichtlich erleben diejenigen den Himmel auf Erden, die etwas finden, über das sie sich so freuen können wie dieser Mensch. So sehr, dass sie bereit sind, für ihren Fund alles andere stehen zu lassen.
Ich könnte auch sagen: Letztlich geht es in dieser Geschichte um den Sinn des Lebens. Weil jemand, der den Sinn seines Lebens gefunden hat, nicht nur unfassbar glücklich ist, sondern alles auf dieses Ziel hin ausrichtet. Und vermutlich steckt in dieser Anekdote auch noch eine Einladung: Fang an, nach dem Sinn deines Lebens zu suchen! Vielleicht findest du ja was. Wie der Typ auf dem Acker.
Die Geschichte vom "Schatz im Acker" kommt ganz leichtfüßig daher – doch plötzlich merkt man: Hier geht’s ans Eingemachte! Ein Kennzeichen, das auf alle Gleichnisse von Jesus zu-trifft. Der "Schatz im Acker" ist übrigens eines seiner bekanntesten. Und selbst Literaturwissenschaftler sagen: Jesu Gleichnisse sind Kunstwerke. Weltliteratur. Eben Geschichten mit dem gewissen Etwas: meisterhafte kleine Erzählungen, die in der Lage sind, das Dasein eines Menschen zu verändern – weil sie existentielle Begebenheiten schildern, die die Hörerinnen und Hörer einladen, weiter zu denken. Weiter zu träumen. Himmelweit!
Im Neuen Testament heißt es in einem Nebensatz ganz lässig: "Ohne Gleichnisse predigte Jesus nie zu den Menschen." (Markus 4,34) Das heißt: Diese Erzählungen sind so etwas wie ein Markenzeichen, vielleicht sogar das Markenzeichen des Wanderpredigers aus Israel. Was auch bedeutet: Mit den Gleichnissen sind wir ganz nah am historischen Jesus dran.
Viele der Gleichnisse und Beispielerzählungen von Jesus sind weltberühmt geworden: "Der verlorene Sohn", "Der barmherzige Samariter" oder das Gleichnis von den Talenten, die man nicht vergraben soll. Warum weltberühmt? Weil das einfach richtig gutes Storytelling ist. Netflix fürs Lagerfeuer. Unterhaltung mit Mehrwert. Was zum Anregen … und zum Aufregen. Denn diese Erzählungen lösen Emotionen und Fragen aus. Was würde ich machen, in dieser Situation?
Heute morgen möchte ich mit Ihnen gerne dem Geheimnis der Gleichnisse ein bisschen nach-spüren … und schauen, was sie uns im 21. Jahrhundert zu sagen haben.
Ach ja: Gleichnisse heißen die Geschichten Jesu, weil sich das, was sie beschreiben, mit unserem Leben und mit Gottes Wirken "vergleichen" lässt. Dazu kommt: Der Philosoph Wilhelm Schapp ist überzeugt: Wir sind ohnehin alle "In Ge-schichten verstrickt" (so der Titel seines bekanntesten Buches), weil sich das, was ein Menschenleben ausmacht, nur in Geschichten und nicht in Fakten oder bio-graphischen Daten beschreiben lässt.
Der israelische Historiker Yuval Harari geht sogar noch einen Schritt weiter. Er glaubt, dass auch Gemeinschaften nur durch starke "Narrative", also verbinden-de Geschichten, ein echtes Wir-Gefühl entwickeln können. Geschichten stiften Identität – für jeden einzelnen und für das Miteinander. Das alles wusste Jesus schon vor 2000 Jahren. Und hat voller Leidenschaft Gleichnisse erzählt.
"Wie der Himmel auf Erden aussieht? Stellt euch einen Winzer vor. Der holt morgens Tagelöhner vom Marktplatz, damit sie in seinem Weinberg arbeiten. Als Tageslohn macht er einen Denar mit ihnen aus. Doch bald stellt er fest ‚Ich brauch‘ mehr Leute‘ … und holt im Lauf des Tages mehrfach welche dazu: um 9, um 12, um 3, ja selbst eine Stunde vor Feierabend.
Am Abend wird der Lohn ausgezahlt, und der Winzer fängt bei denen an, die als letzte gekommen sind: ‚Hier, ein Denar, dein Tageslohn.‘ ‚Wow‘, denken sich die anderen: Die da haben ja kaum was gemacht und kriegen einen Denar, dann wird’s bei uns richtig zur Sache gehen. Aber der Winzer zahlt allen einen Denar.
Natürlich gibt’s einen Riesen-Aufstand: ‚Was geht denn hier ab? Wir haben viel mehr gearbeitet!‘ Aber der Winzer sagt: ‚Ich tue doch keinem Unrecht. Ich gebe allen einen Tageslohn. Seid ihr sauer, weil ich gut zu den Leuten bin?‘" (Matthäus 20,1-16)
Unfassbar! Alle bekommen das Gleiche, egal, wie viel sie geleistet haben. Ist das nicht total ungerecht? Von wegen: ‚Leistung muss sich wieder lohnen.‘ Na, zumindest hat dieses Gleichnis von Jesus schon damals die Gemüter gehörig erhitzt. Und: Die Frage nach dem, was gerecht oder ungerecht ist, treibt die Menschen heute in unserer Gesellschaft auch am meisten um. Das zeigt das viel diskutierte Buch "Triggerpunkte", das vor einem Jahr erschienen ist. Da ahnt man: Jesu Gleichnis von dem Winzer und den Arbeitern im Weinberg ist eine zeitlos bewegende Geschichte. Was ist gerecht?
Alle bekommen in diesem Gleichnis den gleichen Lohn. Warum? Weil es verschiedene Ideen von Gerechtigkeit gibt: Entweder "Jeder bekommt, was er verdient" oder … "Jeder bekommt, was er braucht". Was ist wohl sinnvoller? Auch die Tagelöhner, die in dieser Geschichte nur eine Stunde arbeiten, können am Ende ihre Familie ernähren. Viele Menschen sind bis heute nachweislich vor allem des-halb unzufrieden, weil sie sich ständig mit anderen vergleichen … anstatt zu prüfen: "Habe ich eigentlich das, was ich brauche?"
Also: eine topaktuelle Frage. Und zugleich eine anschauliche Vorstellung vom ‚Himmel auf Erden‘ – eine Gesellschaft, in der jede und jeder das bekommt, was sie oder er zum Leben braucht.
Heute morgen geht es um die Gleichnisse Jesu, diese tiefgründigen Ge-schichten, denen es seit langem gelingt, Menschen zu berühren. Stellt sich die Frage: Wie machen die das, die Gleichnisse? Na, zum Beispiel: indem sie die Wahrheitsfrage nicht stellen. Spätestens seit der Aufklärung lautet die Frage ans Christentum doch pausenlos: "Ist das denn alles wahr? Ist Jesus tatsächlich übers Wasser gelaufen? Ist er wirklich auferstanden?" Sind ja auch alles berech-tigte Fragen. Nur: Den Gleichnissen ist diese Frage völlig egal. Es muss den Winzer nie gegeben haben – und trotzdem ahnen wir: In dieser Geschichte steckt eine existenzielle Wahrheit. Auf die kommt es an.
Spannend finde ich auch, dass die Gleichnisse immer Situationen aus dem Alltag der Menschen zur Zeit Jesu aufgreifen. Jeder kannte damals Winzer, die sich Tagelöhner für ihre Arbeit holen. Oder war selbst einer. Das heißt: Gleichnisse nehmen die Lebenswelt der Zuhörerinnen und Zuhörer auf und zeigen, dass ganz vertraute Erfahrungen etwas über den Himmel auf Erde aussagen können. Ohne dass in einem der Gleichnisse überhaupt von Gott die Rede wäre. Muss auch nicht. Die Leute hören zu und merken von allein: "Hier geht es um mich. Und um die Frage, wie ich vor
mir und vor Gott verantwortlich leben kann."
Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass die Figuren in den Gleichnissen einladen, sich mit ihnen zu identifizieren. Und das ganz zwanglos: "Ich denk mich da mal rein. Wie geht’s mir, wenn eine Kollegin oder ein Kollege das gleiche Gehalt bekommt wie ich, obwohl sie oder er nach meiner Wahrnehmung deutlich weniger leistet? Könnte ich ihnen das Geld trotzdem gönnen?"
Dieses Reinschlüpfen in die Figuren der Geschichten und mit ihnen einen Perspektivwechsel erleben: Das gehört zu den großen Besonderheiten der Gleichnisse. Sie sprechen nicht nur den Verstand, sondern auch das Herz und die Seele an. Und dadurch können sie unsere Selbstwahrnehmung bisweilen ordentlich durcheinanderbringen. Und sogar dazu führen, dass wir uns weiterentwickeln.
"Eines Tages sagt der jüngere von zwei Söhnen: ‚Vater, zahl mir bitte mein Erbe vor-ab aus.‘ Was der Vater tatsächlich macht. Der Sohn zieht mit dem Geld ins Ausland, verprasst alles und muss – als eine Hungersnot kommt – einen Job als Schweinehirte annehmen.
Da erinnert er sich: ‚Ich komme hier fast um. Aber bei meinem Vater muss nie ein Angestellter hungern. Ich werde zurückgehen, bekennen, was ich falsch gemacht habe, und meinen Vater bitten, mich wenigstens als Knecht wieder aufzunehmen.‘
Als der Vater seinen Sohn von Weitem sieht, rennt er ihm entgegen, nimmt ihn in die Arme … und als der Sohn seine vorbereitete Ansprache loswerden will, ruft der Vater laut: ‚Los! Holt schöne Kleider. Bringt unseren Siegelring mit, damit mein Sohn wieder vollwertiges Mitglied der Familie ist … und dann lasst uns feiern. Mein Sohn war verloren und ist wiedergefunden worden." (Lukas 15,11-31)
Das nenne ich mal eine Blockbuster-Geschichte. Das bekannteste der Gleichnisse von Jesus und vermutlich eine der berühmtesten Erzählungen der Literaturgeschichte: Die von dem Sohn, der völlig unerwartet erlebt, dass es selbst nach tiefsten Krisen die Chance für einen Neuanfang gibt. Dass da einer wartet, der sagt: "Egal, was in deinem Leben schon alles schief gegangen ist, hier … bei mir … bist du willkommen. Immer."
Und auch beim "Gleichnis vom verlorenen Sohn" gilt: Die Geschichte ist vermutlich nie passiert. Trotzdem gibt es kaum eine andere Erzählung in 2000 Jahren Kirchengeschichte, die den Menschen so anschaulich das Wesen Gottes vor Au-gen geführt hat, wie dieses Gleichnis. Obwohl Jesus nicht mal sagt, dass der Vater hier für Gott steht. Irre! Die Menschen verstehen beim Zuhören dieser Geschichte einfach: Das will uns deutlich machen, wie eine grenzenlose, vergebende, himmlische Liebe funktioniert.
Dabei kann es tatsächlich passieren, dass jemand sagt: "Wenn so eine Erfahrung wirklich möglich ist, dann kann ich auch glauben, dass es für mich eine zweite … oder dritte Chance gibt. Einen Neuanfang." Der Theologe Christoph Kähler ist deshalb überzeugt: Gleichnisse sind "Phänomene heilender Rede" . Mit anderen Worten: Sie haben die Kraft, etwas in uns zu hei-len. Und uns neue Perspektiven zu schenken.
Nun könnte man kritisch fragen: Wie kann es eigentlich sein, dass Jesus mit derart vielen Bildern von Gott um sich wirft, obwohl es in der Bibel doch heißt: "Du sollst dir kein Bild von Gott machen." (2. Mose 20) Ist das nicht ein Widerspruch?
Nein! Natürlich hat das sogenannte "Bilderverbot" seine Berechtigung: Den Gott, der in der Bibel von sich sagt, dass er das pulsierende Leben ist, den kann und sollte man nicht in starre Bilder pressen. Weil wir Gott damit festlegen und klein machen würden. Gott ist größer als alle menschliche Vorstellungskraft und lässt sich niemals in Bildern darstellen.
Darum macht Jesus etwas äußerst Geschicktes: Er fügt bei seinen Gleichnissen (tatsächlich oder gefühlt) immer das kleine Wörtchen "WIE" ein. "Gott ist wie …" Nicht "Gott ist …" sondern "Gott ist wie …" Oder: "Das Himmelreich ist wie …" Ein kleiner, aber feiner Unterschied. Dadurch fällt Jesus nämlich keine abschließenden Aussagen über Gott, sondern vergleicht ihn nur. Er redet von Gott in bunten Bildern, ohne ihn auf ein Bild festzulegen. Er präsentiert ein ganzes Bilderbuch Gottes mit Erzählungen, die Gott nicht festlegen, uns aber inspirieren können.
Geschichten, die Lust machen, über das Leben nachzudenken. Geschichten, die in unserem Erfahrungsfeld spielen und gleichzeitig dazu ermutigen, unsere Komfortzone zu verlassen und immer wieder neu zu prüfen, wie er wohl aussieht, der ‚Himmel auf Erden‘ – und ob sich et-was davon in unserem Leben widerspiegelt oder nicht. Solche Erzählungen brauche ich und wünsche ich mir. In unseren Familien, in unseren Gemeinschaften, in unseren Kirchen. Ich glaube: Sie ändern was!
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
1. Martin Buchholz: Deine Geschichte
2. Annie Lennox / David Allan Stewart – Eurythmics: Here Comes the Rain
3. Fabian Vogt: Komm, erzähl mir die Welt