Sendung zum Nachlesen
Jesus, der weder Zahnbürste noch Bankkonto besaß, verfügte über zwei Luxusartikel: Zeit und Charakter. Luxusartikel – denn es geht auch ohne. Wer traut sich heute noch zu sagen, er habe einfach Zeit übrig? Zeit, die er mit Nichtstun verbringt. Selbst Ruheständler kokettieren gerne damit, wie beschäftigt sie sind und dass sie kaum einen freien Tag haben. Jesus aber hatte Zeit. Er ging keiner geregelten Arbeit nach und hielt auch noch andere davon ab. Seinem Jünger Petrus, dem Fischer, der sicher nicht aus Spaß seine Zeit auf dem See Genezareth verbracht, riet er: Lass deine Fischernetze liege und komm mit mir. Der übereifrigen Marta, die einen großen Aufwand mit der Hausarbeit betrieb und überzeugt war, vor lauter Kochen und Backen keine Zeit zum Hinsetzen und Zuhören zu haben, sagte er einfach: Du machst dir viel Mühe und bist sicher eine hervorragende Hausfrau. Aber wenn du dir einfach Zeit nehmen würdest, hier bei mir zu sitzen wie deine Schwester Maria, die du für faul hältst, dann hättest auch du das bessere Teil erwählt. Jesus wusste: „Selig sind die Stunden der Untätigkeit, denn in ihnen arbeitet unsere Seele.“ (Egon Friedell)
Jesus hatte es nicht eilig. Er ging zu Fuß, nur ab und an mal ritt er auf einem Esel. Jesus ließ sich Zeit. Vierzig Tage in der Wüste abzuzweigen – zum Fasten, Einsamsein, zum Schauen, was dann passiert, – das war für ihn kein Problem. Zeit zum Glauben, Zeit zum Nachdenken. Dann ließ er sich auch Zeit für Gefühle. Traurigsein, Frohsein – das alles braucht Zeit und lässt sich nicht beschleunigen. Vor die Alternative gestellt: Schaffen oder Schauen, Arbeiten oder Nichtstun vertritt Jesus eine eindeutige Position. Wie wenn er schon erkannt hätte, dass die Arbeit, die den Menschen das tägliche Brot und allen möglichen Überfluss beschert, auch einen großen Nachteil hat. Nämlich den, dass sie den Menschen zerteilt und von sich selbst entfernt. Nicht nur Arbeit, Geld verdienen und Geldausgeben brauchen Zeit, auch Glauben braucht Zeit, Muße, Nichts-Tun.
Für die aber, die nun sehr berechtigt einwenden: der Mann hatte es gut. Aber ich lebe nicht idyllisch auf dem Land wie Jesus, der mal eben schnell aus einem Brot ein Dutzend machen konnte. Ich muss arbeiten um Geld zu verdienen, ich muss den Haushalt erledigen und mich dann noch um die kranke Mutter kümmern – also Zeit hab ich beim besten Willen keine. Für die bleibt zumindest der zweite Luxusartikel, den man sich auch bei Vollbeschäftigung leisten kann: nämlich Charakter. Ein unveränderbarer Kern, eine Persönlichkeit, die sich nicht verbiegen lässt. Also so ungefähr das Gegenteil von: Ich erfinde mich jeden Tag neu.
Charakter kann man aus den kleinsten Handlungen erkennen. Bei Jesus zeigte er sich in seiner Distanz zu allem Kleinlichen. Ruhm ist ihm gleichgültig. Er sieht, dass zwei oder drei Menschen, die einander schätzen, mehr Wert sein können als eine niederträchtige Menge, die ihn heute hochleben lässt und morgen „Kreuzigt ihn“ schreit.
Jesus zeigt kein Interesse daran, Menschen am Gängelband zu führen. Er redet niemandem nach dem Mund, er riskiert es, sich unbeliebt zu machen und sich als „Fresser und Säufer“ titulieren zu lassen. Er geht andere Wege als die bekannten und erklärt rundheraus: Der Sabbat ist um des Menschen willen da, nicht umgekehrt. Ein menschendienlicher Glaube ist mehr wert als ein blinder Gehorsam gegen ein vermeintlich göttliches Gesetz. Charakter zeigt er auch darin, dass er selbst aus seiner Angst keinen Hehl macht. Und so überzeugt er durch das, was er selber war und durch das, was er lehrt: Vergebungsbereitschaft, Dankbarkeit und Hoffnung. Und den Glauben an einen Gott, der die Liebe ist.
Zeit und Charakter. Zwei Luxusartikel für den Alltag. Wer sich auch nach Weihnachten, nach Festessen und Geschenken, wirklich etwas gönnen möchte, der kann es damit versuchen.