Sendung zum Nachlesen
Da liegt er in seiner ärmlichen Dachstube, der Dichter. Die Schlafmütze noch auf dem Kopf, im zerschlissenen Morgenrock. Über ihm ein Regenschirm, durch das kaputte Dach tropft der Regen. Draußen ist es genauso kalt wie drinnen, im Kachelofen brennt kein Feuer. Und ein Bettgestell hat der arme Mann auch nicht, die Matratze liegt direkt auf dem Fußboden. Vor seiner Matratze stehen und liegen Bücher, zwei Schachteln und ein Tintenfass.
Er ist bekannt, der „Arme Poet“, das Bild gemalt von Carl Spitzweg. So arm ist der Dichter, dass er im Bett arbeiten muss, um es wenigstens ein bisschen warm zu haben. Allerdings, und das ist ja das erstaunliche: unglücklich sieht er dabei nicht aus. Im Gegenteil.
In manchem erinnert mich das Zimmer des armen Poeten an mein Studentenzimmer in der Heidelberger Altstadt: 15 Quadratmeter groß. Einen Kühlschrank gab es nicht, auch keine Waschmaschine und kein Badezimmer. Die Toilette zwei Stock tiefer. Das war‘s. Dem winzigen Elektroofen gelang nie, im Winter das Zimmer aufzuheizen. Da half dann nur die warme Bettdecke. Die Matratze lag direkt auf den Holzdielen, daneben ein winziger Schreibtisch, ein Stuhl, ein kleiner Schrank. Dann allerdings auch noch eine Truhe voll mit Büchern – und Wochen, in denen ich nichts anderes getan habe als: lesen. Das Essen war mir ziemlich gleichgültig, die Mensa-Bratwurst genügte, und die Kleider kamen aus dem Secondhandladen. Arm kam ich mir damals nicht vor, nur frei. Mir fehlte ja nichts, weder ein Handy noch eine Waschmaschine noch ein Auto. Würde ich heute noch so leben wollen? Nein, wirklich nicht.
Auch der Maler Carl Spitzweg, der aus bürgerlichen Verhältnissen stammte und von Beruf Apotheker war, hätte mit seinem Poeten nicht tauschen wollen. Und dank einer Erbschaft musste er es auch nicht. „Ich seh’s schon, wenn ich von der Malerey leben müsste, ging mirs schlecht“ schrieb er 1836 an seinen Bruder. Er wusste ja, dass es kein reines Vergnügen ist, so zu leben: mit einem löcherigen Dach über dem Kopf, ohne Geld, ohne Aussicht auf Erfolg.
Aber muss man den armen Poeten wirklich bemitleiden? Oder muss man ihn nicht doch eher beneiden? Denn Spitzweg zeigt mit diesem Bild etwas, ohne dass alles nichts ist: das Glück der Erfüllung, dem die Umgebung gleichgültig wird. Das Glück der Erfüllung durch Dichtung oder Musik oder Malerei. Etwas, woran man sein Herz hängt, das gewissermaßen „nicht von dieser Welt“ ist. Und das ist es, worum man den armen Poeten beneiden könnte. Ein Lebensglück unabhängig von den Lebensverhältnissen.
Denn wie er so in seinem Bett sitzt, nichts wahrnimmt von der muffigen Armut um ihn herum, muss man sich den armen Poeten als einen glücklichen Menschen vorstellen. Er hat etwas, über dem er alles andere vergisst, das alles andere nebensächlich erscheinen lässt. Er hat etwas, was viele vermissen: Eine Beschäftigung, der er sich mit Leib und Seele hingibt, die ihm wichtiger erscheint als jeder Brotberuf, einen Sinn.
In meine Studentenbude würde ich freiwillig nicht wieder einziehen wollen. Aber dieses Leseglück, das ich damals empfunden habe, gibt es immer noch. Darin kann ich völlig aufgehen und alles drumherum vergessen. Für ein Lebensglück, das sich den Lebensumständen entgegenstellt, plädierte schon Jesus Sirach: „Ermuntere dich und tröste dein Herz, und vertreibe die Traurigkeit von dir. Gib dich nicht der Traurigkeit hin, und plage dich nicht selbst mit deinen eigenen Gedanken.“
Ich weiß nicht, ob Jesus Sirach, dem Autor dieser apokryphen biblischen Schrift, ein Matratzenlager genügte oder ob er auf teuren Seidenkissen über das Leben nachdachte. Aber er war überzeugt davon zu wissen, was in beiden Situationen das bessere ist. „Ermuntere dich und tröste dein Herz, und vertreibe die Traurigkeit von dir. Gib dich nicht der Traurigkeit hin und plage dich nicht mit deinen eigenen Gedanken.“
Es gilt das gesprochene Wort.