Bienen im Garten. Das klingt idyllisch, nach einem Rückzugsort vor der hektischen Welt. Aber die Bienen lehren: Nichts bleibt, wie es ist.
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Den Stich in mein Kinn kurz vor meiner Abreise habe ich ihnen längst verziehen. Die leergeschleuderten Waben müssten in der Zwischenzeit wieder gefüllt und gut verdeckelt sein. Ich habe an sie gedacht, als ich weg war zum Wandern in den Bergen. Sorgen habe ich mir gemacht. Die Art echter Sorge, die aus einer tiefen Verbundenheit entsteht, aus Zuneigung und Leidenschaft. Deshalb gehe ich, noch mit Rucksack und Wanderschuhen, nachdem das Gartentor hinter mir ins Schloss gefallen ist, gleich zu ihnen, meinen Bienen.
Ich schaue, ob noch alle da sind. Ich bin ein bisschen angespannt, spüre ich. Aber dieses Gefühl macht sofort einer fröhlichen Erleichterung Platz, denn es summt herrlich. Und mitten im Gesumm hält sich dieser süße Geruch von Honig. Ich atme tief ein. Ein Augenblick gelöster Dankbarkeit. Alles ist so, wie es sein soll. Ich bin zurück, und meine Bienen sind noch da. Ein kurzes Stoßgebet.
Doch nichts bleibt so, wie es ist. Das ist die Lektion, die mich die Bienen lehren. Dabei gibt es ja sonst schon genügend Veränderung und Durcheinander. Draußen in der Welt. Im Beruf, wo ich oft das Gefühl habe, man transformiert sich ins Delirium. Und privat muss man ebenfalls ständig Veränderungen verkraften: Die Kinder ziehen aus. Ich werde älter und merke das seit Neuestem auch. Da wäre es erholsam, wenn bei meinen Bienen alles vorhersehbar laufen würde. Ein Refugium, Kraftort, Versteck. Alles hätte seine gute Ordnung. Verlässlichkeit. Sicherheit. Aufatmen. Abschalten. Zur Ruhe kommen.
Meine Bienen sehen das anders. Denn kaum bin ich von meiner Wanderung aus den Bergen wieder daheim angekommen, zeigen sie mir, wie Aufbruch geht. Ein paar Tage später sitze ich im Garten, und das Gesumm ist sonorer als sonst, kräftiger, fast stofflich. Das Wetter ist gut. Die Linde blüht. Da muss halt jede ran, denke ich. Ich schaue trotzdem nach.
Tausende Bienen stürzen sich aus dem Flugloch und steigen sofort fast senkrecht in den Himmel. Ein Erguss aus Bienenleibern. Ein dunkler Tornado aus Chitin. Ich stehe mittendrin und kann nichts machen. Die Bienen brechen auf. Sie schwärmen aus. Nichts und niemand kann sie aufhalten. Ich wohne einem 50 Millionen Jahre alten Ritual bei: die Vermehrung der Bienen. Die alte Königin verlässt mit einer Hälfte ihres Volkes den Bienenstock. Eine neue junge Königin übernimmt die Regentschaft. Aus einem Volk werden zwei Völker. Seit Urzeiten geht das so.
Jetzt vergehen nur wenige Minuten, da hängt hoch über mir in der Tanne eine dunkle Traube. Der Schwarm geht ins Risiko. Er ist heimatlos und ausgesetzt. Die Bienen haben jetzt drei Tage Zeit, eine neue Heimat zu finden. Dann geht ihnen das Futter aus. Es ist ein Aufbruch ohne konkretes Ziel. Eine Zwischenzeit. Übergang. Ein Wagnis. Verletzliches Ausgesetztsein. Pure Konzentration.
Vor ihnen die Leere. Und in der Leere schon irgendwo ein hohler Baum, ein Dachkasten, eine Zwischenwand. Irgendwo ist was zu finden, wo sie ihren neuen Stock bauen können. So wird mir das Schwärmen der Bienen zum Sinnbild für einen Aufbruch, auch wenn noch gar nicht klar ist, wohin es geht. Die Bienen fliegen ins Unbekannte mit dem intuitiven Wissen: Sie werden finden. Ich nenne das Vertrauen.
Am Morgen nach drei Tagen hebt ein Gesumm an, wie ich es schon einmal gehört habe. Die dunkle Traube wird kleiner und kleiner, schrumpelt ein, löst sich in ihre Einzelteile auf: Tausende Bienen fliegen über die Dächer in den Wald. Eine dunkle, aber durchsichtige Wolke am blauen Himmel. Flüchtig. Die Bienen haben einen Ort gefunden. Irgendwo werden sie heute eine Leere mit Leben füllen. Der Aufbruch hat sich gelohnt.
Es gilt das gesprochene Wort.
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