Wort zum Tage
Gemeinfrei via Unsplash/ Touann Gatouillat Vergos
Gletscherschmelze
von Pfarrer Michael Kösling
23.03.2023 06:20
Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage! 
Sendung zum Nachlesen

Jetzt schaue ich sie mir manchmal wieder an. Die Bilder aus dem Urlaub. In der Bahn zur Arbeit oder nach einem erschöpfenden Tag. Manchmal auch zwischendurch, um mir eine kurze Auszeit zu gönnen. Wenn ich mich am liebsten kurz wegbeamen würde. Bei dem einen Urlaubsfoto bleibe ich länger hängen und ziehe es etwas größer, um die Gesichtsausdrücke zu erkennen. Die strahlenden Augen. Das breite Grinsen. Und ich weiß wieder, wo das ist. Wir sitzen Im Hintern Eis. Genauer gesagt oben drauf. Auf dem Gipfel. Der Aufstieg war anstrengend und steil. Wie immer, gerade auf den letzten paar hundert Höhenmetern. Wir lachen glücklich. Hinter uns der Hintereisferner. Ein Gletscher. Er stirbt. Wir hören es bis hier hinauf. Es rauscht. Und schon da auf dem Gipfel, als wir dieses Schauspiel betrachteten, ein paar Minuten nach diesem Foto, wurde uns mulmig. Eine sagt: Hier wird uns die Rechnung präsentiert. In dieser Ausgesetztheit, wo jeder Schluck Wasser wertvoll ist, und im Rauschen eines sterbenden Gletschers. Ich hebe meine Augen auf, zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe? So fragt der Mensch der Bibel. Weil man dort auf den Bergen die göttliche Macht vermutete. Das Ewige. Die Antwort: Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Himmel und Erde. Eine Feste machte Gott am Anfang, die schied das Wasser. Und Himmel und Erde wurden. Da gibt es Dinge, die fest stehen. Unverrückbar. Die ewig sind. Das ewige Eis, so sagen manche noch. Und es hört sich an wie aus der Zeit gefallen. Da oben Im Hintern Eis fragt man: Woher kommt Hilfe für die bedrohte Schöpfung? Weil es nämlich gar nicht ausgemacht ist, was Gott versprochen hat, dass, solange die Erde steht nicht aufhören soll Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Und angesichts der Hungersnot von 800 Millionen Menschen weltweit kann einem die Schamesröte ins Gesicht steigen ob unseres Überflusses. Sogar hier bei uns wissen die Tafeln nicht, wen sie noch aufnehmen sollen. Es grenzt an ein Wunder, dass trotz unseres Lebenswandels überhaupt noch etwas da ist. Erde und Himmel sind für alle Menschen gemacht. Also: der Selbstverständlichkeit endlich abschwören, wir hätten ein Recht auf all das und wir dürften uns das, was noch da ist, sichern. Die Rechnung, die wir Im Hintern Eis oder in den verbrannten Wäldern, auf den sandigen Feldern und im Bett der trockengefallenen Flüsse bekommen, bekommen wir gemeinsam. Noch ist genug da für alle. Ein Wunder. Dass wir die üppige Schöpfung nicht irgendwann anschauen wie die Fotos aus alten Ferienzeiten, ist Verantwortung und Auftrag. In denen wohnt immer noch eine große Hoffnung.

Es gilt das gesprochene Wort.