Leben im Einklang mit der Natur. Das war die Sehnsucht des Heiligen Kevin von Glendalough. Das fängt bei der Begegnung mit einer Amsel an.
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Den ganzen Morgen schon hüpft nervös die Amsel am Boden. Dass sie sich das traut. Schließlich streift hier doch die Katze durch den Garten. Da müssen Mut und Motivation der Amsel schon groß sein, was zu finden sein unterm Laub. Sonst würde sie das Risiko nicht eingehen. Eine Sucherin. Kevin von Glendalough, irischer Mönch und späterer Heiliger, gilt als der Patron der Amseln. Er wird häufig mit einer Amsel auf dem Finger oder mit einem Amselnest in der Hand dargestellt.
Kevin von Glenadalough lebte zurückgezogen in der Einsamkeit des Waldes, am Ufer des oberen Sees von Glendalough, etwa 40 Kilometer südlich von Dublin. Kevin allein im Wald lebte lang. Er wurde vermutlich 120 Jahre alt und war dadurch Zeitgenosse von drei Jahrhunderten. Dem fünften, dem sechsten und dem siebten Jahrhundert.
Als Kevin einmal seine offenen Hände zum Himmel hob und betete, flatterte eine Amsel herbei, ließ sich auf seiner Hand nieder und hat ihr Ei hineingelegt. Der Vogel hat sein Haus gefunden, heißt es in der Bibel, die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen. In dieser Geschichte: Eine Amsel hat ihren Platz gefunden in der Hand eines Menschen. Kevin soll so lange stehen geblieben sein und weiter gebetet haben, bis die Brut vollendet und der Jungvogel geschlüpft und weggeflogen war.
Das ist natürlich eine Legende. In der zärtlichen Schönheit liegt eine tiefe Wahrheit verborgen. Menschen und Tiere, beide sind sie Geschöpfe Gottes. Sie gehören zusammen. Sie leben miteinander. Sie verschenken sich einander. Sie haben Verantwortung füreinander.
Wie lange kann man die Schöpfung im Gebet halten? Die Amsel brütet zwischen zehn und 19 Tage lang. Kevins Hände waren offen und leer. Die Leere schafft Platz für die Schöpfung. Die Schöpfung füllt die Leere aus. Die offenen Hände im Gebet schaffen einen Raum, in dem Leben möglich ist. Dieses Geschöpf Amsel traut sich zu, in den Händen des anderen Geschöpfs Mensch gehalten und bewahrt zu werden. Das ist die zärtliche Wahrheit dieser Geschichte.
Die Schöpfung füllt uns ganz aus. Wir sind ineinander verwoben. Die Realität sieht oft anders aus. Da hält der Mensch seine Mitgeschöpfe nicht schützend in Händen. Sondern nimmt ihnen ihren Lebensraum. Die harte Wahrheit von Vögeln wie Blauracke, Doppelschnepfe und Mornellenregenpfeifer ist: Sie sind alle ausgestorben. Und Kornweihe, Wachtelkönig und Raubwürger, ein Vogel mit bedrohlichem Namen, aber nur so groß wie eine Kinderfaust, könnten ihnen bald folgen.
Das Geflecht zwischen Menschen und Tieren trennt sich auf. Wie bei einem Strickpullover. Masche um Masche. Die Arten verschwinden. Und mit jeder Art geht Wissen unwiederbringlich verloren. Als würde eine ganze Bibliothek verbrennen.
Kevins Heiligsprechung wurde 1903 bestätigt, vor über 120 Jahren. Er ist jetzt länger heiliggesprochen, als er alt geworden ist. Sein Gedenktag ist der 3. Juni. In ein paar Tagen. Ich trage mir diesen Termin in meinen Kalender. Sankt Kevins Gedenktagslied soll der Gesang meiner Gartenamsel sein.
Vielleicht macht sie aber auch mit der Nachtigall gemeinsame Sache. Die kommt jedes Mal angeflogen, wenn die Katze den Garten betritt, setzt sich ein paar Meter über ihr auf einen Ast und pfeift so durchdringend schrill, dass die Katze sich ins Haus verzieht oder genervt zur Nachbarin trollt. Die Nachtigall verfolgt sie. An ihrem warnenden Pfeifen weiß ich, wo die Katze zu finden ist. Die Amsel ist dann fürs Erste sicher. Sie hat nichts zu befürchten. Sie kann finden, was sie sucht.