Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage!
Sendung zum Nachlesen
Da rennt es, das weiße Kaninchen. Rotes Sakko, graue Hose, gelbe Weste und Fliege. In seiner rechten Hand umklammert es einen zusammengeklappten schwarzen Regenschirm und in der Linken, an einer schweren goldenen Kette, eine riesige goldene Uhr. Oh seht, ich komme viel zu spät. Grüß Gott, bis bald, auf Wiedersehen. Muss gehen, muss gehen. Alice im Wunderland. In dem Zeichentrickfilm dauert diese Szene sechs Sekunden. Dann dreht sich das Kaninchen noch einmal um, winkt und ist blitzschnell hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden.
Keine Zeit haben. Am Morgen schaue ich in den Kalender und irgendwo im Oberbauch zieht sich was zusammen. Die Zeit sitzt mir im Nacken und hetzt mich. Schon acht! Ich muss jetzt los. Meistens zieht die Zeit eine schiefe Ebene in unser Leben und wir kommen ins Rutschen. Man hat ja gerade keine Zeit, für dies oder für das aus diesem oder jenem Grund. Überhaupt ist das unser Lebensgefühl im Jahr 2023: wir haben keine Zeit mehr: Klimakrise. Migrationskrise. Wirtschaftskrise. Ernährungskrise. Demokratiekrise. Und der Krieg in der Ukraine. Krisenzeit bedeutet, keine Zeit mehr zu haben. An der Schwelle zu etwas Neuem zu stehen, zu etwas Anderem. Transformation. Veränderung. Verwandlung. Das ist die Dynamik der persönlichen wie der globalen Krisen. Wir spüren jedenfalls und wissen auch: wir stehen, ob wir es wollen oder nicht, an der Schwelle zu einer anderen Welt. Uns bleibt offenbar nicht mehr viel Zeit. Und wir hetzen wie das weiße Kaninchen im Wunderland: Oh seht, oh seht, wir kommen viel zu spät! Und flicken hier und kitten dort mehr schlecht als recht, was auseinanderbricht und nicht mehr halten wird.
Kurze, womöglich heilsame Unterbrechung: Jesus rät: Sorgt euch nicht, um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist das Leben nicht mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? […] Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Für mich heißt das zuerst: Zeit haben füreinander und miteinander Zeit haben: Für eine Frage, die eine längere Antwort liebt. Für ein Schweigen, das die richtige Frage hervorbringt. Für das Sehen, das die Nächste entdeckt. Für das Ruhen, das die Schöpfung lobt. So verschmilzt mein Glaubensgefühl mit meinem Leben. Die Zeit nehmen und sie füllen. So kann Transformation gelingen. Veränderung und Verwandlung.
Es gilt das gesprochene Wort.