Mit 39 frühpensioniert bedichtet er romantisierend die Natur. Das hört sich nicht nach einem erfolgreichen Lebenslauf an. Trotzdem oder deswegen wirken Mörikes Gedichte bis heute.
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Einige nennen ihn Faulenzer. Oder Melancholiker. Oder spöttisch wie Heinrich Heine: einen idyllisch-romantischen Besinger "von Maikäfern, Lerchen und Wachteln". Die Rede ist von Eduard Mörike. Dichter und Pfarrer, Lehrer, Ehrendoktor und Professor für Literatur. Seine Gedichte haben unzählige Kinder auswendig gelernt.
"Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab' ich vernommen!"
"Er ist’s!" So heißt das Gedicht. Bis heute habe ich das flatternde blaue Band vor Augen und im Ohr, wenn der Frühling kommt oder wenn er wie jetzt in den Sommer übergeht. Mit seinen Gedichten drückt Eduard Mörike, der heute vor 150 Jahren gestorben ist, etwas aus, das nicht so leicht fassbar ist. Er beschreibt Licht und Farben, Pflanzen und Hügel - sie verweben sich zu einem Gefühl, einer Stimmung, zu Klängen und Düften, die die Seele berühren und zum Klingen bringen.
Obwohl – oder vielleicht gerade weil er Theologe ist, spricht Eduard Mörike nicht vollmundig vom christlichen Glauben. Er ist ein Suchender. Es fällt ihm schwer, Pfarrer zu sein. Er spürt den Erwartungsdruck der damaligen Zeit und fühlt sich gehetzt. Unter Druck, in den Predigten zu sagen, was richtig und falsch, was gut und böse ist.
Man predigte damals vor allem von der Sünde des Menschen, des alten Adam, dem biblischen ersten Menschen. Man erinnerte an das Böse, das gefangen hält. Ein Blick in die Welt zeigt ja: So ist es. Überall finde ich deutliche Spuren von Boshaftigkeit, Grauen, Gewalt, Hetze, Hass, Verrat, Mobbing, Hartherzigkeit. Mir macht das immer wieder Angst.
Eduard Mörike macht der Blick darauf zu schaffen. Das Atmen fällt ihm schwer in der Kirche. Mit 39 Jahren lässt er sich pensionieren. Sein Zufluchtsort immer wieder: die Natur. Hier findet er, der Suchende, so etwas wie Einklang mit dem, was ihn umgibt.
"Am frischgeschnittnen Wanderstab,
Wenn ich in der Frühe
So durch Wälder ziehe,
Hügel auf und ab:
Dann, wie's Vöglein im Laube
Singet und sich rührt,
Oder wie die goldne Traube
Wonnegeister spürt
In der ersten Morgensonne,
So fühlt auch mein alter, lieber
Adam Herbst- und Frühlingsfieber,
Gottbeherzte,
Nie verscherzte
Erstlings-Paradieseswonne."
Sogar mit dem alten Adam in sich selbst kann Eduard Mörike beim Wandern versöhnt umgehen. Unterwegs in der Natur fühlt er sich wie in den Garten Eden versetzt. Eine Welt, die so schön ist und von der man ein Teil sein darf, kann doch nicht nur schlecht sein. Und man selbst auch nicht. Mörike dichtet weiter:
"Also bist du nicht so schlimm, o alter
Adam, wie die strengen Lehrer sagen:
Liebst und lobst du immer doch,
Singst und preisest immer noch,
Wie an ewig neuen Schöpfungstagen,
Deinen lieben Schöpfer und Erhalter!
Möcht' es dieser geben!
Und mein ganzes Leben
Wär' im leichten Wanderschweiße
Eine solche Morgenreise."
"Fußreise" ist der Titel dieses Gedichts. Die Fußreise wird zur Morgenreise, hin zu dem Versprechen: Jeder Tag ewig neu ein Geschenk aus Gottes Schöpferhand. Ich stimme ein in das, was der Theologe und Dichter Eduard Mörike sich ersehnt und von Gott erbittet: Mein Leben – eine Morgenreise. Das Böse in mir, meine Schwere, meine eigenen lebensfeindlichen Verhaltensmuster – immer wieder aufgelöst in dem Gefühl, mit dem Paradies verbunden zu sein.
Für Gottes Liebe offen zu sein. Für das tiefe Wissen: Alles ist mit allem verbunden in Gott. Die Welt ist voller Geheimnisse und Wunder – so vielfältig hat Gott sie erschaffen. Offen für Gott vertraue ich meine Lebenswanderschaft ihm an. Und hoffe, dass er mich zur rechten Zeit an den rechten Ort lenkt und mein Herz und meine Seele immer wieder leicht macht.
Es gilt das gesprochene Wort.
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