Am 11. März vor fünf Jahren erklärte die Weltgesundheitsorganisation Corona zur Pandemie. Ein Ritual hat unserer Autorin durch die Lockdowns geholfen.
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Früh am Morgen schau ich in die sozialen Medien. Ein Video: ein Mann, ein Hund, Weinberge. Die Sonnenaufgangsreporter Martin Vorländer und sein Hund Sir James. Ich gehöre zu ihrer digitalen Gemeinde. Seit dem Beginn der Coronazeit vor fünf Jahren nimmt der evangelische Pfarrer Vorländer mich und alle, die mögen, per Video früh morgens mit auf seinen Spaziergang mit dem Hund. Durch die Weinberge Rheinhessens oder mitten in der City Frankfurt am Main.
"Wenn der neue Tag anbricht und das erste Licht durch die Wolken scheint oder bei klarem Himmel erscheint, das ist für mich einfach ein besonderer Moment, so wie wenn die Welt neu erschaffen wird."
Alles hat an einem Montagmorgen begonnen. Dem 23. März 2020. Da trat der erste Lockdown in Kraft:
"… und ich hatte schlecht geschlafen in der Nacht und war eben draußen. Um 6:20 Uhr war das, glaube ich, dass die Sonne an dem Tag aufging, und (ich) ging sowieso eben mit dem Hund, (…) und in dem Moment ging die Sonne auf, und ich sah das Licht. Und es war auch ein sehr, sehr schöner Sonnenaufgang. Und es hatte für mich so etwas Bestärkendes: Ja, es gibt gerade ein Virus, das die ganze Welt stilllegt. Und ich habe Sorge, und ich habe so eine Situation noch nicht erlebt. Aber die Sonne ist trotzdem da, und die Welt dreht sich weiter, und es gibt einen neuen Tag. Und irgendwie werden wir da auch durchkommen. Das hatte für mich dieser Sonnenaufgang. Und dann habe ich einfach spontan das Handy, das ich dabeihatte, herausgezogen und gedacht: Mensch, irgendwie muss ich das doch filmen können. Und habe einfach mal mein Gesicht in die Kamera und in den Sonnenaufgang gehalten."
Dieses Gefühl und Erlebnis verbindet Martin Vorländer mit einer Strophe aus einem Kirchenlied:
"Für mich war da spontan auch einfach das Lied aus dem Evangelischen Gesangbuch. ‚Die güldne Sonne voll Freud und Wonne bringt unsern Grenzen mit ihrem Glänzen ein Herz erquickendes, liebliches Licht. Mein Haupt und Glieder, die lagen darnieder. Aber nun steh ich, bin munter und fröhlich, schaue den Himmel mit meinem Gesicht.‘ Und das waren für mich die Worte, die da an dem Tag in einer Weise gestimmt haben, wie sie vorher noch nie bei dem Lied, wenn ich es gesungen habe, gestimmt haben. Mein Haupt und Glieder lagen darnieder. Aber: Ich darf jetzt aufstehen (...) in dieser Ausnahmesituation (…) und meinen Gang in den Tag hinein antreten."
Martin Vorländer teilt sein Video in den sozialen Medien. Und es entsteht eine Fangemeinde. Jeden Morgen warten wir auf die beiden Sonnenaufgangsreporter. Martin Vorländer singt oder erzählt – passend zum Tag oder Weltgeschehen.
"(…), das Christentum hat einen riesigen Schatz an wunderschönen, wundervollen, ernsten, auch widerständigen Texten, die sehr, sehr helfen … Und dieser große Schatz ist da. (…) Und wir gehen da jetzt rein und holen raus, was uns jetzt gerade hilft."
Die Pandemie ist vorbei. Martin Vorländer ist weiterhin zum Sonnenaufgang mit seinem Hund und der Kamera unterwegs, nun nicht mehr täglich, sondern in größeren Abständen. Es geht um einen guten Gedanken für den Alltag und um das, was besonders bewegt: der Angriff Russlands auf die Ukraine, der Überfall der Hamas auf Israel, sexualisierte Gewalt in den Kirchen, der Anschlag in München, die Krankheit eines nahen Menschen, Hochzeit, Geburt und Tod eines geliebten Lebewesens.
"Die Gemeinschaft ist da ein großer Aspekt. Dieses Erleben, dass man verbunden sein kann, auch über räumliche und zeitliche Distanz hinweg. Denn wann die Leute nun das Video anschauen, ist ja auch zeitversetzt. Und trotzdem ist man in Verbindung miteinander. Und diese Erfahrung gehört für mich zu diesen Sonnenaufgängen schon stark dazu – die ja auch zum Glauben dazu gehört, dass man Glaube miteinander teilt, Glaube miteinander lebt."
Es gilt das gesprochene Wort.
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