In einer schweren Krankheit haben unserer Autorin Lieder geholfen. Sie erzählt, wie Melodien heilsam wirken können.
Sendung nachlesen:
Ich werde wach und habe ein Lied auf den Lippen. Eine Melodie. Ich bin nicht sicher, summe ich sie? Oder ist sie nur in meinem Kopf? Auf jeden Fall habe ich sie geträumt, diese Melodie. Ich werde öfter mit Klängen wach. Im Traum singe ich dann oder mache Musik. Das sind Träume, die mich glücklich machen. Manchmal passiert das nach einem Singegottesdienst oder nach einem Konzert. Manchmal auch einfach so – als Geschenk, das Gott mir im Traum macht.
Einmal ging es mir sehr schlecht. Ich lag krank zu Hause und hatte Angst um mein Augenlicht. Hornhautentzündung auf beiden Augen. Auf einem ganz schlimm. Da sah ich nur noch eine Nebelwand. Und wie ich da so lag, fing es in mir an zu singen. Kirchenlieder, die ich in meiner Kindheit und Jugend gelernt hatte. "Jesu, geh voran auf der Lebensbahn… Ordne unsern Gang, Jesu, lebenslang. Führst du uns durch rauhe Wege, gib uns auch die nöt‘ge Pflege;
tu uns nach dem Lauf deine Türen auf." Gib mir auch die nötige Pflege. Diese Bitte ist erhört worden. Ich hatte eine tolle Ärztin und ein Medikament, das geholfen hat. Wenn auch langsam.
Musik ist ein Geschenk für mich. Wenn Traurigkeit oder Angst die Kehle zuschnürt - spätestens beim Singen löst sich der Knoten. Die Melodien von Liedern, die ich einmal gelernt habe, tauchen wie hilfreiche Geister auf – in Träumen, beim Autofahren, bei einem Spaziergang. Musik reicht tief in die Seele hinein und bringt sie zum Schwingen. Wenn die Musik berührt, bleibt sie gespeichert. Für Notzeiten. Deshalb sind Lieder so wichtig.
Für Monika zum Beispiel. Sie kann kaum sprechen. Manchmal versucht sie es. Aber es ist mehr ein Lallen als klar artikulierte Wörter. Sie ist körperlich und geistig beeinträchtigt. Man hat sie mit anderen aus einem Heim geholt, in dem sie vernachlässigt worden sind. Jetzt sind sie erst einmal in einer Wohngruppe in der Psychiatrie in einem freistehenden Haus untergebracht.
Ein professionelles Team und ich als Praktikantin kümmern uns um sie, bis ein neues Heim gefunden ist. Früher – so steht es in Monikas Akte – hat sie sprechen können. Und auch singen. Wir lesen nach, dass sie einmal in einem Heim war, das von Diakonissen geführt worden ist. Die haben viel mit den Bewohnerinnen und Bewohnern gesungen.
Ein Musiktherapeut und der Klinik-Pfarrer kommen zu uns in die Wohngruppe – mit ihren Gitarren. Und stimmen im Speiseraum Volkslieder und Choräle an. Bei "Der Mond ist aufgegangen" geht plötzlich die Post ab. Da singen manche klar und deutlich, die bislang kein Wort gesprochen haben. Andere lallen, summen oder kreischen. Manche wiegen sich hin und her. Und über die Gesichter geht ein Leuchten. Der ganze Raum ist voll Gesang.
Von jetzt an wird immer wieder Musik hier in der Wohngruppe gemacht. Wer vorher noch aggressiv war oder unruhig und kurzatmig, wird ruhiger und schwingt oder singt mit. Alles gipfelt in einem Gottesdienst in der Kirche. Den besuchen Patientinnen und Patienten und auch Anwohner rund um die Klinik. Der Höhepunkt: Einer aus der Wohngruppe, der nicht spricht, spielt Mundharmonika. Als er die Klinikband bei ein paar Liedern mit der Mundharmonika unterstützt, da klatschen alle aus der Wohngruppe vor Begeisterung und Freude in die Hände und wiegen sich und singen und stecken die ganze Gemeinde damit an.
Vernachlässigt, mitten in die Tiefe und Dunkelheit geworfen sind sie gewesen – jetzt stehen sie auf. Erinnern sich an die Lieder, die sie früher einmal gelernt haben. Und an bessere Zeiten - und schöpfen Hoffnung für die Zukunft.
Es gibt Lebensmelodien, die durch Krankheit und Krisen hindurch tragen, bis es einem besser geht.
Es gilt das gesprochene Wort.
Link: Die Fastenaktion der evangelischen Kirche: Luft holen! 7 Wochen ohne Panik
Literatur dieser Sendung:
Petra Schulze: Der ganze Raum ist voll Gesang, in: Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik, hg. von Ralf Meister, S. 73ff.
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