Gemeinfrei via unsplash/ Larisa Birta
Rückzug
Gedanken zur Woche von Pfarrerin Heidrun Dörken
22.07.2022 06:35
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Es gibt so viel zu tun, doch er packt’s nicht an. Jesus zieht sich zurück. Gerade hatte Jesus einen Mann geheilt. Dieser war davor durch seine Krankheit ausgestoßen. Endlich konnte der Mann wieder unter Leute gehen.

Wahrscheinlich haben danach noch Dutzende darauf gewartet, auch gesund zu werden. Doch die Erzähler des Neuen Testaments halten nicht nur fest, was Jesus getan hat. Genauso berichten sie, was er gelassen hat. Jesus heilte den Mann, und dann heißt es wörtlich: Danach zog er sich in eine einsame Gegend zurück und betete dort (Mt 14,13; Mk 1,45; Lk 5,16).

Dabei wäre noch so viel zu tun gewesen, zu helfen und zu heilen! Die Lebensverhältnisse damals schrien danach, das ist aus vielen Quellen bekannt. Sicher, es gab Wohlhabende, sogar Reiche. Doch vielen Menschen ging es nicht gut in der Südlichen Levante, in der Gegend von Israel und Palästina heute. Viele Kranke fanden keine Linderung. Die politischen Verhältnisse waren bedrückend. Durch Teuerung der Lebensmittel verarmten breite Schichten der Bevölkerung. Auch Hitze und Dürre waren ein Problem. Nicht nur durch die geographische Lage. Die Menschen hatten schon mit dem Raubbau an der Natur begonnen. Allein für den Schiffsbau holzten sie rund um das Mittelmeer riesige Wälder ab. Immer mehr grüne Landschaft verwandelte sich in Steppe und Steinwüste.

Heute bei uns ist die Lage in einigen Hinsichten vergleichbar. In anderen ganz und gar nicht. Ich finde mich vor allem wieder in dem Gefühl: Es ist gerade viel. Oft zu viel. Es gibt zu viele Baustellen und Dinge, die nicht klappen. Die Aussichten sind trübe. Und dann ist es noch zu heiß.

Obwohl noch so viel zu tun war, hat Jesus sich da zurückgezogen und nichts getan, nur gebetet. Das wird seine Freunde und Anhängerinnen auch enttäuscht haben. Doch es ist der Weg, der mehr verheißt. Mehr als hektische Aktivität oder kopfloses Handeln leisten können.  

Offenbar hat Jesus wahrgenommen und ernstgenommen, was es heißt, erschöpft zu sein und Ängste zu haben (Lukas 22,39 ff). Und: Erschöpft sein heißt für Jesus nicht, dass man tapfer dagegen ankämpfen muss. Er hat das zugelassen und vor Gott gebracht. Im Rückzug, in der Auszeit.

Diesen Weg will ich nachgehen, wenn es zu viel ist. Abstand suchen. Unterbrechung. Für einige bietet sich dafür ein Urlaub an, der jetzt ansteht. Auch wer hierbleibt, kann der Sehnsucht nach Rückzug nachgehen. Es ist ja nicht die möglichst weite Entfernung, die hilft. Es gehört Bereitschaft dazu. Ich muss einiges abschalten. Ganz praktisch, zum Beispiel eine zeitlang die Mails, die ständig neuen Nachrichten oder Social Media. Das kann ich auch in einer freien Stunde machen. Ich suche und finde einen Ort für mich. Hoffentlich einen kühlen.

Und dann ist es still. Und ich merke: Auf Knopfdruck von der Stille zur inneren Ruhe, das geht nicht. Die Stille dröhnt erst mal von den vielen Gedanken. Ich brauche da Übung. Ich lerne scheinbar simple Dinge neu. Atmen. Tief einatmen und noch länger ausatmen. Dasein. Spüren, dass ich lebe. Wenn ich kann und will, vor Gott sein. Mit allem, wie es gerade ist. Dasein, wie ich bin. Ohne neue Aufgaben und Forderungen.

In solcher Stille liegt sehr viel Kraft verborgen. Sie ist nicht dazu da, dass ich hinterher noch besser funktioniere. Ihr Sinn liegt nicht in To-Do-Listen, die ich anschließend schreibe. Jesus glaubte: Ein guter Baum wird gute Früchte hervorbringen, wie von selbst. In der Natur braucht ein Baum immer wieder Phasen des Rückzugs und der Ruhe. Dann wächst er und reift. Ist fest im Boden verwurzelt. Und bringt Gutes hervor. Die Verheißung der Ruhe ist, so ein guter Baum zu werden.

Es gilt das gesprochene Wort.