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Die Sendung zum Nachlesen:
Einen Kaktus verschenkt man in der Regel nur guten Freunden oder erklärten Kakteen-Liebhabern. Ich war weder das eine noch das andere. Und bekam trotzdem zwei kleine Kakteen geschenkt. Von Jelena, der ich nur einmal begegnet bin.
Ich war zu Besuch bei der evangelischen Gemeinde in Tiflis, der Hauptstadt von Georgien (1). Nach dem Ende der Sowjetunion hatte sich die evangelisch-lutherische Gemeinde dort wieder versammelt. Ursprünglich hatten vor zweihundert Jahren deutsche Auswanderer die Gemeinde gegründet. Seit der Stalinzeit war sie verboten, der Pfarrer ermordet, viele Gemeindeglieder wurden verschleppt (2). Doch seit rund dreißig Jahren feiern sie wieder Gottesdienste in Georgisch, Russisch und Deutsch. Vor allem kümmern sie sich um arme und alte Menschen, um die Jugend und um die Musik.
Der Pfarrer hat mich zum Besuch bei einer seiner Gemeindemitglieder mitgenommen, zu Jelena. Sie wohnt oben am steilen Hang hinab zum Fluss Kura, der Tiflis teilt. Die Straße zu ihr besteht vor allem aus Schlaglöchern. Jelenas Haus ist eine Art Holzverschlag am Felshang. Eine Klingel gibt’s nicht, aber Jelena steht gleich in der Tür, lacht, gibt uns Begrüßungsküsse und führt uns in die Wohnküche. Sie ist eher eine Nische. Drei Wände, die vierte ist ein Vorhang, durch den helles Licht scheint. Ich werde noch entdecken, was dahinterliegt. In der Küche ein Kocher mit Propangas, eine Steinspüle, ein paar alte Küchenschränke. Überall, wo Platz ist, hängen Bilder. Und ein Kreuz. Jelena und ihr Mann sind arm wie viele Georgier. Sie muss im Alter von umgerechnet 40 Euro Rente im Monat leben. Was eigentlich nicht geht, denn alles ist teuer, auch das Brot.
Georgien ist reich an Kultur und fruchtbaren Böden. Doch leiden große Teile der georgischen Bevölkerung bis heute unter Arbeitslosigkeit und Armut (3). Die Sorgen vor politischer Instabilität sind groß. 2008 war der Kaukasus-Krieg. Da haben russische Truppen angegriffen und die Regionen Abchasien und Südossetien besetzt, es gab 1000 Todesopfer. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist die Angst in Georgien groß, wieder überfallen zu werden.
Mit Jelena haben wir uns mit Händen und Füßen verständigt. Jelena spricht ein bisschen deutsch und georgisch, vor allem aber russisch. Sie ist Nachfahrin der Deutschen, die vor zweihundert Jahren nach Georgien kamen und es damals zu Wohlstand brachten. Unter Stalin wurde diese Minderheit verschleppt. In Lager nach Kasachstan. Das war, nachdem Hitler die Sowjetunion überfallen hatte. Damals war Jelena ein kleines Kind. Ihre Mutter und ihr Vater haben das nicht überlebt, aber sie konnte nach Jahrzehnten zurückkehren nach Georgien.
Als wir in ihrer Küche standen, deutete sie auf das Kreuz an der Wand. Sie sagt: "Viel Leiden". Aber sie sagt es nicht bitter.
Dann springt sie auf und öffnet den Vorhang, hinter dem es hell ist. Wir müssen mitkommen. Vor uns tut sich ein großes Gewächshaus auf. Es ist kunstvoll aus alten Fensterscheiben und Holzlatten gebaut, mit Podesten und Regalen aus Bruchstein, dazwischen Gummischläuche zur Bewässerung.
Überall stehen Kakteen. Sie deutet auf riesige Exemplare und lacht. Mit Hilfe des Pfarrers verstehe ich: Die großen runden nennt man Schwiegermutter-Sitz. Hunderte Kakteen blühen rot, lila, weiß und gelb. Jelena weiß, wo jeder einzelne Kaktus herkommt. Auf Deutsch sagt sie: "Meine Liebe“ und deutet auf ihr Paradies. Dann macht sie sich mit Schaufel und Erde zu schaffen. Sie nimmt zwei leere Joghurtbecher und pflanzt zwei kleine Kakteen rein. Die lateinischen Namen schreibt sie auf ein Stück alte Zeitung. Jelena gibt sie mir und sagt: "Die können viel mitmachen und blühen doch schön."
Für mich sind das Worte nicht nur über die Kakteen, auch über Jelena selbst. Jetzt stehen die Kakteen auf meinem Fensterbrett. Sie erinnern mich an Jelenas Liebe zu Gott und zum Leben. Sie hat zwischen vielen Stacheln vor allem die Blüten gesehen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Literaturangaben: