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Es gab scharfe Kritik. Das Streikrecht wäre inflationär ausgereizt, durch den Megastreik würden alle Bürger:innen in Geiselhaft genommen. Und dann verlief der vergangene Montag unerwartet chaosfrei. Ich musste zwar dreimal in die Stadt fahren, Frau und Tochter zur Arbeit und in die Schule, wieder abholen und dann nochmal zum Klavierunterricht. Das ging ohne größeren Stau, aber ich muss auch bloß in eine kleine Großstadt.
Ein gutes Drittel der Menschen in Deutschland lehnte den Streik ab. Eine knappe Mehrheit hatte Verständnis dafür und ist offensichtlich überzeugt: Erzieherinnen, Müllmänner, Beschäftigte der Verkehrsbetriebe oder der Feuerwehr müssen ordentlich bezahlt werden. Viele Stellen im öffentlichen Dienst "bleiben auch offen, weil der Lohn kaum für ein Leben in den Großstädten reicht. Armut und Reichtum sind in den öffentlichen Debatten aber praktisch kein Thema."(1) Man könnte auch polemisch fragen: "Warum zahlen wir Menschen, denen wir unsere Kinder anvertrauen, viel weniger Geld als jenen, denen wir unser Geld anvertrauen?"
Margot Käßmann schlug dieser Tage provokativ vor, die Gehaltspyramide umzudrehen. Und Erzieherinnen das Gehalt von Universitätsprofessoren zukommen zu lassen. Mit Professorengehältern würden sich Bewerberinnen und Bewerber für den Beruf "nur so tummeln. Zum Wohle der Kinder und der Gesellschaft." Soweit Käßmann.
Ich kann mir vorstellen, dass mich manche kopfschüttelnd fragen, wie ich als Kirchenmann denn dazu käme, Sympathien für einen Streik zu äußern. Denn: unsere Betriebe, die kirchlichen Kindergärten zum Beispiel, dürfen gar nicht bestreikt werden. Die Evangelische Kirche der Pfalz zum Beispiel bezahlt ihre Mitarbeitenden nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Und sollte sich ver.di mit ihrer Forderung durchsetzen, erhielten auch die Erzieherinnen in kirchlichen KiTas 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro im Monat mehr. Aber streiken durften sie dafür nicht, unbezahlten Urlaub nehmen schon.
…Ein Jesus-Gleichnis in der Bibel erzählt: Da ging ein Gutsverwalter frühmorgens aus, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Sie wurden sie einig: ein Dinar als Tagelohn. Ein paar Stunden später ging er erneut aus und sah Jobsuchende auf dem Markt herumstehen. Er nahm auch sie mit in den Weinberg - ohne irgendeine Tarifabsprache. Er wolle ihnen geben, was recht ist. Und sie gingen hin. Das wiederholte sich noch zweimal. Kurz vor Sonnenuntergang aber ging er noch einmal aus und sah immer noch Leute herumstehen. Was steht ihr den ganzen Tag müßig da?
Es habe sie niemand angeworben, antworteten die. Auch sie gingen noch zur Arbeit im Weinberg. Am Abend zahlte der Verwalter den Lohn aus. Er fing bei den letzten, erst kurz vor Feierabend Angeworbenen an. Sie erhielten einen Dinar, wie alle anderen, auch jene, die vom frühen Morgen an den ganzen Tag lang geschuftet hatten. Die hielten das für ungerecht. Und murrten. Der Verwalter jedoch bleibt hart:
"Ich will aber diesen Letzten dasselbe geben wie dir.
Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?"
Diese Geschichte sei ein Gleichnis für den Himmel auf Erden, meinte Jesus. Sie dürfte aber auch heute nur wenigen gefallen, den Beschäftigten nicht, den Arbeitgebern und auch den Gewerkschaften nicht. Das gehe ja nun gar nicht! Stimmt! Ein Gleichnis ist keine Handlungsanweisung, Aber: wir müssen wir uns in der Gesellschaft darüber verständigen, was Menschen zum Leben brauchen. Und über Armut reden! Und Reichtum! Und eine gerechte Verteilung von Vermögen. Sobald geringer Verdienende etwas mehr erhalten wollen, regt sich Widerspruch. Merkwürdigerweise. Neid auf Millionäre gibt es kaum - das wollen alle werden.
Die himmlische Perspektive im Gleichnis verführt dazu, Gottes Güte geschehen lassen. Der lässt es bekanntlich regnen über Gerechte und Ungerechte. Und seine Sonne aufgehen über Gute und Böse. Seine Güte reicht, soweit der Himmel ist. Sie lässt alle leben. Sie ist keine Handlungsanweisung. Aber doch ein guter Maßstab. Es ist genug für alle da.
Es gilt das gesprochene Wort.
(1) Steffen Herrmann, FR vom 28. März 2023, 11