Du sollst Dir kein Bild machen…

Feiertag
Du sollst Dir kein Bild machen…
01.03.2015 - 07:05
05.01.2015
Pfarrerin Lucie Panzer, Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann

Steinmann: Wir Menschen machen Bilder. Von der Welt, die uns umgibt, von uns selbst, sogar von Dingen und Wesen, die wir nicht sehen. Auch von Gott. Seit Menschen sich zu Kulturwesen „gemausert“ haben, machen sie Bilder.

 

Panzer: Und gemachte Bilder machen Eindruck. Demonstrieren Macht. Kein antiker Kaiser ohne Standbild in jeder größeren Stadt seines Machtbereiches. Allein der Fuß der Statue von Kaiser Konstantin in Trier war an die 2 1/2 Meter lang.

Und auch die Religion hat Bilder so genutzt.

 

Steinmann: Inge Kirsner ist fasziniert von Bildern und kennt ihre Macht auf Menschen. Sie ist Pfarrerin und Mitglied der Evang. Filmjury bei der Berlinale. Die Macht der Bilder ist ihr zum ersten Mal überdeutlich geworden, damals als Schülerin auf Klassenfahrt in Rom.

 

O-Ton: Mein erster Fuß, den ich nicht gesehen habe, weil er abgeküsst war, war die Petrusstatue in Rom. Ich stand als Schülerin an diesem abgeküssten Fuß und fand es unglaublich. Er steht für einen verehrungswürdigen Menschen, also einen heiligen, oder vielleicht sogar den heiligsten Menschen für diese Leute und anscheinend brauchen die so ein Bild.

 

Panzer: Bilder demonstrieren Macht. Vermutlich haben deshalb unsere Urahnen Tiere an Höhlenwände gemalt, um sich ihrer Angst zu bemächtigen.

 

Steinmann: Oder in der Moderne: Ohne die Inszenierung der bewegten Bilder hätte aus einem kleinen österreichischen Gefreiten nicht der „Ver-Führer“ werden können, den Millionen Deutsche verehrt haben.

     

Panzer: Und heute: Kein Werbefeldzug ohne Bilder. Kein Internet ohne Bilder. Leider auch mit ihren Schattenseiten. Eine private Momentaufnahme kann einen Menschen zum Opfer von Häme und Wut machen.

 

Steinmann: Oder warum setzt eine Terrorbande wie der IS so sehr darauf, all seine Gräueltaten per Video zu verbreiten? Bilder lassen ihn weltweit gefährlich mächtig erscheinen. Verbreiten Angst und Schrecken bei den einen und faszinieren die anderen.

 

Panzer: Faszination und Erschrecken können Bilder auslösen und sie auch gefährlich machen. Das geschieht, wenn man dem Bild ein Eigenleben zugesteht. Wenn Menschen ausblenden, dass ein Bild immer „nur“ ein Bild bleibt. Deshalb warnt Inge Kirsner:

 

O-Ton: Diese Distanz zu diesem Gemachten muss einem immer klar sein. „Ja, es ist etwas Gemachtes. Also kann ich es auch verändern.“ Aber wo das Gefühl da ist, das wäre jetzt gesetzt und ein für alle Mal gemacht und gesetzt als Heiliges, als Unveränderbares. Wo es aus dem Fluss des Gemachten heraus gerät in so einen Geruch der Epiphanie: Das ist alles etwas, was durch Menschen möglicherweise kommt, aber nicht von Menschen. Und da, denke ich, wird es gefährlich.

 

 

Steinmann: Sogar die Musik kann mitspielen und Menschen, Gott und der Welt Bilder setzen. Manchmal zu machtvolle. Darum gab es zu allen Zeiten auch Skepsis gegen Bilder. Kritik. Streit um sie und Bilderverbote. Vor allem auch in der Religion. Das Alte Testament warnt: Mache kein Ding zu deinem Gott, und Gott nicht zu einem Ding.

 

O-Ton: Das Bilderverbot weiß um die Macht des Bildes. Dass man etwas sieht und es auch für Wahrheit nimmt. ‚Ich glaube nur, was ich sehe‘, entspringt ja auch einem ganz tiefen Glauben an das Sehen. „Was ich sehe, das ist wahr.“ Ich würde aber auch sagen, dass das Bilder-Verbot auch in die Richtung geht, dass Dinge eine Macht über einen gewinnen und dass man sie auch so machtvoll werden lässt.

 

 

Steinmann: Bilder sind gefährlich. Man kann sich ihnen kaum entziehen.

 

Panzer: Andererseits: Ohne Bilder kann ich mir keine Vorstellung von der Welt machen. Wie soll ich wissen, was ein Löwe ist oder ein Tisch, wenn ich nie einen gesehen habe? Wenn einem kein Bild vor Augen steht, dann geht es wie in der Geschichte von den Blinden, die lernen wollen, was ein Elefant ist. Der eine betastet die Beine und sagt: Ein Elefant ist eine dicke Säule. Ein anderer fühlt den Schwanz und meint: „Ein Elefant ist wie ein dickes ausgefranstes Tau“ Der dritte hält den Rüssel in den Händen und findet: „Ein Elefant ist wie ein Feuerwehrschlauch“. Und der vierte klettert auf seinen Rücken und spürt: „Ein Elefant ist ein großer Berg.“

 

Steinmann: In der Tat, man kann die Welt nicht vollständig erkennen oder verstehen ohne etwas zu sehen. Schon für Aristoteles war der Sehsinn unabdingbar für das Erkennen. Er schrieb:

„Denn nicht nur zu praktischen Zwecken, sondern auch, wenn wir keine Handlung beabsichtigen, ziehen wir das Sehen so gut wie allem anderen vor, und dies deshalb, weil dieser Sinn uns am meisten Erkenntnis gibt und viele Unterscheidungen offenbart.“ (Aristoteles, Metaphysik, I,1 980a)

 

Panzer: Das weiß auch die Lebens- und Glaubenserfahrung der Bibel. Menschen können sich selber und können Gott nur schwer erfahren ohne Bilder, die sie wahrnehmen und auf sich wirken lassen können.

„Wenn ich sehe den Himmel, das Werk deiner Hände, den Mond du die Sterne, die du gemacht hast: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ (Ps 8,4) fragt sich ein Psalmbeter. Indem er die staunenswerte Größe der Schöpfung wahrnimmt, begreift er sich selbst.

 

Steinmann: Gott selbst hat uns ein Bild von sich gegeben, glauben wir Christen. Jesus Christus. In ihm ist Gott Mensch geworden. Fleisch geworden sagt überdeutlich die Bibel. Und dieses Bild ist nicht ein für alle Mal festgelegt, sondern lebendig. Darauf weist Inge Kirsner hin:

 

O-Ton: Jesus ist auch ein Mensch. Insofern also jemand, der gestorben ist, wieder auferstanden – diese ganzen Geschichten, die da dran hängen. Aber erst einmal ein Mensch, d.h. also auch etwas Veränderliches, jemand, der lernfähig ist, zu dem wir auch eine Beziehung aufbauen können.

 

Panzer: „Wer mich sieht, sieht den Vater“ heißt es im Johannesevangelium von Jesus (Joh 14,9) und seine Jünger laden einen, der ihn kennen lernen will, ein: „Komm und sieh“ (Joh 1, 46)

 

Steinmann: Und was sehen sie?

 

Panzer: Einen Wanderprediger. Den Kinderfreund.

 

Steinmann: Einen Arzt. Den Lehrer.

 

Panzer: Einen wütenden Eiferer. Einen ohnmächtig Gefangenen.

 

Steinmann: Einen qualvoll Sterbenden. Den auferstandenen Christus.

 

Panzer: Lauter Bilder von Gott.

 

 

Steinmann: Statt eines Bildes viele verschiedene Bilder: Von Gott und von seiner Schöpfung. Das setzt die Vorstellungskraft frei. So werden Menschen angeregt, in ihren je verschiedenen Lebensverhältnissen nach Gott zu suchen. Ist das womöglich ein Schutz gegen die Macht der Bilder?

 

Panzer: Oder doch lieber gar keine Bilder? Historisch war das Bilderverbot im Judentum das erste. Schon in den 10 Geboten ist es enthalten, das zweite Gebot heißt: „Du sollst Dir kein Bild machen… weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser ist.“

 

Steinmann: Das kommt gleich nach dem ersten Gebot, „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ im Grunde als eine Art Auslegung: Mach Dir kein Bild. Dann vermeidest du die Gefahr, etwas Menschengemachtes für Gott zu halten.

 

Panzer: Und der Islam? Das Bilderverbot spielt auch im gegenwärtigen Streit um die Mohammed-Karikaturen eine Rolle. Im Koran gibt es zwar kein ausdrückliches Bilderverbot. Aber wenn Menschen Geschöpfe darstellen, die sie doch nicht schaffen können, dann ahmen sie Gott nach. Dieser Überheblichkeit, sagen die islamischen Gelehrten, wollte Mohammed vorbeugen. Und er selbst habe 630 nach seinem siegreichen Einzug in Mekka die Götzenbilder in der Kaaba entfernen lassen.

 

Steinmann: Das Bilderverbot ist nicht nur ein Schutz gegen die verführerische Macht der Bilder. Für den jüdischen Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik zeigt sich im Bilderverbot die Differenz zwischen der antiken Philosophie und Religion und dem jüdischen Glauben.

Die Griechen, sagt er, wollen das Wesen Gottes sichtbar machen in ihren Götterbildern – deshalb zeigen sie sie als kraftvolle Heldengestalten, als mächtige Herrscher, als Stier oder Wagenlenker. Dagegen wollten die Israeliten zeigen, wie Gott den Menschen nahe kommt. Wie sie ihn erfahren können. Deshalb kein Bild. Aber Geschichten werden erzählt, die zeigen, wie Gott den Menschen in je verschiedener Weise begegnet.

 

Panzer: Solche Geschichten haben die Christen später dann auch bildlich dargestellt. Die Kirchen sind bis heute voll von Bildern, Gemälden und Skulpturen, die darstellen, was Menschen mit Gott erleben können.

 

Steinmann: Menschen führen sich vor Augen, was sie erhoffen und wünschen, manchmal wohl auch, was sie fürchten. Inge Kirsner sieht darin menschliche Urbedürfnisse:

 

O-Ton: Ich kann mir das so erklären, dass ein Mensch ein Bild braucht, also eine Verkörperung der Sehnsüchte, Ängste, Sehnsucht auch, sich jemandem hinzugeben oder Verehrung zum Ausdruck zu bringen als auch die Ängste zu bannen, also die Angst vor dem Bösen.

 

Panzer: Wenn ich es anschauen kann, dann wird es irgendwie glaubwürdig, aber auch beherrschbar. Handhabbar. Dann kann ich mit Hoffnung und Furcht umgehen. Das ist wohl die Erwartung. Dann kann ich das Bild, von dem ich etwas erhoffe, mit Gesten der Verehrung gnädig stimmen. Mit Wallfahrten zum Beispiel und Geschenken hat man die „Gnadenbilder“ um Beistand angefleht.

 

Steinmann: Gegen solche Bilderverehrung ist die Reformation -in Teilen jedenfalls- vehement zu Felde gezogen. In manchen Gegenden kam es zum Bildersturm. Die Bilder wurden gewaltsam entfernt und zerstört. Aber andererseits haben gerade auch in der Reformation Bilder eine wichtige Rolle gespielt. Sie galten als ein gutes Mittel, den neuen Glauben anschaulich zu machen. Denn Menschen verstehen am leichtesten über die Augen.

 

O-Ton: Luther hat das gewusst, er hat gesagt: Ja, die Bibel mit Bildern ist toll. Das ist für die Leute, die vielleicht nicht so gut lesen können, die können das sehen, was geschieht. Man soll es gebrauchen, aber halt gebrauchen und sich nicht gebrauchen lassen.

Solange das im Bewusstsein ist, dass das Bild ein gemachtes ist, können wir sie auch zum Guten gebrauchen.

 

Panzer: Nicht die Bilder sind also das Problem, hat Luther gefunden. Die Menschen sind es, die einem Bild Macht und Wirksamkeit zuschreiben. Bei den Bildern kommt es schlicht darauf an, wie Menschen mit ihnen umgehen.

 

 

Steinmann: Damit Menschen gar nicht erst in Versuchung geraten, ihre Bilder an die Stelle Gottes zu setzen, haben (fade out) Johannes Calvin und Ulrich Zwingli für die reformierte Kirche das Bilderverbot ganz radikal ausgelegt und alle bildlichen Darstellungen in den Kirchen verboten. In Württemberg stießen die Auffassungen der Reformierten und der Lutheraner zusammen. Im schwäbischen Unterland hielt man die Bilder, sofern sie nicht Verehrung provozierten für unschädlich, ja sogar für nützlich zur Volksbildung. Sie seien ein „denckmal“ zur Festigung des Glaubens.

 

Panzer: Im von der schweizerischen reformierten Tradition beeinflussten Oberland wollte man die Bilder generell entfernen. 1537 trafen sich die Parteien dann auf dem sogenannten Uracher Götzentag. Dort wurde der Streit von Herzog Ulrich mit einem Kompromiss entschieden. Die alten, wie er es nannte „lügenhaften“ Bilder von Legendenstoffen sollten entfernt werden, Bilder aber, die als Medien der reformatorischen Lehre dienen konnten, wurden beibehalten. Ja, es wurden sogar neue Bilder geschaffen.

 

Steinmann: Heute hängen in den meisten Kirchen Bilder. Sie zeigen, wie Menschen Gott begegnen. Die Frage ist allerdings: Können Bilder die Menschen noch anrühren angesichts der explodierenden Bilderflut, die heute auf Menschen einströmt? fragt Inge Kirsner:

 

O-Ton: Was bleibt denn von all diesen Bildern. Gibt es da welche, die bleiben oder auch immer noch Bestand haben? Und auch einen Bestand, den man auch gefühlsmäßig wahrnimmt, weil man merkt, dass da auch mehr ist. Was Starkes ist.

 

 

Steinmann: Gegen das eine richtige statuarische Bild Gottes setzt die Bibel viele Bilder, die in Geschichten lebendig werden. Das Bild von Gott „fließt“ in Metaphern und Geschichten. „Gott bin ich, nicht Mann.“ (Hose 11,9) sagt Gott nach dem Propheten Hosea selber von sich und nach dem Propheten Jeremia nennt Gott sich „lebendige Quelle (Jer 2,13).

 

Panzer: Christen führen diese Weise Gott zu denken und zu „sehen“ fort. Jeder Mensch ist ein Bild Gottes und in menschlichen Erfahrungen begegnet Gott. Allerdings können Menschen einander das Bild Gottes auch verzerren, verstellen und vergiften. Deshalb finden alle Bilder Gottes ihr Maß in dem, was von Jesus in der Bibel erzählt wird.

 

Steinmann: Das Bilderverbot wird so zum Bildergebot. Für den Theologen Albrecht Grözinger kommt es darauf an, den lebendigen Gott mit allen menschlichen Sinnen wahrzunehmen, „zu lesen.“ Zu imaginieren. Das ist viel mehr als die Wirklichkeit nur abzubilden und sie quasi zu „Gott“ zu erklären.

Für Grözinger ist die imaginative Wahrnehmung Gottes vergleichbar mit guter Fotografie: „Eine Kamera besitzt keine Imagination“, schreibt er, aber der Fotograf, die Fotografin. Sie können der „bloßen“ Wirklichkeit etwas hinzufügen.

„Dieses Hinzufügen geschieht so, dass wir im Vorgang der Imagination Beziehungen stiften, überraschende Beziehungen.“

 

Panzer: Darum muss verantwortliches Imaginieren manchmal auch an Bildern sparen, auf Bilder verzichten: Das ist auch einer Liebhaberin der Bilder wie Inge Kirsner wichtig, in einer Welt der entgrenzten Bilderproduktion.

 

O-Ton: Es muss ein Recht am eigenen Bild geben. Also wenn jemand sich nicht wehren kann, wo man sagt, der ist ja schon ausgeliefert und der wird jetzt noch mal ausgeliefert und noch, noch mal indem dieses Bild der Auslieferung, Demütigung, 1000 fache Auflage bekommt… Das darf es wirklich nicht geben.

 

Steinmann: Andererseits: „viele Bilder“ sind Zeichen der Freiheit. Gegen die Diktatur des „Einen“ Bildes setzen sie die Demokratie der vielen. Auch machtkritische, die an den Statuen auf den Sockeln „kratzen“. Darum sind Karikaturen Duftmarken einer demokratischen Bilderkultur. Weil sie die Wirklichkeit anders sehen lassen. Ähnliches gilt auch für die Imagination Gottes.

 

O-Ton: Was mich wütend macht, wenn ich merke, dass jemand nicht bereit ist, dieses Bild, das er mir von Gott vorstellt, als etwas selbst gemachtes zu sehen, sondern sagt: ‚Das ist so!‘

Ich sag: ‚Wieso ist da so?‘

Die mag ich nicht: Diese Denkverbote. Da sag ich: Ihr könnt doch denken. Wenn ihr an einen Gott der Liebe glaubt, dann müsst ihr doch gar keine Angst haben. Wir haben einen Gott der Freiheit. Er hat das Volk Israel herausgeführt. Bleibt doch bitte unterwegs. Glaubt doch nicht, ihr habt‘s gefunden ein für alle Mal und müsst dann euer Gut verteidigen wie so ein Schrebergartenbesitzer. Das ist das Gegenteil von Glaube, Glaube heißt für mich immer wieder loslassen können, das Bild, und daraus beziehen wir Kraft und Stärke aus dieser Freiheit.

 

Steinmann: Gute Gottesbilder verbinden Gott, die Wirklichkeit und Menschen miteinander. Sie bringen Gott mit der Welt ins Spiel. Und decken auf, dass die Wirklichkeit und die Menschen Möglichkeiten haben, Zukunft. Albrecht Grözinger sagt: „Der Mensch ist immer schon mehr als er aktuell zu verwirklichen vermag“.

 

Panzer: Jesus hat das beispielhaft in seinen Gleichnissen vorgemacht, die er einerseits der Wirklichkeit abgelauscht hat, und mit denen er die Wirklichkeit zugleich weit öffnet.

In seiner Geschichte vom so genannten verlorenen Sohn z.B. Jesus erzählt von einem jungen Mann, den es in die Welt zieht. Der Vater hält ihn nicht fest, sondern zahlt ihm das Erbe aus. Der junge Mann erlebt Freiheit und ihre Schattenseiten. Verliert alles, zuletzt beinahe auch sich selbst in ihr. Als Bittsteller kehrt er zurück. Und findet sich neu bei einem Vater, der ihn mit offenen Armen empfängt. Wer diese Geschichte hört, darf in diesem Vater Gott sehen.

 

Steinmann: Warum hat Jesus nicht einfach gesagt, ‚Gott ist Vater‘?

 

Panzer: Weil das schief wäre. Ich glaube nicht, dass Jesus in jedem Vater seiner Zeit Gott sehen konnte. In einem prügelnden sicher nicht. Aber in einem, der frei lässt, und der den verworrenen Lebensfaden seines Sohnes wieder entwirren hilft, schon.

Und Jesus imaginiert damit nicht nur Gott. Sondern auch das Bild menschlicher Väter. Jedem realen Vater, der sich mit seinen Kindern am Ende sieht, erzählt er: So könnte sich Zukunft eröffnen.

 

 

Panzer: Ein Bild von Gott zu haben, das ist anscheinend ein urmenschliches Bedürfnis. Ich will wissen, worauf ich mich verlassen kann. Genauso, wie ich gern ein verlässliches Bild von mir selbst hätte.

 

Steinmann: „Wer bin ich“ heißt ein Gedicht, das Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis in Berlin Tegel geschrieben hat. Darin fragt er:

„Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?

Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?“

 

Panzer: Solche Fragen lassen ihn nicht zur Ruhe kommen.

 

Steinmann: „Bin ich denn heute dieser und morgen ein anderer?

Bin ich beides zugleich?

Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.“

 

Panzer: Bonhoeffer ringt darum, seine Fragen in Gottes Hände zu legen. Denn bei ihm ist alles klar.

 

Steinmann: „Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!“

 

Panzer: Gott, du kennst mich. Darauf hat sich Bonhoeffer verlassen. Damit steht er in der Tradition der christlichen Hoffnung, die schon der 1. Johannesbrief in der Bibel formuliert:

 

Steinmann: Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm, dem Vater, gleich sein. Denn wir werden ihn sehen, wie er ist. (1. Joh 3, 2)

 

Panzer: Wir werden sehen, wie Gott ist. Das ist die große Hoffnung von uns Christen. Dann wird alles klar sein. Jeder mit sich im Reinen. Und Gott wird unter uns wohnen. Was für eine Aussicht!

 

 

Musik dieser Sendung:
(1) Die Meistersinger von Nürnberg Prelude - Richard Wagner, Favorite Ouvertures, G. Solti Chicago Symphony Orchestra

(2) Kirchliche Festouverture über Ein feste Burg  - Georg Liszt, L‘Ouevre pour Orgue, Olivier Vernet

(3) O Haupt voll Blut und Wunden - Johann Crüger, A tribute to Paul Gerhardt, Dieter Falk

(4) Brüder überm Sternenzelt - Ludwig van Beethoven, Symphonie Nr 9, Roger Norrington RSO Stuttgart Gächinger Kantorei

(5) Amazing Grace, Between Love and Loss, Jessye Norman

(6) Denn er hat seinen Engeln befohlen, Elijah, Felix Mendelssohn-Bartholdy

(7) Adagio - W.A. Mozart, Clarinet concerto, Robert Marcellus/George Szell/Cleveland Orchestra

05.01.2015
Pfarrerin Lucie Panzer, Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann