Bescheidenheit und Fülle

Gottesdienst
Bescheidenheit und Fülle
Gottesdienst aus dem Alt-Katholischen Pfarramt St. Cyprian Bonn
28.08.2016 - 10:05
Über die Sendung

Bescheidenheit und Großmut stehen nicht im Widerspruch, Bescheidenheit und Hochmut schon. Selbstbewusstsein und Großmütigkeit der Christen erwächst aus ihrem Erleben, Beschenkte von Gott her zu sein. Aus Gottes Fülle leben – in aller Bescheidenheit. Um diesen Gedanken geht es im Rundfunkgottesdienst aus der alt-katholischen Gemeindekirche St. Cyprian zu Bonn.
 
Gefeiert wird der Gottesdienst als Familiengottesdienst, zusammen mit Kindern und Erziehern des alt-katholischen Kindergartens der Gemeinde. Wie immer in den Familiengottesdiensten kommt auch St. Cyprian selbst zu Wort – in Gestalt von Cypri, der Handpuppe der Gemeinde.  
 
Die alt-katholische Kirche ist eine staatskirchenrechtlich anerkannte, romunabhängige katholische Kirche. Mit ihrer bischöflichsynodalen Struktur gibt sie Menschen Heimat, die auf der Suche nach der Fülle des Lebens sind. Gelebte Ökumene verbindet altkatholische und evangelische Kirche mit gegenseitiger Einladung zur Teilnahme am Abendmahl.

Predigt Teil I

"Du, Thomas! Warum musste ich wohl gestern schon mal kommen? Bow ej, da haben wir alles schon mal gesungen und gebetet und so. Warum?
Und, Thomas! Was wollen denn die Leute hier? Die sind doch sonst beim Familiengottesdienst auch nicht da?"

"Hallo Cypri! Du bist ja heute auch außer der Reihe da. Wir haben gar nicht den 2. Sonntag im Monat.
Und Du musstest gestern schon mal kommen, weil die Menschen, die heute hier sind, unsere Eucharistiefeier aufnehmen. Sie wird nämlich heute im Radio übertragen, im Deutschlandfunk."

"Ne, klar! Hier was von Bescheidenheit erzählen, aber dann im Radio auftreten. DSDSG oder was? Warum nicht gleich im Fernsehen?"

"Was heißt denn DSDSG?"

"Das ist doch sonnenklar: Deutschland sucht die Super Gemeinde!"

"Ja, da ist was dran."

"Wie, da ist was dran?"

"Ja, Du hast Recht. Wenn wir Eucharistie feiern, dann brauchen wir nicht bescheiden sein. Mehr noch: Wir dürfen nicht bescheiden sein."

"Ich sehe es Dir an, Thomas. Du überlegst schon, wie wir demnächst ins Fernsehen kommen?!?"

"Das überlege ich nicht. Aber es geht nicht darum, ob wir im Radio oder im Fernsehen sind. Aber unser Ziel ist, die Menschen mit der Freude anzustecken, die wir von Jesus erfahren. Und mit dieser Botschaft dürfen wir laut und glücklich angeben, hier in St. Cyprian, im Radio und auch im Fernsehen."

"Du, Thomas! Und Du meinst, wir können das besser als andere? Und deshalb kommen wir ins Radio?"

"Nein, ich glaube nicht, dass wir das besser können als andere. Das ist genau das, was wir nicht wollen. Wir wollen uns nicht über andere erheben. Aber ich träume davon, dass wir alle die Besten sein wollen, wenn wir Gott den Menschen näher bringen. Und das heißt ja, sie zu trösten, ihnen zu helfen, sie zu umarmen, mit ihnen zu feiern, sie aufzunehmen, wenn sie in Not sind…"

"Du meinst, wenn alle ganz unbescheiden gesagt hätten: Wir können die allermeisten Menschen aufnehmen, die derzeit auf der Flucht sind. Das wäre eine Angeberei, wie sie Gott gefällt?"

"Ja, das ist ein gutes Beispiel, lieber Cypri! Dann werde ich jetzt noch ein paar Worte an die Erwachsenen richten. Tschüss, Cypri!"

"Tschüüüüß!"

 

Predigt Teil II

Ich habe meine 5jährige Tochter gefragt, was das Gegenteil von heiß ist. Und sie hat richtig geantwortet: „kalt“ Ich habe sie auch nach dem Gegensatz von voll gefragt. Und ihre Antwort war „leer“.

Demnach ist das Gegenteil von Fülle Leere und nicht Bescheidenheit. Und, was vielleicht noch viel wichtiger ist: Das Gegenteil von bescheiden ist nicht reich.

Deshalb ist auch das Sprichwort aus dem Volksmund so grundfalsch. Und zwar in doppelter Hinsicht. Bescheidenheit ist keine Zier, sondern eine Haltung. Und das Leben erlangt gerade durch Bescheidenheit großen Reichtum.

Jedenfalls dann, wenn wir unter Bescheidenheit nicht Selbstkasteiung oder gar Selbstaufgabe verstehen.

Und es ist natürlich auch ein Hohn, von jenen Bescheidenheit zu erwarten oder gar zu fordern, die an Entbehrung leiden.

Das tut weder der Schreiber des alttestamentlichen Buches Jesus Sirach, noch verlangt es Jesus im soeben gehörten Gleichnis.

Die Menschen, die im Gleichnis Jesu angesprochen werden, sind zu einem Hochzeitsfest geladen. Sie nehmen teil am Fest des Lebens. Und das soll ihnen auch nicht genommen werden. Sie sollen keine Leere erleben. Sie sollen mit feiern. Sie sollen das Mahl kosten. Sie sollen die Fülle genießen.
Dazu lädt Jesus zeitlebens ein. Das ist die wahrhaft Frohe Botschaft vom Reich Gottes, das mitten unter uns angebrochen ist, das mitten unter uns Raum greift. Das ist der Himmel, der die Erde berührt.

Jesu Anfrage bezieht sich auf unsere Haltung. Nicht die Haltung gegenüber dem Gastgeber ist gefragt, wohl aber meine Haltung gegenüber den ebenso Geladenen.

Im Märchen von den kleinen Leuten aus Swabedoo schöpfen die kleinen Menschen aus der Fülle der warmen, weichen Felle. Sie werden im Märchen mit Absicht „kleine Leute“ genannt. Es sind tatsächlich die Kleinen, die Kinder. Es sind alle Kinder, in allen Ländern und Kulturen. Es sind die Kinder dieser Welt: Sie schenken, weil es sie froh macht, andere zu beschenken. Und sie machen dabei die Erfahrung, dass die Fülle, aus der sie schöpfen, nicht abnimmt.

Bis, ja bis eines Tages einige kleine oder besser gesagt größer werdende Leute Interesse zeigen, mehr zu bekommen. Sie wollen mehr als aus der Fülle leben. Sie erleben sich im Vergleich zu den anderen. Sie wollen mehr haben als die anderen. Daraus entwickelt sich das Gegenteil von Bescheidenheit. Das Gegenteil von Bescheidenheit ist das rechte Maß verlieren, maßlos werden. Und aus Maßlosigkeit wird nicht selten Gier. Das ist das Übel, unter dem die groß gewordenen Leute leiden. Und zwar die einen wie die anderen. Die Ausgebeuteten ebenso wie die Gierigen.

Es gibt ein weiteres Gegensatzpaar, das Paar von „gut“ und „böse“. Wir sind geneigt, die Menschen danach einzuteilen. In Wirklichkeit aber geht die Linie zwischen „gut“ und „böse“ mitten durch das Herz eines jeden Menschen. Und auch die Linie zwischen Bescheidenheit und Gier geht mitten durch das Herz. Immer wieder bin ich aufs Neue gefragt: Will ich Menschen einladen? Wen lade ich ein? Wen laden wir ein in unsere Gemeinschaft? Wen laden wir ein in unsere Gesellschaft, um teilzuhaben an der Fülle, aus der wir schöpfen?

Dabei müssen wir nicht viel leisten. Vielmehr lohnt es sich zu vertrauen, zu vertrauen auf die Erfahrungen der kleinen Leute, der kleinen Leute, die wir alle mal waren.

Vertrauen wir auf Jesus von Nazareth! Seine Einladung zum Festmahl steht. Vertrauen wir seiner Botschaft! Leben wir aus dem Vertrauen, Geladene zu sein, Beschenkte, Geliebte.

Diese Fülle ist kein Abstraktum. Die Wissenschaft, auch jene, die Gott leugnet, legt dar, dass die Ressourcen auf dieser Erde nicht nur ausreichen, sondern in Fülle vorhanden sind.

Und die, die sich mit der Psyche des Menschen auskennen, wissen, dass es den Menschen reicher macht, dass es ihm Erfüllung gibt, wenn er sich nicht nur als Beschenkter, sondern auch als Schenkender erfährt. So mag es kurzfristig glücklich machen, sich reicher und besser zu fühlen. Oder um mit den Worten der Schrift zu sprechen: den besseren Platz einnehmen zu dürfen.

Die Frohe Botschaft der Heiligen Schrift lädt zu einer anderen Haltung ein. Und sie steht dabei nicht im Widerspruch zu Wissenschaften wie Soziologie und Psychologie – wenn auch manchmal zur Politik und was Menschen von ihr fordern.

Die Fülle, die Jesus verspricht, geht weit über alles menschliche Maß hinaus. Die Maßlosigkeit Gottes sprengt alle uns bekannten Grenzen. Das gilt schon Hier und Jetzt und erst recht Dort und Dann, wenn wir eingeladen sind zum Ewigen Hochzeitsmahl. Denn größer bist Du Gott als unser Herz.

AMEN