Trennendes überwinden, Gemeinschaft leben

Gottesdienst
Trennendes überwinden, Gemeinschaft leben
Gottesdienst aus der Evang.-Freikirchl. Gemeinde am Döhrener Turm, Hannover
25.09.2016 - 10:05

Über die Sendung

Gastfreundschaft und Interkulturalität übt die „Gemeinde am Döhrener Turm“ seit  Anfang des Jahres mit einer kleinen iranischen Gemeinde in Hannover. Und „Trennendes überwinden, Gemeinschaft leben“ -  das ist auch Thema dieses Gottesdienstes, der sich auf den Wochenspruch bezieht aus 1.Joh. 4,21: „Wer Gott liebt, muss auch seinen Bruder und seine Schwester lieben.“ Was heißt das heute? Wie kann Trennendes in Kultur und Prägung überwunden und echte Gemeinschaft entdeckt werden? Wie werden aus Fremden Freunde?

 

Natalie Georgi, Pastorin für Junge Gemeinde, wird in ihrer Predigt zu Römer 14, 17-19 diesen Fragen nachgehen. Gemeindepastor Henning Großmann, der die Gottesdienstleitung hat, befragt Gemeindemitglieder und Flüchtlinge nach ihren Erfahrungen mit Fremdheit und (Gast-)Freundschaft. Musikalisch wird der Gottesdienst von einer Band gestaltet, mit alten und modernen Liedern zum Mitsingen.

 

Die Gemeinde in Hannovers Südstadt gehört zum Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (KdöR), hat 380 Mitglieder und einen großen Freundeskreis. Sie lebt ihr Motto „Christusorientiert. Menschenfreundlich. Weltoffen“ mit sozialdiakonische Engagement und ökumenisch gut vernetzt: Trägerschaft und Leitung von zwei Flüchtlingsheimen, ein Jugendzentrum in einem sozialen Brennpunkt der Stadt und zwei offene Kindertreffpunkte mit Mittagessen und Hausaufgabenhilfe. Im Gemeindezentrum selbst gibt es Alphabetisierungskurse und Traumaarbeit für Flüchtlinge.

 

Neben dem wöchentlichen Sonntagsgottesdienst, zu dem sich ca. 250 Menschen aller Generationen zusammenfinden, gibt es regelmäßig weitere Gottesdienstangebote: „EchtZeit“ für junge Leute, „FamilienZeit“ für die ganze Familie, „GottesZeit“ für Menschen, die bewusst einen ruhigen Gegenpool zum lauten Alltag suchen.

 

Sendung nachhören

 

Predigt zu Röm. 14,17-19

Endlich ist sie angekommen. Nach einer langen Reise ist sie nun da in der Stadt, die nur so strotzt vor Macht und Selbstbewusstsein. Alle Wege führen nach Rom! So heißt es doch. Die Wege junger Menschen aus den Provinzen, die in der Stadt eine Zukunft für ihre Familien suchen. Wege von Händlern, die auf das Geschäft ihres Lebens hoffen und Güter aus der ganzen Welt nach Rom bringen. Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen deren Wege sich nun in der ewigen Stadt kreuzen. Und nun auch ihr Weg. Der Weg, auf den Paulus sie geschickt hat, um einen Brief an die christlichen Gemeinden der Stadt zu überbringen.

Mit diesem kostbaren Stück Papyrus wandelt sie nun durch die engen Gassen Roms auf der Suche nach einer dieser Hausgemeinden, wo sich die Christen heimlich versammeln. Wen wird sie dort treffen? Wie werden sie hier ihren Glauben gemeinsam leben? Ach, da vorne muss es sein. Ja, da ist das Zeichen: ein eingeritzter Fisch am Türbalken. Sie hört Stimmengewirr von drinnen und sie klopft. Doch nichts geschieht, langsam öffnet sie die Tür und schaut sich um. Die unterschiedlichsten Menschen sitzen zusammen. Alte, Junge, Frauen, Männer. Einige Juden sind erkennbar, die zum Glauben gekommen sind und in diese Gemeinde wohl Asyl gesucht haben.

Aber etwas ist merkwürdig: Kein fröhliches Beisammensein, sondern Streit. In der Mitte ein Tisch mit Brot und Abendmahlskelch. Doch die Feier hat noch nicht begonnen. Denn sie streiten: Wie feiert man das Abendmahl richtig? Und ist es Sünde, Fleisch zu essen und Wein zu trinken? Viele Fragen, verletzte Gefühle, Vorwürfe und Uneinigkeit schweben in der Luft. Ein solches Bild hat sie nicht erwartet.
Irgendwann versucht sie, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, räuspert sich und ruft in Streit der Gemeinde hinein: „Hallo! Ich bin Phöbe, Diakonin aus Kenchreä und ich habe eine Botschaft von Paulus für euch mitgebracht!“ Verwirrte Gesichter richten sich nun auf sie. Und sie ergreift die Gelegenheit, ihnen aus dem Brief etwas zu vorzulesen. Sie liest aus dem Römerbrief aus dem 14. Kapitel ab V.17:

Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.

Liebe Gemeinde, liebe Hörerin, lieber Hörer,

ich habe eine Situation beschrieben, wie sie womöglich so ähnlich vor fast 2000 Jahren geschehen ist. Ein Brieftext, der mitten ins Leben hineingesprochen wird, in die Situation der Menschen vor Ort und durch den Gott zu den Menschen spricht. Mitten hinein ins Herz, direkt auf Schwachstelle der Gemeinde zeigend und mit einem Blick in die Zukunft. Diese Gemeinde ist sich uneins und präsentiert ihre Unterschiede immer wieder neu auf dem Silbertablett. Die Glaubensgeschwister entfernen sich voneinander und die Mauern zwischen ihnen wachsen.

Doch worum geht es hier eigentlich? Wenn wir den Kontext des Textes betrachten und die Gemeindesituation damals, so kommt mir der Verdacht, dass es bei dem Streit ganz einfach darum geht: Hier treffen Menschen aufeinander, die in ihrem Leben sehr verschieden geprägt worden sind, die aus unterschiedlichen Kulturen kommen und aus ihrer religiösen Prägung heraus den Glauben verschieden leben.

Ehemalige Juden und frühere Heiden fragen sich: Wie lebt man den Glauben richtig? Soll ich mich noch an die jüdischen Festtage halten oder spielen die jetzt keine Rolle mehr? Ist es mir nun erlaubt Fleisch zu essen, welches vorher einer heidnischen Gottheit geopfert wurde? Diese Fragen scheinen aus der heutigen Sicht unwichtig oder sogar unverständlich zu sein. Doch es waren die Fragen, die die Menschen damals intensiv bewegt haben. Fragen, die sie in miteinander streiten ließen und die es ihnen schwer gemacht haben, den Glauben des anderen zu akzeptieren und gemeinsam in einer Gemeinschaft zusammen zu leben.

Das kennen wir doch auch. Dass Menschen ihren Glauben und ihr Leben anders leben, als wir es tun würden. Sie haben andere Werte, andere Verhaltensmuster und eine ganz andere Mentalität. Dem einen ist das fremd, der anderen etwas anderes. Es gibt Eigenheiten des Anderen, die nicht zu mir und meiner Lebensweise passen, die für mich irritierend und vielleicht störend sind, die ich nicht verstehe und deshalb manchmal ablehne.

Doch wie begegne ich diesen Menschen? Wie gehe ich mit dem Gefühl der Fremdheit um? Wie reagiere ich auf diese zwischenmenschlichen Grenzen?

Eines muss ich der römischen Gemeinde lassen. Sie reden wenigsten miteinander. Sie trennen sich nicht einfach, sondern diskutieren miteinander.

Ich erlebe das in der Realität oft anders. Andere Überzeugungen interessieren nicht wirklich. Da wird bei Unterschieden lieber die Distanz gesucht nach dem Motto: Jedem das Seine. Dann geht man einfach woanders hin zu gleichgesinnten, gleichaltrigen, gleichgeprägten Menschen, die so sind wie man selbst und genau so leben. Dieselbe Musik hören, dieselbe politische Meinung vertreten. Menschen, die einen ähnlichen Lebensstandard haben, die gleichen Hobbys und ja, vielleicht auch dieselben Essgewohnheiten. Das ist nämlich einfacher.

Sich zusammenzusetzen, sich kennenzulernen und sich über Unterschiede auseinanderzusetzen – das ist anstrengend. Das kostet Zeit und Mühe. Dafür müsste man aus seinem Wohlfühlbereich herausgehen. Das Ergebnis dieser bequemen Distanz: Mauern der Fremdheit.

Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist.
Ich wage mal eine etwas freie Übertragung: Im Reich Gottes, im Zusammenleben der Kinder Gottes geht es nicht um das Unterschiedliche. Nicht um die Fragen, die uns trennen, sondern um das, was uns eint. Um das, was wir uns alle wünschen: Gerechtigkeit für jeden, Friede miteinander und echte Freude im Leben.

Für Christen heißt das: Durch den Heiligen Geist sind wir alle eins. Es ist letztlich nicht entscheidend, auf welche Art du deinen Gauben persönlich lebst. Welcher Konfession du angehörst. Wir sind eins, weil Gott uns zu seiner Gemeinde gemacht hat. Weil wir an den einen Gott glauben und durch seinen Geist verbunden sind.
Es scheint mir, als ob Paulus den Christen damals und uns heute zuruft: Glaubt dem Anderen seinen Glauben, seine Art zu beten, zu feiern, als Christ in der Welt zu leben! Macht den Glauben nicht an Unterschieden fest, sondern vertraut einander!

Auf unsere Gesellschaft bezogen bedeutet es: Wir sind alle Menschen, wertvolle und originelle Geschöpfe Gottes. Menschen mit ihren ganz eigenen Geschichten, ihrer Biographie. Jeder Einzelne bereichert einfach schon durch sein Sein diese, unsere Welt.

In unsere Städte, unser Land und auch in unsere Kirchen kommen in letzter Zeit viele Menschen von weither. Aus anderen Ländern und Kulturen. Wir sind einander fremd. Das kann Angst machen und unsicher. Auf allen Seiten. Wir haben vorhin davon gehört.

Wir sprechen unterschiedliche Sprachen, kleiden uns unterschiedlich, essen anders, feiern auf verschiedene Weisen und leben unsere Religion anders. Eine Herausforderung für das Zusammenleben. Zweifelsohne.

Unser Text sagt: Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken. Solche kulturellen Unterschiede sind nicht entscheidend. Dürfen es nicht sein. Gottes Reich ist geprägt durch Gerechtigkeit, Friede und Freude. Eine Freude, gerade auch über die Unterschiedlichkeit.

Ja, das Reich Gottes geschieht dort, wo wir uns über die Andersartigkeit der Anderen freuen können und miteinander die Vielfalt feiern. Ja, wir können uns freuen, weil wir durch den Anderen lernen dürfen, uns bereichern lassen können und ganz neue Möglichkeiten entdecken. Die Verschiedenheit als eine Bereicherung und eine Chance zu sehen – das ist die Botschaft, mit der Paulus Worte mich mitten ins Herz treffen und durch die Gott mitten in unsere Situation herein sprechen will.

Doch wie kann aus Herausforderungen Freude werde? Wie können die trennenden Unterschiede zu einer Bereicherung werden, die Nähe schafft?

Paulus ermutigt die Gläubigen: Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.

Diesen Gedanken möchte ich aufnehmen: Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, dass die Mauern zwischen uns kleiner werden und dass Menschen im Frieden miteinander leben können. Das ist ein Auftrag, den die Christen bekommen haben und der uns heute auch wieder in Erinnerung gerufen wird. Denn genau da geschieht Reich Gottes!

Lauft nicht voneinander weg, geht nicht in Distanz, denn nur in der Begegnung miteinander können wir wirklich sehen, wie der andere ist. Verstehen lernen, warum er so handelt oder warum sie diese Meinung vertritt. Das fängt hier in der Gemeinde an, zwischen Alten und Jungen, neu Dazugezogenen und Alteingesessenen. Interessiert euch füreinander: Was glaubst du? Woran zweifelst du? Was hat deinen Glauben geprägt? Was wünscht du dir für die Zukunft?

Und es setzt sich fort in der Nachbarschaft, in der Schule, im Büro: Wo kommst du her? Was macht dich aus? Wie lebst du? Wie kann ich dich unterstützen? Wollen wir etwas gemeinsam machen?

Und dann redet miteinander, von mir aus streitet auch miteinander, wie es die Christen in Rom gemacht haben, weil das bedeutet: Mir liegt etwas an dir und du bist mir nicht egal. Lasst uns einander Fragen stellen, nach unserer Geschichten und unserer Heimat. Und einander zuhören. So lernen wir uns verstehen und wir werden merken, dass die Mauern zwischen uns abbrechen.

Der Predigttext ermutigt uns, wie damals die Christen in Rom, aufeinander zu achten und gemeinsam daran zu arbeiten, dass wir gut miteinander zusammenleben, füreinander da sind. Ein gutes Miteinander, das in der Stadt und darüber hinaus bemerkbar ist, das ausstrahlt in die Welt und Menschen ermutigt, ebenso aufeinander zuzugehen.

Stellen wir uns doch einmal vor, Phöbe würde heute an unsere Kirchentür klopfen. Welche Menschen würde sie dort treffen? Welchen Umgang miteinander würde sie erleben? Würde sie sich freuen, weil da ganz unterschiedliche Menschen zusammensitzen und miteinander reden?

Der ältere Herr, der seit Kindestagen in die Gemeinde kommt. Eine persische Frau, die in hier nun endlich Freiheit erlebt. Die junge Familie, die sich durch die Lebenserfahrungen der älteren bereichern lässt. Ein Jugendlicher, der andere beim Deutsch lernen unterstützt.

 Würde sie sich freuen am Fragen und Antworten, am Lachen und Weinen, vielleicht auch an heftigen Diskussionen? Oder würde sie ein distanziertes Nebeneinander sehen und sprachlose Fremdheit erleben? Vielleicht würde sie uns heute die gleichen Paulus Worte vorlesen, wie damals in Rom den ersten Christen. Und sie würde uns Mut machen: Nicht die Augen zu verschließen, sondern aufeinander zuzugehen. Fremdheit zu überwinden, dem nachzustreben was zum Frieden dient. Und Zeuginnen und Zeugen der Liebe Gottes zu sein in dieser Welt. Testify to love. Amen.