Reue: Der Weg ins Freie

Reue: Der Weg ins Freie
Gottesdienst aus der Evang. Immanuel-Gemeinde Königstein im Taunus
09.10.2016 - 10:05

Über den Gottesdienst

„Reue: Der Weg ins Freie“. Im Gottesdienst aus der Immanuelkirche in Königstein/Taunus geht es um Fehlentscheidungen, die man getroffen hat, um ungelöste Konflikte in der Familie, mit Freunden und Arbeitskollegen, um Schuld, die man oft erst im Nachhinein erkennt.  Biblische Geschichten eröffnen Perspektiven, die wieder ins Leben führen. Zum Beispiel die Geschichte von König David und Bathseba aus dem Alten Testament. Sie ist Grundlage der Predigt von Pfarrerin Katharina Stoodt-Neuschäfer. Frauen und Männer der Gemeinde berichten, wie  im persönlichen Leben und bei gesellschaftlichen Fragen die Reue ein Weg ist, der befreit.

 

Musikalisch wird der Gottesdienst gestaltet mit einer Motette von Johannes Brahms  zu Psalm 51, gesungen vom Königsteiner Vokalensemble unter der Leitung von Katharina Götz. Markus Bebek, Trompete, Lydia Blum, Violoncello und Jens Amend und Katharina Götz an der Orgel musizieren Werke von Georg Philipp Telemann und Johann Sebastian Bach.

 

Nach dem Gottesdienst können die Hörerinnen und Hörer bis 13 Uhr mit Pfarrerin Katharina Stoodt-Neuschäfer und Telefonseelsorger Pfarrer Wolfgang Schinkel über ihre Anliegen sprechen. Die Telefonnummer ist 06174 - 7334.

Königstein liegt in der Nähe von Frankfurt am Main und ist beliebter Wohnort und Ausflugsziel im Taunus. Unterhalb der mächtigen Ruine der Königsteiner Burg aus dem 10. Jahrhundert liegt die Immanuelkirche. Sie wurde 1888 im neugotischen Stil als Hofkirche für die Herzogsfamilie von Nassau errichtet, die in Königstein ihre Sommerresidenz hatte. Die kleine Kirche strahlt Wärme und Geborgenheit aus und ist durch ihre malerische Lage eine beliebte Trau- und Taufkirche.

 

Sendung zum Nachhören

 

Predigt zum Nachlesen

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer,

 

blitzende Gläser, liebevoll dekorierte Tische, ehrende Reden: das gehört einfach dazu - zum runden Geburtstag, zum Jubiläum oder zur bestandenen Prüfung. Der Grundton ist stets positiv. Selten, dass sich nachdenkliche oder skeptische Worte vernehmen lassen. Wie im weltberühmten Chanson „Ich bereue nichts“, „Je ne regrette rien“, das Edith Piaf gegen Ende ihres kurzen dramatischen Lebens der Welt geschenkt hat. Wir beleuchten zurückschauend lieber die Erfolgsstrecken; das Gelungene; die Anstrengung, die zum lohnenden Ziel geführt hat. Misserfolge bleiben unerwähnt, was man unterwegs falsch angepackt hat oder ganz in den Sand gesetzt hat, bleibt unausgesprochen. Als Leitbild für den Lebensrückblick ist das Schlagermotto „I did it my way“ populär. „Ich bin meinen Weg gegangen“, stellt damit jemand mit erhobenem Haupt fest.

 

Nur wer genauer hinhört oder das Leben des anderen gut kennt, vernimmt zwischen den Zeilen auch das Ungesagte: was der Jubilar gerne anders gemacht hätte, wo er sich unbehaglich fühlt beim Gedanken, manches nicht mehr ändern zu können oder gar schuldig geworden zu sein.

 

Wohin mit solchen Gedanken und Gefühlen? Mit den Zwischentönen, die die anderen nicht hören sollen? Wohin mit der Erinnerung an Fehler und schwierige Weichenstellungen, die das eigene Leben in eine bestimmte Richtung geleitet haben? Statt dem inneren Impuls zu folgen, hatte ein junger Mann damals den Eltern gehorcht und war in den Familienbetrieb eingestiegen - bis heute träumt er insgeheim von einem ganz anderen Leben als Forscher. Eine ehrgeizige junge Frau schmückt ihren Lebenslauf mit einem Doktorgrad, den sie mit einem Plagiat erschlichen hat - und fürchtet sich vor der Stunde, in der das herauskommt.

 

Unsere Zeit ist alles andere als fehlerfreundlich. Ein weit verbreiteter Perfektionismus macht es heute schwer, Fehler zuzugeben. Es wird alles ans Licht gezerrt, veröffentlicht, durchgehechelt und in den oft gar nicht sozialen Medien gnadenlos abgeurteilt. Stichwort: „Shitstorm“. Wer gibt sich da gerne eine Blöße? Wer möchte schon am Pranger stehen? Dagegen wehren sich einzelne Menschen ebenso wie Völker und Staaten, die das nicht wollen. So entsteht aus Angst vor Bloßstellung so etwas wie ein Zwang zur Selbstrechtfertigung. Zur trotzigen Selbstbehauptung. Manchmal ist es auch einfach nur ein angespanntes Schweigen, mit dem die dunklen Flecken zugedeckt werden.

Nur: wie lange kann man verdrängen? Vergessen? Und: was bewirkt das in einem Menschen?

 

Verdrängen, vergessen wollte auch der König David. Ein echter Erfolgsmensch. Vom einfachen Bauernsohn hatte er es bis an den Hof des Königs Saul gebracht. Sein gutes Aussehen, sein musikalisches Talent und sein Charisma brachten ihm Glück: Er heiratete die Königstochter und wurde Sauls Nachfolger auf dem Thron Israels.

Dann verliebte er sich in eine andere Frau: Batseba, die Ehefrau eines seiner Offiziere. Von seinem Palast aus hatte David die schöne Batseba beobachtet und fand sie unwiderstehlich. Ganz orientalischer Herrscher, nimmt der König sie zu sich, während ihr Ehemann Uria an der Front ist.

Dann wird Batseba schwanger. Für David droht die Liebesbeziehung gefährlich zu werden. Was soll er tun? Er lässt den ahnungslosen Uria an den gefährlichsten Frontabschnitt stellen. Uria kommt um, und Davids Plan scheint auch diesmal von Erfolg gekrönt.

 

Zur Besinnung kommt David erst, als der Prophet Nathan zu ihm kommt. Nathan erzählt David von einem reichen Mann, der 100 Schafe besitzt. Dieser Reiche hat einen Nachbarn. Dem gehört nur ein einziges Schäflein, das er liebt wie sein eignes Kind. Der Reiche nimmt dem Armen dieses einzige Schaf weg und schlachtet es für ein Festessen.

 

Spontan empört sich David über diesen Übeltäter: wütend verlangt er für ihn die Todesstrafe. Denn der arme Mann tut ihm leid. Da sagt Nathan zu ihm: „Du bist der Mann!“ Erst jetzt kommt David zu sich. Er erkennt: Hier geht es um seine eigene Geschichte mit Batseba. ‚Was habe ich getan? Urias Ahnungslosigkeit habe ich ausgenutzt, ihm die Frau weggenommen und ihn in den Tod geschickt. Wie stehe ich da - vor ihr? Und vor mir selber? Was müssen die anderen von mir denken? Und wie kann ich mit all dem vor Gott bestehen?‘

In dem bisher so selbstherrlichen David kommt etwas in Gang. Eine innere Bewegung. Statt weiter zu vertuschen oder zu leugnen, spricht David sich selbst schuldig. „Ich habe gesündigt gegen den Herrn“. David bereut.

 

Diese tiefe und echte Reue Davids ist in alttestamentliche Psalmen eingegangen, in Gebete, mit denen Menschen bis heute darum bitten, Vergebung zu finden und einen neuen Anfang, wie Psalm 51 sagt:

„Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen Heiligen Geist nicht von mir. Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem willigen Geist rüste mich aus.“

 

Echte Reue hilft. Sie befreit. Die innere Blockade wird gelockert. So kann man den anderen wieder in die Augen sehen. Ohne Trotz. Ohne den Zwang zur Selbstbehauptung.

 

Die Geschichte von Davids Reue sagt: Auch zwischen Gott und mir ändert sich etwas, wenn ich Reue empfinde. Statt Gott einfach zu ignorieren oder ihn nur zu fürchten, erinnere ich mich: Der Blick Gottes auf mich ist barmherzig und zugewandt.  Das mobilisiert Vertrauen auf den Neubeginn. Bereuen hilft zur Einsicht: Gott lehnt zwar meine Fehler ab, er lehnt die Sünde ab, aber er liebt mich trotzdem.

Reue macht aus der Sackgasse der Schuld eine Rettungsgasse der Befreiung.

 

In der biblischen Geschichte von Davids Reue und Befreiung bleibt ein bitterer Rest: Das Kind, das Batseba zur Welt bringt, stirbt. Trotz Davids Reue. Ein wichtiger und ernster Hinweis, dass Reue nicht Untaten einfach ungeschehen machen kann. Andere leiden trotzdem unter dem, was man getan hat. Reue kann die  Folgen einer Tat nicht immer tilgen. Nicht David, sondern das Kind bezahlt mit seinem Leben.

David darf weiterleben, auch mit Batseba. Die beiden bekommen ein zweites Kind, den Sohn Salomo.

Das Urteil, das David sich selbst gesprochen hatte, als er für den Übeltäter aus Nathans Geschichte den Tod forderte, wird an ihm selbst nicht vollzogen.

Das zeigt: Es gibt einen Weg heraus, wo wir keinen Ausweg sehen. Kein Mensch muss  in seiner Schuld steckenbleiben.

 

Zwar kann man einem anderen das nicht verordnen: „Du musst Reue empfinden, du musst  dich in den anderen hineinversetzen,

damit du merkst, was du ihm angetan hast! Du musst um Vergebung bitten!“

 

Erzwingen kann man Reue nicht, aber ermöglichen!

Unserem Land wurde die Chance gegeben, sich mit seiner historischen Schuld auseinanderzusetzen. Zu erschrecken über das unvorstellbare Verbrechen der Vernichtung von Millionen jüdischer Menschen. Dass andere Nationen nach dem Holocaust überhaupt noch mit Deutschen sprechen wollten, hat auch mit den Menschen zu tun, die bereut haben, die zu ihrer Schuld und zur Verantwortung unseres Landes gestanden haben. Heute können wir mit der Erfahrung dieser schmerzhaften Auseinandersetzung die eigene Geschichte ansehen, ohne alle Energie ins Leugnen oder Verschweigen stecken zu müssen.

 

Und im Persönlichen - was bedeutet da Reue, wie geht das praktisch? Eigene Schuld überhaupt wahrzunehmen, zu erkennen und auszusprechen: das fällt schwer. Der Blick von außen hilft. Einerseits als nüchterne Bestandsaufnahme: Was habe ich einem anderen angetan, worin besteht die Kränkung, die ich jemandem zugefügt habe. Anderseits gehört zum Blick von außen auch, wie Gott mich ansieht. Gewiss: Gott lehnt ab, wo ich andere Menschen verletzt oder geschädigt habe. Dennoch hält er an mir fest. So kann auch ich selbst an mir festhalten und muss meine Fehler, meine Schuld nicht verharmlosen oder verheimlichen. Dann wird uns die Kraft zuwachsen, uns selbst zu überwinden und dort, wo wir Fehler gemacht haben, um Vergebung zu bitten. Wie einst König David werden wir den Weg finden, der aus der Schuld heraus und ins Leben führt. Amen.