„Unter dem Dach der Väter und Mütter des Glaubens“

Gottesdienst
„Unter dem Dach der Väter und Mütter des Glaubens“
Gottesdienst aus der Wehrkirche Pomßen
23.10.2016 - 10:05
Über die Sendung

Kann man glauben lernen? Und welche Rolle spielt die Tradition? Wer wird mir zum Zeugen und wie kann ich in meiner Zeit weitergeben, was mich trägt im Leben und im Sterben? Die figürlich bemalte Kassettendecke der Wehrkirche Pomßen versammelt auf 56 Tafeln allegorische Darstellungen von alt- und neutestamentlichen Glaubenszeugen sowie von frühen Kirchenvätern.

Aufblickend zu den Malereien der Kassettendecke aus dem 17. Jahrhundert sucht Pfr. Dr. Gramzow im Gottesdienst Antworten zusammen mit einem Konfirmanden.

Pomßen ist ein Dorf zwischen Leipzig und Grimma. Die Wehrkirche ist eine von fünf Kirchen der vereinigten Kirchgemeinde Pomßen-Belgershain, die zum Kirchenbezirk Leipziger Land gehört. Die Kirchgemeinde Pomßen-Belgershain zählt etwa 730 Gemeindeglieder. Das Gemeindeleben ist volkskirchlich geprägt.

Auf der Westempore hat das akustische Glanzstück der Pomßener Kirche ihren Platz, die Renaissance-Orgel von Gottfried Richter aus dem Jahr 1671. Sie gilt als älteste bespielbare Orgel Sachsens. Der Überlieferung nach soll ihr auch der Leipziger Thomaskantor Johann Sebastian Bach sehr verbunden gewesen sein. Im Gottesdienst spielt die Renaissance-Orgel Prof. Roland Börger. Kirchenchor und die Kurrende der Kirchgemeinde unter Leitung von Kantor Viktor Vetter gestalten den Gottesdienst musikalisch ebenso mit wie der örtliche Flötenkreis

 
Sendung nachhören

Predigt nachlesen

Kind: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“
Das sage ich jedes Mal im Gottesdienst. Aber woher weiß ich eigentlich von Gott?

 

Pfarrer: Und Jonas, hast du schon eine Antwort auf diese Frage gefunden?

 

Kind: Meine Eltern und Großeltern haben mir von Gott erzählt. Im Religionsunterricht haben wir über Gott, den Schöpfer, gesprochen. Und bei Ihnen im Konfirmanden-unterricht ging es auch schon um den Vater im Himmel. Aber woher wissen meine Eltern, meine Lehrerin und Sie von Gott?

 

Pfarrer: Komm mit, Jonas, ich zeige dir etwas. (kleine Pause) Schau einmal an die Decke in unserer Kirche. Hier siehst du viele kleine Tafeln, auf denen Menschen abgebildet sind. Insgesamt sind das 56 Tafeln. In der Bibel wird berichtet, was diese Menschen mit Gott erlebt haben. Du kannst hier Noah und Mose sehen und da hinten Petrus und Paulus. Manche dieser biblischen Personen haben ihre Erlebnisse mit Gott sogar selbst aufgeschrieben, z.B. der Prophet Jeremia. Andere haben sie weitererzählt und erst ihre Kinder oder Enkelkinder haben die einst mit Gott erlebten Begebenheiten in Form von Geschichten festgehalten. So mag es bei König David der Fall gewesen sein. Aber all diese Personen an unserer Kirchendecke waren tief bewegt von dem, was sie mit Gott erlebt hatten, und sie mussten das Erlebte weitererzählen.
Manches, was damals geschah, war so aufregend, dass es sogar mehrere Menschen gleichzeitig aufgeschrieben haben. Das trifft für die Geschichten von Jesus zu.

 

 

Kind: Aber die da oben sind doch schon lange tot. Woher soll ich wissen, ob das stimmt, was sie aufgeschrieben haben?

 

Pfarrer: Hast du eine Idee?

 

Kind: Naja, wenn mehrere Menschen etwas aufgeschrieben haben, kann man das ja vergleichen. Und was übereinstimmt, wird wohl richtig sein.

 

Pfarrer: Hier, der Evangelist Lukas zum Beispiel – du erkennst ihn am Symbol des Stieres – der hat sehr viel Wert darauf gelegt, dass sich sein Evangelium auf die Berichte von Augenzeugen stützt, auch wenn er selbst Jesus nicht persönlich gekannt hat.
Ganz am Anfang seines Evangeliums schreibt er:

Schon viele haben es versucht, die Ereignisse im Zusammenhang aufzuschreiben, die Gott unter uns geschehen ließ – und zwar so, wie es uns von Augenzeugen überliefert wurde. Die sind von Anfang an dabei gewesen und zu Dienern des Wortes geworden.
Auch ich bin all dem noch einmal sorgfältig nachgegangen. Dann habe ich mich dazu entschlossen, für dich alles in der richtigen Reihenfolge aufzuschreiben, sehr geehrter Theophilus.

Theophilus ist ein Freund, den Lukas für den Glauben an Jesus Christus gewinnen möchte. Lukas arbeitet wie ein damaliger Historiker. Er prüft, was er hört und liest, bevor er es in sein Evangelium aufnimmt. Weil er selbst an Jesus Christus glaubt, will er anderen Menschen von Jesus erzählen. Und er tut das sehr verantwortungsvoll.

 

 

Kind: Muss nicht jeder Mensch seinen eigenen Glauben finden? Warum sollte mir der Glaube meiner Eltern und Großeltern heute noch was bringen?

 

Pfarrer: Wie ist deine Meinung?

 

Kind: Ich überlege, wo ich meinen Glauben suchen soll.

 

Pfarrer: Und hast du eine Ahnung?

 

Kind: Mir fallen Kinderlieder ein und Gebete … Der Mond ist aufgegangen … die Weihnachtsgeschichte … und sogar ein Erlebnis bei der Nachtandacht auf der letzten Konfirmanden-Freizeit.

 

Pfarrer: Bei der Nachtandacht … Da fällt mir noch jemand ein. Schau mal, Jonas, da ist Jakob. Der musste vor seinem Bruder Esau fliehen, weil er ihn um den Segen des Vaters Isaak betrogen hatte. Während der Flucht übernachtete Jakob unter freiem Himmel. Er hatte einen merkwürdigen Traum von Engeln und von einer Himmelsleiter. Durch diesen Traum aber erkannte er, dass der Gott, der an seiner Seite ist, kein anderer Gott ist als der Gott seines Vaters Isaak und seines Großvaters Abraham.
Die Bibel erzählt viele Geschichten, die uns helfen können, im Glauben der Eltern und Großeltern unseren eigenen Glauben zu finden.

 

 

Kind: Warum sind da an unserer Kirchendecke eigentlich nur Männer zu sehen? Mir hat meine Mutter viel mehr von Gott erzählt als mein Vater.

 

Pfarrer: Kannst du dir deine Frage vielleicht selbst beantworten?

 

Kind: Weil in der Bibel und in der Kirche die Männer eben mehr zählten als die Frauen. Das ist ja teilweise noch heute so. Ich finde das ungerecht.

 

Pfarrer: Da kann ich dir nur zustimmen. Zumal deine Beobachtung zutrifft. In den meisten Familien ist es so, dass sich eher die Mütter die Zeit nehmen, ihren Kindern aus der Bibel vorzulesen, mit ihnen zum Kindergottesdienst zu gehen oder mit ihnen zu singen und zu beten.

 

Kind: Eigentlich gehören da auch Frauen an unsere Kirchendecke.

 

Pfarrer: Du hast Recht. Ich versuche sie mitzusehen und mitzudenken. Hier, beim Bild des Propheten und Richters Samuel zum Beispiel. Seine Mutter hieß Hanna. Die bat in ihrem Kummer Gott voller Vertrauen um Hilfe. Sie litt darunter, dass sie keine Kinder bekommen konnte und hoffte auf Gottes Gnade. Sie rief zu Gott und ließ nicht locker. Ihr großes Vertrauen zu Gott beeindruckt mich. Ohne ihren Glauben und ohne ihr beharrliches Gebet hätte es den Samuel gar nicht gegeben. Weil Gott Hanna aber ein Kind geschenkt hat, hat sie ihm ein Loblied gesungen, das wir noch heute in unserer Bibel finden.
Hanna hat vorgemacht, wie wichtig es ist, im Leben auf Gott zu vertrauen und mit ihm zu rechnen.     

 

 

Kind: Es gab aber auch welche, denen es nicht so leicht fiel, an Gott zu glauben oder an seine Wunder. Haben die hier an der Decke auch einen Platz gefunden?

 

Pfarrer: Denkst du an jemand Bestimmtes?

 

Kind: Meine Mutter hat mir mal was von einem ungläubigen Thomas erzählt. Der konnte nicht glauben, dass Jesus von den Toten auferstanden sein soll.

 

Pfarrer: Thomas war einer von den zwölf Jüngern, den späteren Aposteln. Die haben die frohe Botschaft von der Auferweckung Jesu und von der Liebe Gottes zu uns Menschen in die ganze Welt getragen. Als sich Jesus nach seinem Tod und seiner Auferstehung das erste Mal den Jüngern zeigte, ist Thomas nicht dabei gewesen. Die übrigen Jünger erzählten Thomas hinterher, dass sie Jesus gesehen haben und dass er lebt. Thomas glaubte ihnen nicht. Trotzdem hat Thomas einen festen Platz im Kreis der Apostel und er hat ihn auch an unserer Decke. Dort siehst du ihn.
Eigentlich ging es Thomas nicht viel anders als uns heute. Wir hören, was andere Menschen uns von Gott und von Jesus erzählen – Menschen, die schon verstorben sind und Menschen, die noch leben. Thomas tat sich schwer damit, ihnen zu glauben. Man könnte auch sagen, er brauchte einen längeren Anlauf, ehe ihm das gelang. Glauben erfordert manchmal Geduld. Unsere Geduld und Gottes Geduld. Dass Thomas trotz allem zu den Vätern und Müttern des Glaubens dazugehört, zeigt mir, dass es okay ist, auch kritisch nachzufragen und vielleicht sogar mal zu zweifeln. Nur sollten wir nicht beim Zweifel stehen bleiben, sondern Gottes Spuren weiter verfolgen. Thomas ließ die Sache mit Jesus ja auch keine Ruhe. Und eines Tages durfte er erfahren, wie nahe der auferstandene Christus uns Menschen kommen kann. Zum Anfassen nah.

 

 

Kind: Gibt es, wenn man glaubt, eigentlich noch Neues zu entdecken? Hier in dieser Kirche und unter diesem Dach sieht alles schon so fertig aus.

 

Pfarrer: Du suchst nach einem Platz für deine eigenen Erfahrungen mit Gott.

 

Kind: Naja, wo ich Glauben selbst ausprobieren kann.

 

Pfarrer: Du kannst prüfen, welche Geschichten unserer Glaubenszeugen hier an der Kirchendecke dich in deinem Glauben mehr ansprechen und welche weniger. Wahrscheinlich lernst du beim Lesen der Geschichten in der Bibel sogar deinen eigenen Glauben noch besser kennen.
Außerdem: Unsere Kirchendecke ist nicht vollständig ausgemalt. Von den 56 Tafeln über uns zeigen nur 53 Tafeln Darstellungen eines biblischen oder kirchlichen Glaubenszeugen. Von Lukas, Jakob, Hanna und Thomas habe ich eben gesprochen. Ihrem Glaubenszeugnis können wir nachspüren. Drei Tafeln aber sind leer. Diese Tafeln sind hinter dem Gehäuse der Orgel verborgen. Sie enthalten nur schlichte Wolkenfelder.

 

Kind: Ich ahne, hier darf ich das Kunstwerk nach meinen eigenen Gedanken und Wünschen fertigstellen.

 

Pfarrer: Ja, das wirst Du sogar müssen. Auch der Glaube, den uns die vielen Menschen vor uns hinterlassen haben, die Väter und die Mütter des Glaubens, ist nicht vollkommen und perfekt. Da bleibt immer ein Rest an Geheimnis. Hier geben uns die Künstler die Möglichkeit, unsere ganz persönlichen Entdeckungen zu machen.
Du kannst für dich ergänzen, wer dir in der Reihe der Glaubenszeugen noch fehlt, vielleicht ein Familien-mitglied oder eine liebe Freundin.
Ich zum Beispiel würde hier meinen Großvater noch ergänzen. Für den war Gott so selbstverständlich und so nah wie die Luft zum Atmen. Mir hat das gezeigt, wie wichtig Gott im Leben ist.  
Du kannst diese Ergänzung aber auch mit einer Geschichte oder einem Erlebnis verbinden, die für deinen Glauben wichtig geworden sind. Eingebettet in den Glauben unserer Eltern und Großeltern gewinnt unser eigener Glauben Gestalt.

Und noch etwas: Jeder Christ ist eingeladen, selbst zu einem Glaubenszeugen zu werden, also selbst eines dieser leeren Felder zu füllen, indem er oder sie seinen Mitmenschen von Gott erzählt. Amen.