„Was können wir von Gott erwarten?“

Gottesdienst
„Was können wir von Gott erwarten?“
Gottesdienst aus der St. Andreaskirche Hildesheim
18.12.2016 - 10:05
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Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

 

1. Weihnachten – das Fest mit Stress?

 

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer,

eine Woche vor Heiligabend – was ist alles noch zu tun? Wie sind Sie mit Ihren Vorbereitungen vorangekommen? Lassen Sie mich raten: Sie haben noch nicht alle Geschenke. Die Briefe sind noch nicht alle losgeschickt, geschweige denn geschrieben. Und für das Festmenü gibt es auch nur eine grobe Idee. Sieht die Lage bei Ihnen so oder so ähnlich aus?

Dann sind Sie in guter Gesellschaft! Jeder Fünfte in Deutschland kauft die Weihnachtsgeschenke erst in der Woche vor dem Fest. Und fast alle fühlen sich gestresst durch die vielen Aktivitäten in diesen Wochen. Backen für die Adventsfeier im Verein, Plätzchen für die Grundschule, den Basar für einen Kindergarten bestücken – da kommt einiges zusammen. Und manch einer denkt sich: So war es doch eigentlich nicht gedacht. Weihnachten, hatte das nicht eher etwas mit Ruhe und Besinnung zu tun?

Ich entsinne mich noch an das ruhigste Weihnachtsfest meines Lebens. Am Tag vor Heiligabend wurden alle in der Familie krank. Angesteckt von einem Virus, wie es in dieser Jahreszeit ja schnell passiert. Wie ärgerlich war das! Wir mussten die Besuche bei Freunden absagen, konnten keine Geschenke verteilen und auch das große Festmenü nicht kochen. Tee und Zwieback waren stattdessen angesagt. So hatten wir uns Weihnachten nicht vorgestellt. Was für eine Enttäuschung!

Aber dann merkten wir, dass die neu gewonnene Zeit zu einer großen Entspannung führte. Wir hatten ein sehr ruhiges und besinnliches Weihnachtsfest, an das ich mich bis heute erinnere. Mich hat es sehr nachdenklich gemacht, dass es erst einen Virus brauchte, damit wir an Weihnachten Ruhe und Besinnung hatten. Seit dem frage ich mich in der Advents- und Weihnachtszeit noch genauer: Wieso fühle ich mich verpflichtet, es allen immer Recht zu machen, so dass ich mir kaum mehr eine kurze Auszeit gönnen kann? Wer und was setzt mich so unter Druck, dass ich vor lauter Kümmern gar nicht mehr an mich denke und an das was ich brauche? Weihnachten, das geht doch auch anders. Ich will diese Hoffnung nicht aufgeben – auch ohne Virus.

Ganz gleich, wie Sie Weihnachten feiern werden – eines stimmt auf jeden Fall: Dieses Fest lässt niemanden kalt. Man muss sich dazu verhalten. Man kann es gut finden – oder auch nicht. Groß feiern oder lieber für sich allein bleiben. Alles geht. Aber es ist eine besondere Zeit des Jahres, die jeden auf irgendeine Weise berührt und der man sich nicht entziehen kann.

 

2. Weihnachten und das Lied der Maria

 

Wir haben heute mit dem Lied einer Frau zu tun, die sich ebenfalls ganz auf Weihnachten eingelassen hat. Denn sie wird diejenige sein, die den erwarteten Messias gebären wird. Das ist Maria, Josefs Frau. Im Lukas-Evangelium wird erzählt, wie sie von einem Engel die Nachricht erhält, dass sie einen Sohn gebären wird. Sie soll ihn Jesus nennen. Danach trifft sie sich mit ihrer Verwandten Elisabeth, die ebenfalls schwanger ist. Elisabeth erkennt sofort, dass etwas ganz Wunderbares mit Maria vor sich geht. Selbst ihr eigenes ungeborenes Kind hüpft – heißt es in der Bibel – im Bauch vor Freude. Maria freut sich so sehr über die Bestätigung der Ankündigung des Engels, dass sie Gott mit einem Lied lobt. Wir hören noch einmal in ihre Worte hinein:

Sprecherin: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. (V. 46-49)

Die Geburt ihres ersten Kindes ist für jede Frau etwas Großes. Alle Eltern freuen sich auf ihr Kind und hoffen, dass etwas Besonderes aus ihm werden wird. Aber dieses eine Mal sind die Erwartungen noch größer als sonst: Es geht nicht nur um den einen Menschen, der geboren wird, sondern um alle Menschen in der Welt. Und es geht auch um Gott, der diesen Menschen in besonderer Weise begleiten wird. Er soll der Heiland der Welt sein, soll aus der Ungerechtigkeit etwas Gerechtes machen. Soll mit Barmherzigkeit regieren und nicht mit Härte. Maria kündigt das so an:

Sprecherin: Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen (V. 51-53).

Eine gewaltige Vision. Von einer Welt, die so ganz anders sein wird als das, was wir sonst kennen. Ich bin begeistert von dem, was ich da höre. Nicht nur ich. So ging es Generationen von Menschen vor mir. Allen, die sich nach Gerechtigkeit und Frieden gesehnt haben: Die Hungrigen füllt er mit Gütern. Und erhebt die Niedrigen. Wenn das wahr würde – die Welt sähe komplett anders aus. Einen Moment träume ich mit Maria diese neue Welt, in der Gott regiert und die so ganz anders ist als alles, was wir sonst noch kennen.

 

3. Die Vision ist noch nicht erfüllt

 

Und dann schaue ich mich um – und sehe: Nein, wirklich umgesetzt hat sich diese Vision der Maria noch nicht. Auch nachdem der Junge geboren wurde und seinen Weg über diese Erde gegangen ist. Es sind immer noch Gewaltige auf dem Thron, und die Hungrigen haben weiterhin nicht genug zu essen. Ja, mehr noch: Gerade in diesen Wochen scheint sich für viele der Blick zu verengen, nur auf die Familie und ein schönes Fest für mich, und die Rücksichtnahme auf andere immer mehr abzunehmen. Und auch in der großen Politik scheint es gesellschaftsfähig zu werden, sich abzugrenzen und andere ihrem Schicksal zu überlassen. Die schöne Vision aus dem Lied der Maria – ich finde sie in dieser Welt nicht wieder.

Und ich frage mich: Welche Macht steckt wirklich in diesen Worten? Es ist die Macht der Menschen, die nichts anderes haben als diese Zusage von Gott: Er erhebt die Niedrigen. Man könnte meinen, das sei an sich ja keine Macht. Nur eine Zusage, die im Zweifelsfall nicht halten kann, was sie verspricht, oder? Ich glaube, dass diese Worte der Maria eine unglaubliche Macht entfalten können – wenn wir sie im Herzen glauben und mit den Händen leben.

Denn was ist mächtiger als ein Mensch, der sich auf Gottes Seite weiß? Was ist mächtiger als die ständige Erinnerung an dieses Wort: Er stößt die Mächtigen vom Thron? Der Zweifel an den bestehenden Machtverhältnissen ist der Anfang ihrer Überwindung.

Das ist das, was wir von Gott in diesen Tagen wirklich erwarten können: Dass er uns das Lied der Maria singen lässt. Den Lobgesang auf einen Gott, der auf der Seite der Niedrigen ist und der will, dass alle Menschen genug zum Leben haben. Der uns mit Barmherzigkeit ansieht.

 

4. Was heißt das für uns?

 

Was heißt das für diese Tage, die vor uns liegen? Für das große Fest, das niemanden kalt lässt? Wenn Sie das Lied der Maria singen würden – wie würde es dann klingen?

Vielleicht so:

Sprecherin: Meine Seele erhebt den Herrn, denn er hat mir Kraft gegeben für meinen Alltag.

Oder:

Sprecherin: Ich lobe Gott, der mir Selbstbewusstsein und Mut gibt, gerade in diesen Tagen auf die Menschen zuzugehen, die sich niedrig und bedrückt fühlen. Und ihnen ein Zeichen der Weihnachtsfreude zu geben,

Oder so:

Sprecherin: Gott hat mich aus der Tiefe meiner Krankheit wieder ans Licht geholt, ich habe neue Lebensfreude.

Es ist ja nicht immer einfach, wenn Familien und Freunde am Weihnachtsfest zusammenkommen. Jeder bringt seine Erwartungen mit. Nicht alle Erwartungen können erfüllt werden. Und wenn die Menschen, die sich sonst im Alltag nur kurz sehen, auf einmal viel Zeit miteinander verbringen, dann kann das auch schwierig werden. Streit an Weihnachten ist nicht die Ausnahme, sondern kommt häufig vor.

Dann hilft es, glaube ich, dieses Lied innerlich zu singen: Gott ist barmherzig. Er will nicht, dass Menschen Macht über andere haben. Er will die, die sich niedrig fühlen, stärken. Er will kein Ansehen, sondern Barmherzigkeit. Und dieses Lied der Maria, das kann auch andere anstecken.

So dass wir den Gedanken in die Köpfe bringen: Es kann sich etwas ändern. Es wird mich verändern. Und die Menschen um mich herum. Dieses Lied der Maria, es hat eine Macht. Und sie wird spürbar, wenn Menschen sich davon anrühren lassen.

Wie kann das geschehen? Vielleicht so:

Hier in Hildesheim gibt es am Heiligabend in der Jakobikirche jedes Jahr den „Rastplatz“. Das ist eine Weihnachtsfeier für Menschen, die sonst vielleicht nicht feiern könnten: Studierende, Familien, Freunde, Heimatlose, Geflüchtete und Alleinstehende. Mit gutem Essen, wunderschöner Musik, viel Gemeinschaft und inspirierenden Texten. Der Zulauf ist jedes Jahr groß, und was mich dabei immer wieder berührt, ist die große Dankbarkeit der Menschen. Die leuchtenden Augen der Kinder, das zufriedene Gesicht der Älteren. Es tut gut, dass Menschen sich dafür engagieren, für andere eine schöne Weihnachtsfeier zu gestalten.

Auch jede und jeder kann etwas tun in seinem unmittelbaren Umfeld:

Liebe Gemeinde und liebe Hörerin und lieber Hörer – Sie kennen sicher einen Menschen in Ihrer Umgebung, der mit Sorge auf das Weihnachtsfest schaut. Weil er oder sie allein lebt, weil sich die Kinder nicht melden, weil ein Partner gestorben ist. Jetzt in diesen Tagen ist die Zeit, das Lied der Maria weiterzutragen. Gehen sie auf diese Menschen zu, geben Sie ihnen ein Zeichen. Laden Sie sie zu Weihnachten ein, zum Kaffee am ersten Weihnachtstag, rufen Sie an, schreiben Sie eine Karte. Ich bin ganz sicher, sie werden reich beschenkt werden durch diese Begegnung.

Wenn wir so einander begegnen in dieser Woche bis zum Fest, dann bringt das eine neue Sicht auf unser Leben und unsere Welt. Und dann verläuft auch das Fest ganz anders. Dann wird ein kleines Stück von diesem Lied der Maria wahr: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unseren Herrn. Amen.